Klavierdämonen

19.11.2013
Es spuckt durch den Raum – und immer noch in den Köpfen der heutigen Komponisten herum: Das Klavier, das romantischste aller Virtuoseninstrumente. Beim Breslauer Avantgarde-Festival Musica Electronica Nova standen eigentlich neue Beiträge der elektroakustischen Musik zum Musiktheater im Vordergrund.
Doch das Abschlusskonzert in der Philharmonie der niederschlesischen Hauptstadt brachte vor allem spannende Dialoge zwischen dem Klavier, der Elektronik und einem Sinfonieorchester ohne weiteres Bühnengeschehen.

Viele Gäste aus Frankreich waren dabei – kein Wunder, denn Elisabeth Sikora, die künstlerische Leiterin von Musica Electronica Nova, lebt und arbeitet in Frankreich, kennt sich aber auch in der elektronischen Szene ihres Heimatlandes wie in der ganz Europas gut aus. Die "Klangverwalter" des IRCAM, der französischen Kaderschmiede für elektronische Musik, präsentierten zwei Werke, die in ihrer Obhut entstanden sind, zusammen mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Wrocław unter Leitung des Pariser Dirigenten Pascal Rophé.

Seine zweite Aufführung überhaupt erlebte das Klavierkonzert "Echo-Daimónon" von Philippe Manoury. Was ist dämonisch an diesem Konzert, bei dem das Klavier und das großbesetzte Orchester von vier virtuellen elektronischen Klavieren umgeben werden? Wie kleine Teufel dringen die Klänge dieser unsichtbaren Tasteninstrumente, die live erzeugt werden, auf das Klavier ein, bis am Ende schließlich der reale Pianist selbst zum Dämon wird. Er brauche immer irgendeine Art Dramatik für seine Musik, meint Philippe Manoury.

Ganz anders klingt Zygmunt Krauzes Werk für Elektronik und Sinfonieorchester. Es trägt den geheimnisvollen Titel "Unterirdischer Fluss 2" und ist ein verkapptes Klavierkonzert. Die elektronischen Töne sind hier nämlich alle vom Klavier abgeleitet. Es gibt also einen "unterirdischen" Solisten, der sich wie ein unsichtbarer Fluss durch den Untergrund einer Großstadt windet, allerdings in sanften Wellen – Krauzes Musik ist bekannt für ihre kontrastlose Bogenhaftigkeit.

Festivalleiterin Elisabeth Sikora hat das Abschlusskonzert dem im vergangenen Jahr gestorbenen englischen Komponisten Jonathan Harvey gewidmet. Sein Werk für Orchester und Elektronik mit dem Titel "Speakings", das den zweiten Teil des Programms bildet, macht seinem Namen alle Ehre – die Instrumente des Orchesters lernen dank der elektronischen Klänge zu sprechen und sich der früh-menschlichen Artikulation anzunähern. Dieses Werk des bekennenden Buddhisten Harvey kann die Hörerinnen und Hörer direkt anrühren, denn zum Teil dringt Babybrabbeln aus den Lautsprechern und dient den Orchestermusikern als klangliche Gehhilfe. Eine höchst organische Art, elektronische mit akustischer Musik zu verbinden, hat Jonathan Harvey hier aufgezeigt.


Festival Musica Electronica Nova Breslau
Philharmonie Wrocław
Aufzeichnung vom 25.10.2013

Zygmunt Krauze
"Rzeka Podziemna 2" für Elektronik und Sinfonieorchester
(Uraufführung)

Philippe Manoury
Klavierkonzert "Echo-Daimónon"

ca. 21:05 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Jonathan Harvey
"Speakings"

Jean-Frederic Neuburger, Klavier
Thomas Goepfer/Arshia Cont/Gilbert Nouno, Elektronik
Sylvain Cadars, Klangregie
Sinfonieorchester der Lutosławski-Philharmonie Breslau
Leitung: Pascal Rophé