Klimaneutral im Hüttenwerk

Grüner Stahl dank Wasserstoff

10:30 Minuten
Ein Mitarbeiter in Schutzkleidung arbeitet am in Salzgitter auf dem Gelände der Salzgitter AG vor einem angestochenen Hochofen.
Mitarbeiter in Schutzkleidung auf dem Gelände der Salzgitter AG vor einem Hochofen: Solche Bilder könnten irgendwann der Vergangenheit angehören. © Julian Stratenschulte/dpa
Von Alexander Budde · 19.08.2020
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Nach den Gesetzen der Chemie ist es möglich: Mit Hilfe von Wasserstoff kann Stahl ohne Koks produziert werden. Auf diese Weise wird die Produktion des Treibhausgases CO2 vermieden. Bei der Salzgitter AG läuft momentan ein vielversprechendes Pilotprojekt.
Im Hüttenwerk Salzgitter: Knapp 60 Meter ragt der größte der drei Hochöfen auf. Kaum ist der untere Bereich des Kolosses angebohrt, schlagen Funken und Flammen heraus.

Im Halbdunkel der Werkshalle steht Heinz Jörg Fuhrmann. Der Vorstandsvorsitzende der Salzgitter AG schaut zu, wie ein Arbeiter im Schutzanzug eine Probe nimmt.

"Das ist der Abstich. Das flüssige Roheisen, 1466 Grad heiß fließt es aus dem Hochofen raus. Dies ist im Grunde genommen das erste greifbare Produkt auf dem Wege der Herstellung von Stahl für Kühlschränke, Automobile und Brücken."

Konventionelle Stahlerzeugung braucht Koks

Bei der heutigen Stahlproduktion wird der stark kohlenstoffhaltige Brennstoff Koks benutzt. Er dient dazu, den im Eisenerz gebundenen Sauerstoff zu entfernen. Als erwünschter Nebeneffekt wird das Eisenprodukt im Höllenfeuer des Hochofens zum flüssigen Roheisen aufgeschmolzen.

"Das Hochofenverfahren ist jetzt nicht nur in Salzgitter, sondern weltweit das produktivste und das kostengünstigste Verfahren – aber der Hochofen ist halt der CO2-Produzent in einem Hüttenwerk."
Die europäischen Stahlhersteller müssen mit rasant steigenden Kosten durch den Zukauf von Verschmutzungsrechten aus dem EU-Emissionshandel rechnen. Das ist mit ein Grund, warum die Salzgitter AG mit ihrem Pilotprojekt SALCOS darauf setzt, das Treibhausgas lieber zu vermeiden.
Möglich wird das durch eine veränderte Produktionsweise. Dabei wird der Kohlenstoff - vereinfacht gesagt – durch Wasserstoff ersetzt. Und je mehr Wasserstoff im Spiel ist, desto weniger CO2 wird am Ende in die Atmosphäre geblasen, erläutert Alexander Redenius von der Konzernforschung:

"Wir ersetzen den heute genutzten Kohlenstoff im Hochofenprozess durch Wasserstoff. Dass also nicht mehr Kohlenstoff als Reaktionspartner des Sauerstoffs im Eisenerz fungiert, sondern halt dann Wasserstoff. Und wenn Wasserstoff mit Sauerstoff reagiert, reagiert es zu H2O, also Wasser - und das ist ja ein Produkt, das unproblematisch ist."

Chemischer Prozess mit Wasserstoff

Den Wasserstoff holt man sich derzeit noch über den Umweg Erdgas, dessen Hauptbestandteil Methan viel Wasserstoff enthält. Doch die Planer in Salzgitter setzen darauf, den Kohlenstoff ganz und gar aus dem Produktionsprozess zu verbannen.
In Zusammenarbeit mit Fraunhofer Instituten erforscht die Projektgruppe um Redenius, wie sich das Erdgas in weiteren Schritten stufenweise durch sogenannten grünen Wasserstoff ersetzen lässt – also Wasserstoff, der mittels Elektrolyse aus Windstrom erzeugt wird.
"Hier sind wir an der Green Industrial Hydrogen-Versuchsanlage!"

