Kleine Renten

"Typisch weibliche Erwerbsbiografien führen in Altersarmut"

06:37 Minuten
Eine weißhaarige Frau sitzt mit dem Rücken um Betrachter und hält ein Baby im Arm.
Altersarmut von Frauen bleibt oft unsichtbar, weil die betroffenen Frauen ihre Notlage aus Scham verstecken und anderen ihre Hilfe anbieten. © imago/Panthermedia
Irene Götz im Gespräch mit Ute Welty  · 09.03.2019
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Wegen ihrer geringeren Renten sind insbesondere Frauen von Altersarmut bedroht. Die Ethnologin Irene Götz hat in Interviews ihre Lebenssituation erforscht. Sie fordert, dass auch Beamte und Selbständige in die Rentenversicherung einzahlen müssen.
Ute Welty: Viel ist gesprochen worden über die Rolle der Frauen in der vergangenen Woche, nicht zuletzt wegen des internationalen Frauentags. Und da ist dann auch das Buch erschienen, das Irene Götz herausgegeben hat. Sie ist Professorin am Institut für Volkskunde und europäische Ethnologie der Universität in München und sie hat ein vierjähriges Forschungsprojekt geleitet, darüber, wie Frauen mit Altersarmut umgehen. Guten Morgen, Frau Götz!
Irene Götz: Guten Morgen!
Welty: Bei Ihrem vielen Gesprächen mit betroffenen Frauen, welche Geschichte hat Sie besonders beeindruckt?
Götz: Ja, das waren sehr, sehr viele. Eine, die ist mir besonders in Erinnerung, eine ehemalige Altenpflegerin, die frühverrentet wurde mit Anfang 60 – übrigens aufgrund ihrer vielen berufsbedingten Erkrankungen –, hat immer gearbeitet, hat also alles eigentlich richtig gemacht, hat in die Rente eingezahlt und kann nun im Alter von ihrer im Vergleich zu anderen Frauen recht guten Rente von 1200 Euro in München keine Wohnung finden.
Das heißt, sie hat beim Wohnungsamt vorgesprochen, stand auf einer Warteliste, sie hatte keine Chance. Und sie schläft auf einem Klappbett im Flur ihrer Tochter, ist verzweifelt, weil sie hat keinen Intimraum, sie kann niemanden treffen.
Sie sagt, ich habe über 40 Jahre lang hier gearbeitet, in leitender Position als Altenpflegerin zum Schluss, habe die alten Menschen für die Gesellschaft gepflegt, habe selber als Migrantin zwei Töchter großgezogen und die Enkel mit betreut, aus allen ist etwas geworden – und der Staat, die Gesellschaft gibt mir im Alter so wenig zurück, dass ich in einer Großstadt fast obdachlos bin.
Welty: Dieser ehemaligen Altenpflegerin dürfte man die Armut auch nicht ansehen. Mit welchen Strategien versuchen Frauen das zu vermeiden?
Götz: Das sind die Frauen, die Kriegskinder und Nachkriegskinder, die viele Fertigkeiten noch mitbringen und auch eine Haltung der Bescheidenheit, des Sich-Zurücknehmens, Verzichtens, Sparens. Aber sie können zum Beispiel stricken, vorkochen, sie wissen, wo man günstig Lebensmittel bekommt, und all das hilft ihnen, zurechtzukommen. Das alles hat uns sehr berührt, weil so wenig Widerstand auch da war, sondern Haltungen wie 'Man hat sich arrangiert'.

"Gesund leben, das ist mit diesen Renten überhaupt nicht möglich"

