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Zum Tod von Helmut Schmidt
"Er hat über das Machen auch nachgedacht"

Helmut Schmidt sei ein Macher gewesen, der aber über das Machen auch nachgedacht habe, sagte Schmidts politischer Weggefährte Klaus von Dohnanyi (SPD) im DLF. Zwar sei er mit Schmidt politisch nicht immer einer Meinung gewesen - etwa beim Nato-Doppelbeschluss. Aber Schmidts Wegweisungen seien immer nachdenkenswert gewesen.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.11.2015
    Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi.
    Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Weiter beschrieb Klaus von Dohnanyi den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt als einen Menschen mit "starken intellektuellen und denkerischen Qualitäten". Schmidt habe immer die Fähigkeit und das Interesse gehabt, Dinge zu verstehen. Unter anderem darum sei er so ein wichtiger Politiker und Denker gewesen.
    Besonders in seiner Zeit als Elder Statesman habe Schmidt viel über die Entwicklung Europas und Deutschlands nachgedacht und mit seinen Büchern neue Impulse gegeben. Schmidt sei in in der Hauptsache zeitkritisch gewesen. Auf die Frage nach Helmut Schmidts Beliebtheitsgrad in der deutschen Bevölkerung während seiner Kanzlerzeit sagte Dohnanyi: "Man muss nicht beliebt sein, um als bedeutend erkannt zu werden."

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Politiker aller Parteien haben nach dem Tod von Altkanzler Helmut Schmidt dessen Verdienste gewürdigt. Bundespräsident Joachim Gauck hat Schmidt als einen der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit bezeichnet. Der Altkanzler sei ein leidenschaftlich vernünftiger Denker gewesen. Und Altkanzler Gerhard Schröder, der fügte in der "Bild"-Zeitung hinzu: "Wie nur wenige in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat er es verstanden, durch beherztes staatliches Handeln existenzielle Krisen zu meistern und zugleich den Menschen Orientierung in Zeiten der Unsicherheit zu geben." - Am Telefon ist jetzt von Klaus von Dohnanyi von der SPD. Er war von 1972 bis 1974 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und später Bürgermeister von Hamburg. Guten Morgen.
    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen!
    Kaess: Herr von Dohnanyi, haben Sie gestern auch einen Freund verloren?
    von Dohnanyi: Ja gewiss. Ich habe auf jeden Fall jemanden verloren, mit dem ich fast 50 Jahre lang engen politischen Kontakt hatte und mit dem ich auch viele gemeinsame Erfahrungen hatte, insbesondere natürlich in der Zeit, in der wir gemeinsam im Kabinett in der Großen Koalition und dann hinterher in der Regierung Brandt waren.
    Kaess: Sie haben jetzt gerade vom politischen Kontakt gesprochen. Hatten Sie in letzter Zeit auch noch persönlichen Kontakt zu ihm?
    von Dohnanyi: Hatte ich auch, allerdings nicht in den letzten Wochen.
    "Wir haben die Rüstungspolitik unterschiedlich bewertet"
    Kaess: Haben Sie seine Positionen immer geteilt?
    von Dohnanyi: Nicht immer. Es gab zum Beispiel zwischen mir und ihm eine unterschiedliche Beurteilung in der Frage der Rüstungspolitik, insbesondere in der Frage der sogenannten Mittelstreckenraketen und all dem, was mit der sogenannten Nachrüstung damals zu tun hatte, und insofern hatten wir auch Meinungsverschiedenheiten. Aber wir hatten eben auch eine lange Periode vieler gemeinsamer Positionen, unter anderem auch natürlich in der Frage des Aufbaus Ost und der Wiedervereinigung.
