Klimaschutz in Bottrop

Den CO2-Ausstoß in zehn Jahren halbiert

07:29 Minuten
Blick auf Mehrfamilienhäuser mit Solardächern in Bottrop
So sieht die Modellstadt Bottrop von oben aus: Mehrfamilienhäuser mit Solardächern. © picture alliance / Rupert Oberhäuser
Von Kai Rüsberg · 03.08.2021
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Bottrop am nördlichen Rand des Ruhrgebiets sollte groß rauskommen: mit Energiesparen und Klimaschutz. Vor zehn Jahren gewann die Bergarbeiterstadt einen Wettbewerb, wurde zur "Innovation City". Was ist aus den Plänen und Zielen von damals geworden?
"Blauer Himmel, grüne Stadt", so lautete das Motto, unter dem der Initiativkreis Ruhr gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen den Wettbewerb um die Innovation City gestartet hat. Das war 2010. Die Industriekonzerne und Energieriesen des Ruhrgebiets wollten beweisen, dass sie noch Innovationskraft haben, die Zukunft zu gestalten, sagt Rolf Buch.
Er ist heute der Chef beim Initiativkreis Ruhr. Das ist der Verbund der größten und einflussreichsten Unternehmen des Ruhrgebiets. Vor mehr als zehn Jahren über CO2-Reduzierung nachzudenken, sei sehr fortschrittlich gewesen. "Wenn das die alle Städte in Deutschland gemacht hätten, wären wir deutlich weiter."
"Wer wird die grüne Superstadt" titelten 2010 die Zeitungen. Damals wurde ein Wettbewerb um die Energiestadt der Zukunft gestartet, an dem sich nahezu alle Städte im Ruhrgebiet beteiligten. Nicht nur der Klimaschutz und das Renommee lockten: Es wurden Investitionen von zweieinhalb Milliarden Euro für die Innovation City Ruhr in Aussicht gestellt.

Eine Steinkohlestadt will sich transformieren

Bottrop gewann den Wettbewerb der Städte. Man werde eine "Weltausstellung für den Klimaschutz" ins Ruhrgebiet bringen, hieß es damals. Ziel war es, den Energieverbrauch zu halbieren. Bernd Tischler war schon damals Oberbürgermeister in Bottrop. Man habe ein visionäres Ziel gehabt: "Von der letzten deutschen Steinkohlestadt hin zur Modellstadt des Klimaschutzes und der Energieeffizienz."
Bottrop, im nördlichen Ruhrgebiet, ist eine der kleinsten Großstädte Deutschland. Auf gerade mal 117.000 Einwohner kamen damals noch 4000 Kumpel aus der Steinkohlezeche. Und nun sollte Bottrop der Welt zeigen, wie man Klimaschutz macht?
Der Oberbürgermeister erinnert sich. "Am Anfang gab es eine ungeheure Erwartungshaltung, und wir haben das erste Jahr gebraucht, um die Dinge richtig einzusortieren und wieder in ein Fahrwasser zu kommen." Letztlich habe das zum Erfolg geführt. "Insofern sind meine Erwartungen voll in Erfüllung gegangen. Ich bin richtig stolz und froh, dass wir es geschafft haben."
Gemessen werden die Erfolge am Ausstoß des Klimagases CO2. Und tatsächlich gelang es Bottrop, die CO2-Emissionen in zehn Jahren in etwa zu halbieren. Das renommierte Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sollte prüfen, ob die Kriterien eingehalten werden und wissenschaftlichen Rat geben.

Halbierte Emissionen – ohne den Bereich Verkehr

Die Bilanz ist positiv, urteilt Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut: "Im Vergleichszeitraum sind die Emissionen um 23 Prozent zurückgegangen, in Bottrop um mehr als das Doppelte. Das ist, glaube ich, auch sehr signifikant für den Erfolg."
Aber das war nur möglich, weil ein Sektor einfach komplett ausgespart wurde: der Verkehr. Autos und Züge fahren durch Städte hindurch, ohne dass man dies messen kann, so Fischedick. "Insofern haben wir die Bilanzen gemacht, ohne den Verkehrsbereich."
Es sei aber richtig, dass dort nun auch angepackt werden müsse: "Weil: Der gehört auch zum Klimaschutz dazu. Aber da hat nicht nur die Stadt Bottrop das Heft des Handelns in der Hand, sondern dazu braucht es Landesinitiativen und Bundesinitiativen."