Welty: Aber das sind schon Strategien wie nach dem Krieg oder?
Götz: Ja, es sind Strategien wie nach dem Krieg, man trennt Wolle wieder auf, strickt neue Pullover daraus, kann sich aber oft nur die Billigwolle kaufen, die einen Euro das Knäuel kostet. Man kocht etwa aus Kohlrabi-Blättern, die man im Supermarkt umsonst bekommt, weil sie sonst weggeworfen werden, kocht man Krautwickel. Man isst am Ende des Monats halt nur ein paar Spiegeleier. Das sind Strategien, die wirklich erlernt sind auch, die hilfreich sein können, wobei für diejenigen, die wirklich vielleicht auch nur eine Rente von 300, 400 Euro haben und Grundsicherung dazu bekommen, für die reicht das auch nicht. Und gesund leben und sozial eingebunden mit Teilhabe an der Gesellschaft, das ist mit diesen Renten überhaupt nicht möglich.
Welty: Inwieweit macht es einen Unterschied, wenn Altersarmut Frauen trifft, die nicht unbedingt damit gerechnet haben, die einen Hintergrund haben, der als bildungsbürgerlich gilt.
Götz: Ja, das ist doppelt mit Scham besetzt. Man gibt das gegenüber den Familienangehörigen kaum zu. Man versucht, die Kleidung zu schonen, sodass man ja nach außen nicht sieht, dass man bedürftig ist. Und was uns sehr berührt hat, man möchte trotzdem, gerade bei den bürgerlichen Frauen, immer weiter geben, den Familien etwas mitgeben, Geschenke für die Enkelkinder, Hilfsdienste. Und das nicht mehr zu können, weil man es sich kaum leisten kann, da ist so schambesetzt, dass viele Familienangehörige oft gar nicht wissen, wie es eigentlich um die Angehörigen steht.
Welty: Sie sagen, weibliche Altersarmut ist strukturell bedingt. Welche Strukturen haben Sie da im Auge?
Götz: Also, zunächst war es in dieser jetzigen Generation die oft geringe Bildung, die man in Mädchen, vor allem vor der Zeit der 68er-Generation, investiert hat. Sie haben dann in bestimmten, sage ich mal, früher nannte man das Frauenberufen, das gilt nicht für alle, aber für viele, gearbeitet. Arbeit nur bis zur Eheschließung, danach vielleicht Teilzeit, Erwerbslücken. Das sind typische weibliche Erwerbsbiografien, und die führen natürlich auch in die Altersarmut.
Welty: Jetzt sind wir ja eine Generation weiter, demnächst werden ja die Babyboomer in Rente gehen. Und Sie befürchten, dass genau diese Frauen aus dieser Generation auch in die Falle Altersarmut tappen. Was bedeutet das dann?
Götz: Ja, es sind erstens viel mehr. Und die Frauen sind in der Wohlstandsgesellschaft der 60er-Jahre aufgewachsen und haben möglicherweise diese Spartechniken und Selbsthilfetechniken nicht mehr und sie sind sicher auch nicht mehr so bescheiden und sich zurücknehmend. Das kann gut sein, weil sie dann vielleicht auch politisch mehr auf sich aufmerksam machen, es kann aber auch zu sozialem Unfrieden führen und möglicherweise auch zu Radikalisierungen. Auf jeden Fall wird eine größere Bedürftigkeit sichtbar werden.

"Das Rentensystem muss konsolidiert werden"

Welty: Was muss politisch passieren, um die Lage grundlegend zu verbessern? Was bringt beispielsweise die Mütterrente?
Götz: Die Mütterrente bringt nicht so sehr viel, muss man sagen, sie bringt eine symbolische Anerkennung, aber es sind ja nur wenige Rentenpunkte, die für die geborenen Kinder erbracht werden. Die Rente ist auf Erwerbsarbeit aufgebaut, und das bedeutet, dass Frauen, die wenig Erwerbsarbeit geleistet haben, auch weniger Rentenpunkte bekommen. Das Rentensystem muss trotzdem so behalten werden, aber konsolidiert werden, verbessert werden. Es müssen mehr Beitragszahler her, möglicherweise auch die Privilegien von Beamten müssten mal überdacht werden, dass die einzahlen, und es müsste das Rentenniveau auf jeden Fall angehoben werden. Wir haben ja jetzt die Diskussion um die Grundrente, die ist auch wichtig und richtig, weil das eine Reparaturmaßnahme wäre für all diejenigen, die jetzt im Niedriglohnsektor gearbeitet haben und deswegen einfach jetzt im Moment betroffen sind. Man muss auch im Übrigen den Arbeitsmarkt konsolidieren, diese ganzen Niedrig- und Minijobs, die bringen eben keine Rentenpunkte.
Welty: Das klingt aber schon so, als ob Sie ein bisschen die Idee der Bürgerversicherung verfolgen.
Götz: Ja, das ist ein Modell. Die Bürgerversicherung würde ja auch bestimmte Kapitalvermögen mit hineinspeisen, das müsste man überlegen. Auf jeden Fall müsste jede Form von Erwerbsarbeit auch in die Rente hineingerechnet werden. Und gerade Beamte sind ja häufig auch die Besserverdienenden, auch Selbstständige, das wird ja von der Großen Koalition auch angedacht oder umgesetzt, dass Selbstständige einzahlen müssen. Und je größer die Zahl derer ist, die einzahlen, desto höher wird dann natürlich auch das Volumen. Vorübergehend werden wir aber auf jeden Fall, gerade auch, wenn die Babyboomer kommen, nicht umhin kommen, Steuern noch mehr in die Rente hineinzupumpen, damit es überhaupt reichen wird.
Welty: Frauen und Altersarmut, Volkskundlerin Irene Götz hat dazu geforscht und die Ergebnisse in einem Buch veröffentlicht. Frau Götz, ich danke Ihnen!
Götz: Ja, ich danke Ihnen!

Irene Götz (Hrsg.): Kein Ruhestand - Wie Frauen mit Altersarmut umgehen
Kunstmann Verlag 2019, 320 Seiten, 20 Euro

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