Kleiner Abriss italienischer Mentalitäten

17.09.2008
"Was für ein Leben" ist ein leichtfüßiger Geschichtsreigen über die untergegangene Zeit der Jugend. Der 1937 geborene Schriftsteller Gianni Celati erzählt mit einem ironischen Augenzwinkern aus dem Alltag in der italienischen Provinz in scheinbar absichtslosen Abschweifungen. Genau wie seine jugendlichen Helden den Frauen erliegen, bezirzt auch der Autor uns mit melancholischer Beiläufigkeit.
Es ist ein bisschen so, als schlüge man ein altes Fotoalbum auf: Der Blick bleibt mal an diesem, mal an jenem Bild hängen, nimmt einen vergessenen Schulkameraden oder die verführerische Gestalt einer Lehrerin in den Blick, um sich in kleinen Anekdoten und Erinnerungen zu verlieren, ihnen eine Weile nachzuhängen und weiter zu blättern. Dies ist die Haltung des Ich-Erzählers in Gianni Celatis neuem Band "Was für ein Leben", einem leichtfüßigen Geschichtenreigen über die untergegangene Zeit seiner Jugend.

Mit ironischem Augenzwinkern lässt Celati seinen Erzähler unter Klarnamen agieren und porträtiert die Bewohner einer italienischen Kleinstadt in der Nachkriegszeit. Es sind Jugendliche, die, wie es heißt, an bestimmten Straßenecken "weiden", sich herumtreiben, und wie Rinder unermüdlich dasselbe Gras wiederkäuen und die ewig gleichen Gespräche führen.

Zoffi, Pucci und Bordignoni reden natürlich vor allem über Frauen. Was sind Frauen doch für seltsame Wesen, wie sie mit wogenden Brüsten so wollüstig die Straße entlang schlendern! Bloß wie kommt man sie heran? Bordigonis Plan, die Englischlehrerin kurzerhand ans Bett zu fesseln, löst sich natürlich in Luft auf. Ein anderer der vielen "weidenden" Nichtsnutze geht Tag für Tag in ein bestimmtes Café und bestellt unermüdlich Espresso, um der Kellnerin Rossana vielsagende Blicke zuzuwerfen. Die Quittung sind Herzrhythmusstörungen und ein Krankenhausaufenthalt.

Aber auch Zoffis Unterfangen, einen philosophischen Diskussionszirkel zu betreiben, ist keine große Zukunft beschert. Zoffi, den das Schicksal grausamer Weise zum Erben des väterlichen Tabakladens gemacht hat, hat erkannt, dass der Mensch von den Dingen des Lebens getrennt ist. Noch dramatischer verläuft der Werdegang seines Schwagers.

Herr Bacchini, ein kleinbürgerlicher Bankangestellter, fasst nämlich eine unglückselige Vorliebe für die Literatur. Obwohl er mit seinem kleinbürgerlichen Dasein samt Häuschen und Ehefrau ganz zufrieden ist, schreibt er Geschichten über das Gefühl des Eingezwängtseins. Als die Erzählung in der örtlichen Zeitung erscheint und seine Ehefrau zufällig ein paar Zeilen liest, nimmt sie alles, was ihr Ehemann schwarz auf weiß dargelegt hat, für bare Münze und verlässt ihn Knall auf Fall. Und so wird die Geschichte von Herrn Bacchetti, der eine Geschichte schreibt, zu einem Beleg dafür, wie sehr die Literatur das Leben verändern kann.

Eine ähnliche Erkenntnis stellt sich auch bei Virgilio Tritone ein, einem hoch geschätzten Schriftsteller der Region, Verfasser von 27 historischen Romanen. Dieser Herr hört eines Tages, wie sich ein Freund des Ich-Erzählers im Café über die Überflüssigkeit dieser Bücher verbreitet. Sollte der kleine Gymnasiast etwa recht haben? Herr Tritone wird von nie gekannten Selbstzweifeln überfallen und zieht auf seine alten Tage bei seiner Mutter aus. Dann passieren aber noch ganz andere Dinge, die nur noch indirekt mit ihm zu tun haben.

Die ungeplanten Verwicklungen und Verstrickungen haben natürlich Prinzip: In der absichtslosen Abschweifung, mit der uns der Autor von Geschichte zu Geschichte leitet und in die Geschicke der italienischen Provinz einweiht, besteht die Kunst von Gianni Celati. Genau wie seine jungen Männer den Frauen erliegen, bezirzt auch er uns mit melancholischer Beiläufigkeit.

Die sieben Erzählungen sind über das Personal und den Handlungsort miteinander verbunden. Gianni Celati, 1937 in Sondrio geboren, Übersetzer und Schriftsteller, ist seit über dreißig Jahren hauptsächlich in England ansässig. Es zählt zu seinen Eigenarten, das mündliche Erzählen nachzubilden und genau wie ein mittelalterlicher Cantastorie mal diesen, mal jenen Faden wieder aufzunehmen. Sein neuer Geschichtenband ist ein kleiner Abriss italienischer Mentalitäten.

Rezensiert von Maike Albath

Gianni Celati: Was für ein Leben! Episoden aus dem Alltag der Italiener
Erzählungen, Aus dem Italienischen von Marianne Schneider
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2008,
272 Seiten, 19,90 Euro