Abschied von der Kohle bringt Rieseneinsparung

Trotzdem ist das kleine Bottrop in die Weltliga der Klimametropolen aufgestiegen, meint der Professor für Energietechnik. Die Besonderheit in Bottrop ist, eine bestehende Stadtstruktur in kürzest möglicher Zeit zu einer Vorzeigestadt der Energieeinsparung gemacht zu haben.
"Natürlich gibt es auch andere Städte, die ähnliche Erfolge hatten, aber die haben auch ganz andere Strukturen. Die haben es auch über einen längeren Zeitraum erreicht. Bottrop ist mit dem, was hier ausprobiert worden ist, schon ein großes Vorbild für andere", sagt Manfred Fischedick.
Noch ein besonderer Umstand kam Bottrop zugute: Denn die mit Abstand größte Einsparung brachte ein einziges Industrieprojekt. Auch das ist mit dem Abschied von der Kohle verbunden: Hier steht eines der größten Klärwerke in Europa. Mit einer Leistung, die mehr als zehnmal für die Bewohner ausgereicht hätte.
Das mit Kohle betriebene Klärwerk war ein gigantischer Energieschlucker. Der Betrieb und auch die Klärschlammtrocknung wurden von Kohle auf Solarbetrieb umgerüstet. Damit ergab sich eine dicke Einsparung von CO2 in Bottrop. Gut für die Gesamtbilanz.

Besondere Erfolge im Gebäudebereich

Aber den wichtigsten Anteil hatten dann doch die Bottroper Bürger, sagt Fischedick: "Der allergrößte Lerneffekt ist, dass man die Menschen motivieren und aktivieren muss, und das ist hier gelungen." Eine aufsuchende Energieberatung habe zum Beispiel geholfen. "Man hat nicht gewartet, bis die Leute kommen und sich beraten in einem mehrstufigen Verfahren lassen." Man habe sie langsam herangeführt, ihr Gebäude zu sanieren.
Ansicht des Vivawest Zukunftshauses in Bottrop mit Fotovoltaik-Paneelen an der Fassade
Das Vivawest Zukunftshaus in Bottrop ist mit Fotovoltaik-Paneelen verkleidet.© picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Im Gebäudebereich war Bottrop besonders erfolgreich. Die privaten, gewerblichen und öffentlichen Hauseigentümer investierten in großem Maß in Solartechnik. Bei der Fotovoltaik steht Bottrop nun bundesweit führend da. Außerdem wurde in großem Umfang Wärmedämmung durchgeführt.
In Bottrop entschied man sich nicht für die weit sichtbare Weltausstellung, sondern eher für die praktische Lösung zu Hause, sagt der Geschäftsführer der Innovation City Burkhard Drescher. "Mit großen Illusionen, mit einer Kirmes erreichen Sie außer Unterhaltung eigentlich nichts", meint er.
In Bottrop habe man wirklich Kärrnerarbeit geleistet, von Haus zu Haus im Stadtquartier, erklärt er. "Wir haben die Schülerinnen und Schüler aktiviert. Und wir haben fast 12.000 Leute bei uns in den kleinen Büroräumen gehabt. Bei Veranstaltungen sei über Schimmel, Fenster, Dächer, Dämmung und Solarenergie informiert worden.
Trotzdem ist das Projekt auch nach zehn Jahren längst nicht bei jedem angekommen: Das zeigt sich, wenn man die Bürgerinnen und Bürger vor Ort über Innovation City befragt. "Nein, das weiß ich nicht", kann man dann zur Antwort bekommen. Oder: "Wenn, dann habe ich es übersehen. Ich wohne hier, ich habe drei kleine Kinder und komme nicht so oft in die Stadt."

Das Image der Bergbaustadt erneuert

Die vor zehn Jahren versprochenen Investitionen von 2,5 Milliarden Euro kamen in der Bergbaustadt nie an. Gerade mal ein knappes Drittel wurde investiert: 730 Millionen. Doch das sei gar kein Problem, es habe halt ausgereicht, argumentiert Oberbürgermeister Tischler – und es habe nicht nur wirtschaftlichen Erfolg gebracht.
"Es sind neue Unternehmen gekommen", erzählt er. Aber man habe nicht nur viele Arbeitsplätze neu geschaffen, sondern auch das Image von Bottrop. Die letzte deutsche Steinkohle Bergbaustadt zur Modellstadt des Klimaschutzes zu machen, hält Bernd Tischler für ein weltweit nachgefragtes Modell.
Vor zweieinhalb Jahren schloss in der Innovation City Bottrop die letzte deutsche Steinkohlenzeche ihre Pforten. Künftig soll Kohle auf den Dächern gemacht werden. Mit Solarpaneelen wird der Strom erzeugt und mit Fassadendämmung bleibt die Energie in den Häusern gespeichert. Die Hoffnung ist nun, dass das Know-how aus der Entwicklung der letzten zehn Jahre sich exportieren lässt – und anderen Kommunen hilft, einen ähnlichen Weg zu gehen.
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