Bereits 2018 präsentiert Alexander Redenius ein weiteres Forschungsprojekt, an dem die Salzgitter AG beteiligt ist. Noch passt die Versuchsanlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in zwei unscheinbare Industriecontainer. Redenius müsste für den Wasserstoff-Einsatz in industriellen Prozessen noch reichlich aufrüsten. An der technischen Machbarkeit zweifelt der Projektleiter nicht:

"Elektrolyse - ganz einfach gesprochen - ist ja, wie man vielleicht aus dem Physikunterricht noch weiß: Man hat zwei Elektroden, hält die ins Wasserglas – und dann entsteht auf der einen Seite Wasserstoff und auf der anderen Seite Sauerstoff. Das machen wir hier auch, mit einem etwas anderen Prinzip, das nennt sich Hochtemperatur-Elektrolyse. Wir haben die Möglichkeit, hier Dampf einzubinden, deswegen haben wir auch einen höheren elektrischen Wirkungsgrad."

Durch die Umstellung auf das Verfahren wird mehr Strom gebraucht. Mit Industriepartnern wie Siemens und Fördermitteln der EU will das Unternehmen deshalb noch viel weiterreichende Pläne verwirklichen. Bis Ende des Jahres soll auf dem Werksgelände neben sieben Windkraftanlagen auch der weltgrößte Hochtemperatur-Elektrolyseur für die kommerzielle Erzeugung von Wasserstoff entstehen.

Milliardenschwere Fördergelder

Der Bund hat zwar gerade ein milliardenschweres Förderpaket beschlossen – aber das Geld ist vielerorts begehrt. Auch Wettbewerber wie Thyssen-Krupp betreiben konkrete Forschungsprojekte, um ihre Produktion bis spätestens 2050 auf Wasserstoff umzustellen. Bei einer Stippvisite in Salzgitter dämpft Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) denn auch die Erwartungen:

"Wir dürfen neun Milliarden Euro insgesamt ausgeben, aber wir müssen schon gucken, dass das eben nicht nur ein deutsches Projekt ist, sondern ein europäisches. Wir haben ja noch ein anderes Projekt, Carbon2Chem, in Duisburg mit ThyssenKrupp auf dem Weg. All diese Beiträge sind Beiträge aus Deutschland heraus – aber man muss sie immer im europäischen Zusammenhang sehen."

Könnte die gesamte Stahlproduktion in Salzgitter auf Wasserstff umgestellt werden, ließe sich der CO2-Ausstoß nach Modellrechnungen um bis zu 95 Prozent reduzieren. Doch schon für die erste Ausbaustufe müsste das Unternehmen mehr als eine Milliarde Euro investieren.

"Schon die erste Stufe SALCOS, die ja zwei Millionen Tonnen CO2 vermindert, von den acht Millionen Tonnen, die wir hier jedes Jahr produzieren, ist das Äquivalent von einer Million Elektroautos gegenüber einer Million konventionell betriebenen Autos."

Mehr CO2-Sparpotenzial als durch Elektromobilität

Der Stahlkocher muss umbauen, Brüssel und Berlin sollen jetzt helfen. Fuhrmann rechnet sofort los: Die hohen Zuschüsse für die Elektromobilität seien im Grunde falsch investiert. Salzgitter liefere die gleichen CO2-Einsparungen viel billiger:

"Eine Milliarde Investitionen für diese erste Stufe SALCOS ist viel Geld, auch wenn wir ja heutzutage daran gewohnt sind, dass die Milliarden nur so durch die Luft fliegen - gleichwohl ist es nur ein Fünftel dessen, was die Bezuschussung von Elektroautos vor der Aufstockung im Corona-Konjunkturpaket ausgemacht hat."