    Kaess: Wie hat diese Kontroverse ausgesehen? Schmidt war ja ein Mann der klaren Worte. Haben Sie das auch damals in dieser Auseinandersetzung geschätzt?
    von Dohnanyi: Ja, das habe ich immer geschätzt, weil ich genauso bin. Man muss halt seine unterschiedlichen Positionen klarmachen und man muss insbesondere seine unterschiedlichen Positionen mit Vernunft und mit einer gewissen Angemessenheit an das Thema deutlich machen, und insofern war das mit diesem NATO-Doppelbeschluss und so weiter aus meiner Sicht nicht wirklich rational, weil ich den Eindruck hatte, wir haben an sich die Möglichkeit im Westen der Verteidigung auch ohne diese zusätzlichen Mittelstreckenraketen. Aber Schmidt war anderer Meinung und wie gesagt, solche Sachen erträgt man und da kommt man auch zusammen dann am Ende wieder auf eine gemeinsame Basis.
    Kaess: Wenn wir uns mal seine Ämter und sein Wirken anschauen: 1962 Bürgermeister in Hamburg. Dann während der Sturmflut ...
    von Dohnanyi: Er war nicht Bürgermeister. Er war hier Innensenator.
    "Er hat viel nachgedacht über Europa"
    Kaess: Innensenator und dann während der Sturmflut, um dazu zu kommen, als Krisenmanager, diese große Beliebtheit, die er damals erlangt hat. Dann später Fraktionsvorsitzender, Verteidigungsminister, dabei gleichzeitig Wirtschaftsminister noch für kurze Zeit, Finanzminister, Kanzler und, als die Koalition zerbrach, dann noch für zwei Wochen das Auswärtige Amt mit übernommen. Diese Kategorisierung "Macher", die ist unumstritten, oder?
    von Dohnanyi: Ja, die ist unumstritten. Aber er ist zugleich jemand gewesen, der über das Machen auch nachgedacht hat. Er war ein Mann, wie man auch nach seiner Amtszeit erkennen konnte, in dieser langen Periode seit 1982, in der er ja über das Wort, über das Buch einen großen Einfluss auf Deutschland ausgeübt hat, und insofern hatte er auch eine starke intellektuelle, eine denkerische Kapazität. Und ich finde, der Bundespräsident hat da völlig recht, wenn er den Denker mit in den Mittelpunkt stellt. Er hat wirklich sehr viel nachgedacht über die Entwicklung Europas und Deutschlands und hat auch gerade die Beziehung Deutschlands zu seinen Nachbarn immer wieder ins Auge gefasst.
    Kaess: Und war er als dieser Denker auch seiner Partei öfter voraus?
    von Dohnanyi: Na ja, wir sind dann alle irgendwo. - Ja, er war natürlich auch voraus. Hauptsächlich war er auch zeitkritisch. Er hat zum Beispiel in der Debatte im Frühjahr 1982 ja eine große Diskussion mit seiner Fraktion, mit der SPD-Bundestagsfraktion gehabt über die Frage, ob man mit mehr Schulden in der Lage ist, auf die Dauer die Wirtschaft anzukurbeln, und er war anderer Meinung und das war eigentlich der entscheidende Grund, warum er dann am Ende auch mit dem Misstrauensvotum gescheitert ist, weil er sich in dieser Frage nicht hat durchsetzen können.
    "Die Grünen haben sich an ihm gerieben"
    Kaess: Sie haben den NATO-Doppelbeschluss angesprochen. Die Gegner, die Umweltschützer am Ende dann von Schmidts Regierungszeit, die neue Partei Die Grünen. Ist er verantwortlich dafür, dass die Grünen so stark geworden sind?
    von Dohnanyi: Nein, nein, nein, nein, nein! Das ist ja eine ziemlich weltweite Entwicklung. Dafür war er nicht verantwortlich. Aber die Grünen haben sich natürlich an ihm gerieben.
    Kaess: Und er hat es befördert dadurch?
    von Dohnanyi: Wie bitte?
