Klimawandel

Die Katastrophe ohne Ereignis

29:32 Minuten
In den Rissen eines ausgedörrten Bodens sprießen einige grünliche Pflanzen hervor.
Ob in Form austrocknender Böden oder bestimmter Wettereignisse: Die Veränderungen durch den Klimawandel kämen zunächst schleichend, so die Germanistin Eva Horn. © picture alliance / imageBROKER
Moderation: Susanne Führer · 07.08.2021
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Der Klimawandel sei für uns schwer greifbar, sagt die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn, es gehe um schleichende Veränderungen von Durchschnittswerten. Die Fiktion aber könne uns zeigen, wie ein Leben in einer klimaveränderten Welt aussehen würde.
Dass der Klimawandel stattfindet, sagen uns Wissenschaftler seit 30 Jahren. "Wir haben dieses Wissen, aber wir brauchten eine Schülerin und eine Jugendbewegung, um das wirklich aufs politische Tapet zu tragen." Fridays for Future sei eine sehr wichtige Bewegung, meint die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Eva Horn. Wir bräuchten vor allem eine neue Praxis. Frei nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber. Wissen allein reiche nicht.
Die Bedrohung durch die Klimaveränderung sei schwer vorstellbar, denn der Klimawandel "ist eine Katastrophe ohne Ereignis, indem sich zunächst schleichend Durchschnittswerte verändern", so Eva Horn. Ob Trockenheit oder Feuchtigkeit einer Region, die Temperatur oder die Häufigkeit von bestimmten Wetterereignissen – das allein nehmen wir noch nicht als Katastrophe wahr, "weil es kein Ereignis ist, sondern es erhöht die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Ereignisse". Dass sich in den Ozeanen etwas verändert, gehe uns nicht nahe, viel näher hingegen eine gute Sozialpolitik, sichere Renten, Arbeitsplätze usw.

Begreifen, was wir wissen

Kognitiv sei der Mensch durchaus in der Lage, 20 Jahre im Voraus zu denken, räumt die Kulturwissenschaftlerin ein. Warum ändern wir dann unser Verhalten nicht, warum ändern wir unsere Politik nicht? "Die Frage ist: Ist der Mensch affektiv in der Lage, 20 Jahre im Voraus zu handeln und sein Verhalten zu verändern?"
Und das für eine Zukunft, die wir alle nicht kennen. Welche Folgen eine "vernünftige Klimapolitik" haben werde, wissen wir heute nicht genau. Wir müssten also handeln "in der Dunkelheit einer relativ fern liegenden Zukunft und für die jetzt Entscheidungen treffen".

Werkzeug für die Einbildungskraft

Fiktion könne und solle uns nicht zu besseren Menschen erziehen, aber sie könne uns helfen, "in diese Dunkelheit das Licht einer Möglichkeit zu werfen". Fiktion geht der Frage nach: Was wäre, wenn? Bemerkenswert viele zeitgenössische Katastrophen-Filme und –Romane leuchten "diesen dunklen Raum der Gefahr" aus.
Was wäre, wenn wir beispielsweise einen nuklearen Winter erlebten? Dieser Frage geht der Roman "Die Straße" von Cormac McCarthy nach, der Eva Horn sehr beeindruckt hat. Denn er führe uns "bis in die kleinsten, auch emotionalen Dimensionen im Alltagsleben vor, was es bedeuten würde, wenn sich das Klima so ändern würde, dass praktisch keine Pflanzen mehr wachsen". Fiktion: ein Werkzeug für die Einbildungskraft. Um Katastrophen zu erkennen, bevor sie zum Ereignis werden.

Eva Horn lehrt als Professorin Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien. Veröffentlichungen u.a.: "Zukunft als Katastrophe" (2014), mit Hannes Bergthaller: "Das Anthropozän zur Einführung" (2019)

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