Ein besonders wunder Punkt bei der Nutzung von Wasserstoff war bislang die doppelte Belastung durch die EEG-Umlage – K.O.-Kriterium für viele Projekte, weil die unter Marktbedingungen kaum noch finanzierbar waren. Die Berliner Koalitionäre wollen die Elektrolyseure jetzt von der EEG-Umlage befreien – Fuhrmann begrüßt das:

"Der Strompreis hierzulande ist heutzutage schon, ohne EEG-Abgabe, viel höher als das in vielen Staaten des europäischen Auslandes, vor allen Dingen aber als es international der Fall ist – diesen Strom jetzt auch noch mit der EEU-Umlage zu belasten, würde auf längere Sicht jede Dekarbonisierung zunichte machen."
Salzgitter-Chef Fuhrmann sieht die Stahlbranche in einer Vorreiterrolle – doch im Wettbewerb mit den asiatischen Billiganbietern könne die Technik nicht bestehen. Die Transformation rechne sich nur, wenn die Politik dafür sorgt, dass es einen Markt gibt. Fuhrmann ist skeptisch, dass sich Handelspartner wie China und die USA Importzölle auf besonders mit Kohlendioxid belastete Produkte bieten lassen.

"Weil ja in der ganzen Nahrungskette der Wertschöpfung Wettbewerbsfähigkeit herrschen muss, und eben in China, in den USA solche Themen und damit auch solche latenten Mehrkosten gar nicht zur Debatte stehen. Es muss ein Anreizsystem geschaffen werden, diese Produkte, wie beispielsweise grünen Stahl, auch tatsächlich einzusetzen – ohne dass unsere Abnehmer dafür Wettbewerbsnachteile werden hinnehmen müssen."

Niedersachsen als Profiteur der Energiewende

Für die Erzeugung von grünem Wasserstoff kommt aus Sicht der norddeutschen Küstenländer in erster Linie Strom in Frage, der bei starkem Wind nicht anderweitig verwendet werden kann. Doch der wird bei Weitem nicht ausreichen, gibt Bundesforschungsministerin Karliczek zu bedenken:

"Wir sind heute Energie-Importeur, einen Großteil unserer Energie importieren wir – und das wird auch zukünftig so sein. Deswegen loten wir gerade auch mit afrikanischen Ländern einen so genannten Potentialatlas für den grünen Wasserstoff aus: Wo kann Wasserstoff wesentlich effizienter, wesentlich kostengünstiger produziert werden als in Deutschland? Da kommen natürlich gerade wind- und sonnenreiche Staaten in Frage. Deswegen der Potentialatlas mit 31 afrikanischen Staaten."

Als Profiteur der Energiewende sieht sich auch Niedersachsen. Das norddeutsche Flächenland setzt massiv auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, allen voran der Windkraft.
Der Standort Salzgitter soll sich zum Reallabor für Wasserstoff wandeln: Ingenieure tüfteln dann an der komplexen Technik, Gründer entwickeln neue Geschäftsmodelle.
Neben der Salzgitter AG, an der das Land Anteile hält, sind auch diverse Forschungsinstitute sowie die Unternehmen Alstom, MAN und VW beteiligt.

Kohlendioxid vermeiden statt verpressen

Wird SALCOS realisiert? Constantin Zerger, Energieexperte der Deutschen Umwelthilfe, begrüßt das Pilotprojekt allen Hindernissen zum Trotz grundsätzlich. Sinnvoll sei eine Technologie, die CO2 schon von Beginn an vermeidet. Dann muss das Klimagas hinterher nicht irgendwo in der Erde verpresst oder unter großem Energieaufwand umgewandelt werden. Er spricht sich deswegen für eine Unterstützung von SALCOS mit öffentlichen Mitteln aus:

"Der Wasserstoff sollte da zum Einsatz kommen, wo es keine technischen Alternativen für eine Dekarbonisierung gibt. Das ist in der Stahlproduktion der Fall. Und gerade die Verbindung dann noch mit der Erzeugung erneuerbarer Energien ist ein sehr vernünftiger Weg, der auf jeden Fall unsere Unterstützung findet. Und dann brauchen wir ausreichend erneuerbare Energien, um diesen Wasserstoff überhaupt produzieren zu können. Der Ausbaupfad für Erneuerbare muss wieder auf Kurs kommen, hier muss die Politik ganz dringend handeln!"
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