Klein schlägt Groß

Von Wulf Schmiese · 16.11.2013
Bei den Koalitionsverhandlungen sind die Sozialdemokraten schon zur Halbzeit der Gewinner, findet der Journalist Wulf Schmiese. Flächendeckender Mindestlohn, Doppelpass, rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare - das Land diskutiere allein über die Forderungen der SPD. Sie bestimme die "mediale Agenda".
Die Union hat die Bundestagswahl haushoch gewonnen. Aber sie wird diese Koalitionsverhandlungen verlieren. Es ist zwar erst Halbzeit. Doch die SPD führt – und sie ist wohl nicht mehr einzuholen.

Vor 25 Tagen begann das Spiel – in 25 Tagen wird es enden. Da stimmen die Genossen dann bereits über den Koalitionsvertrag ab. Und nur wenn sie ihre SPD darin als Sieger erkennen, werden sie einer Großen Koalition zustimmen.

Jetzt erst wird richtig klar, was das bedeutet: Allein die SPD-Basis entscheidet über die Wiederwahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin. Damit hat die SPD von vornherein die Union – man kann es so hart sagen: erpressbar gemacht.

Trotzdem war am 23. Oktober, dem Tag eins der schwarz-roten Verhandlungen, die Stimmung geradezu herzlich. Da dachten wir noch erstaunt: Donnerwetter, wie konnte aus den Wahlkampfgegnern so schnell eine einzige große Mannschaft werden? Hier scherzend, dort duzend saßen die 75 aus CDU, CSU und SPD zum Auftakt am gigantischen Verhandlungstisch beisammen.

Was fast wie Freundschaft aussah, ist Gegnerschaft geblieben
Fünfmal haben sie sich bis jetzt in dieser Riesenrunde getroffen. Und weit über 50 mal in den zwölf Arbeitsgruppen, deren Auftrag am Dienstag endet. Doch was anfangs fast wie Freundschaft aussah, ist Gegnerschaft geblieben. Die SPD war vom ersten Tag an darauf bedacht, nur ihre Punkte zu setzen. Das ist ihr weitgehend gelungen.

Flächendeckender Mindestlohn, Doppelpass, rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare; und auch noch die – vom Bund finanzierte – Ausstattung Deutschlands mit Ganztagsschulen – darüber diskutiert das Land.

Über 50 Milliarden Euro haben sich schon an Wünschen angestaut in den Arbeitsgruppen. Zu dieser stattlichen Summe haben CDU und CSU beigetragen, die dem Volk auch etwas geben wollen über Mütterrente und Betreuungsgeld hinaus.

Nun werden am Ende die drei Parteivorsitzenden gemeinsam prüfen, was geht und was nicht. Doch selbst da kann die Kanzlerin schwerlich punkten.

Denn sie muss versuchen, die einzigen zwei Bedingungen ihrer Partei aufrechtzuerhalten: keine neuen Schulden und keine Steuererhöhungen.

Weitere Forderungen hat die CDU öffentlich gar nicht erst gestellt. Das ist Angela Merkels ewiger Trick nach dem Motto: Wer keine Latte auflegt, kann beim Sprung auch keine reißen.

Debattiert wird in Koalitionsverhandlungen immer am lautesten das, was anders werden soll. Die Vorschläge dazu können ja im Grunde nur von der bisherigen Oppositionspartei SPD kommen. Damit bestimmt sie die mediale Agenda. Die Union kann nur abwehren oder nachgeben.

Und dann gelingt es der SPD auch noch, die Union zu spalten in abseitigen Debatten. Im Gegensatz zur CDU fordert auch die CSU mehr Volksentscheide. Das tut sie vor allem, um bei der kommenden Europawahl für EU-Skeptiker attraktiv zu sein. Die Partei der Kanzlerin steht hier bei der Abwehr ganz allein da.

Schon jetzt gibt es eine parlamentarische Mehrheit links der Union
Sie muss auch die Maut-Idee der CSU zunehmend allein abwehren. Denn bei der SPD erkennen immer mehr, dass sie hier der Kanzlerin bleibende Kratzer zufügen könnten: Käme es zur allgemeinen Pkw-Maut, hätte die Bundeskanzlerin ihr Wort gebrochen.

Will Angela Merkel Kanzlerin bleiben, gibt es für sie keinen Ausweg mehr, als sich wesentlichen Forderungen der SPD zu fügen. Bislang hieß es: Sollten die Koalitionsverhandlungen scheitern, könnten wieder Gespräche mit den Grünen aufgenommen werden.

Seit dem SPD-Parteitag sieht die Alternative anders aus. Das Tabu der Generation Schröder, auf keinen Fall mit der Linken zu koalieren, ist nun gebrochen. Der Weg für Rot-Rot-Grün wäre frei, sollte aus Schwarz-Rot nichts werden. Schon jetzt gibt es eine parlamentarische Mehrheit links der Union.

Das sind geradezu ideale Bedingungen für eine Partei, die eben das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Und es sind üble Bedingungen für eine Partei, die fast die absolute Mehrheit schaffte.

Der Wählerwille, auf den sich die verhandelnden Politiker stets berufen, wird in diesem Verhältnis gewiss nicht widergespiegelt.