    Kaess: Er hat es befördert dadurch, dass sie so stark geworden sind?
    von Dohnanyi: Das mag vielleicht sein. Aber ich glaube nicht, dass das entscheidend ist. Entscheidend war damals, dass da eine - - Die Bewegung hat ja eigentlich in Amerika angefangen. Diese Hippie-Bewegung in den USA war ja, wenn man so will, eine Art grüner Bewegung. Nein, das kann man ihm nicht zuschreiben. Aber er hat Position dagegen bezogen und die hat er sehr klar und sehr deutlich bezogen.
    Kaess: Eine Umfrage im "Stern" zu seinem 95. Geburtstag, die hat ihn sogar als wichtigsten Kanzler der Nachkriegszeit gezeigt, und zwar vor Adenauer, Brandt oder Kohl. Warum hat er so lange über seine Kanzlerschaft hinaus so stark gewirkt?
    von Dohnanyi: Eben wegen seiner Fähigkeit und seinem Interesse, die Dinge zu verstehen, sie realistisch zu betrachten und dann auf diesem Hintergrund eine Wegweisung zu geben, die auch sehr nachdenkenswert war. Auch da musste man nicht immer alles teilen, was er gesagt hatte und was er gefordert hatte, aber er war auch ein sehr starker Denker. In der Beurteilung, wer war wichtiger als Bundeskanzler, dem würde ich mich so nicht unmittelbar anschließen, weil da gibt es für jeden seine Position: Adenauer mit der Westbindung, Brandt mit der Ostpolitik, Schmidt mit der Bewältigung der Krise der RAF. Jeder hat da seine Position, aber er war ganz ohne Zweifel einer der bedeutenden Bundeskanzler.
    "Man muss nicht beliebt sein, um bedeutend zu sein"
    Kaess: Er war aber dennoch nicht immer so beliebt. Haben die Deutschen denn erst in den letzten Jahren erkannt, was sie an ihm haben?
    von Dohnanyi: Das weiß ich nicht. Man muss nicht beliebt sein, um als bedeutend erfasst zu werden. Die Leute haben verstanden, dass er ein bedeutender Kanzler ist und war, aber deswegen müssen sie ihn nicht notwendigerweise auch geliebt haben. Man hat auch Adenauer, viele haben auch Adenauer nicht geliebt und trotzdem gewusst, wie bedeutend er war. Das würde ich an der Beliebtheit nicht messen. Er war ein sehr einflussreicher und wichtiger Politiker in der Nachkriegszeit der westlichen Welt und dann auch mit in der Begleitung von Brandt und dann nach Brandt in der Annäherung an den Osten.
    Kaess: Was bleibt für die Partei, mit der er ja auch oft im Streit lag?
    von Dohnanyi: Die Aufforderung, den Verstand vor die Gefühle zu stellen und mit dem Verstand mutig zu analysieren, was wirklich in der Welt geschieht und sich dieser Erkenntnis dann auch zu stellen und sich nicht zu verstecken hinter Hoffnungen.
    Kaess: Sehen Sie da in der Kontroverse mit der Partei Parallelen zu Altkanzler Schröder?
    von Dohnanyi: Ja, in gewisser Weise auch natürlich. Schröder hatte seinen Punkt, indem er ja nicht nur die Agenda 2010, sondern auch in der Außenpolitik Akzente gesetzt hat, insbesondere in der deutschen Nichtbeteiligung an dem Irak-Krieg. Wenn ein Kanzler wirklich oder eine Kanzlerin wirklich etwas taugt, dann ist er in kritischen oder ist sie in kritischen Positionen auf der richtigen und mutigen Seite, und das hat Schmidt ganz bestimmt ausgezeichnet, ist gar keine Frage.
    Kaess: Zum Tod von Helmut Schmidt war das Klaus von Dohnanyi von der SPD, ehemals Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und später Bürgermeister von Hamburg. Danke für dieses Gespräch heute Morgen.
    von Dohnanyi: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.