Klavierbauer Bechstein im Auftragshoch

Hausmusik gegen den Corona-Frust

09:03 Minuten
Werbeplakat der Firma Bechstein von 1898.
Bechstein war ein wichtiger Teil der Hausmusik im 19. Jahrhundert. © picture alliance / akg-images | akg-images
Von Peter Kaiser · 28.01.2021
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Musik zu Hause statt Live-Event: Der Klavierbauer C. Bechstein verzeichnet im Lockdown eine steigende Nachfrage. Manche sehen schon eine Renaissance der Hausmusik - und viele eine positive Wirkung auf die mentale Gesundheit.
Sechs Uhr am Morgen in der Berlin-Tempelhofer Attilastraße: Hier ist das Auslieferungslager der Firma C. Bechstein, Pianofortefabrik. In der riesigen Halle stehen überall Klaviere und Flügel, bereit für den Abtransport.

Pandemie belebt Nachfrage nach Instrumenten

Ein Pianola wird mit dem Transporthund, einer kleinen Schwerlastplatte mit Rädern, gerollt: Arbeitsalltag für den Klavierträger Sascha und dessen Kollegen. Die Männer hieven das Instrument in den Lkw.
Bis zu 500 Kilo wiegt ein Flügel, doch ihn zu transportieren, braucht nicht nur Muskelkraft, sondern auch Fingerspitzengefühl. Nur ein Kratzer und der Wert ist gemindert. Ein Klavier geht noch kurz vor den Weihnachtsferien zur Evangelischen Grundschule nach Potsdam.
"10-12 Klaviere haben wir schon. Also ich glaube, wir sind gegen 13 Uhr in Potsdam", sagt Sascha.
Am Berliner Sitz des C.-Bechstein-Konzerns erklärt Ralf Dewor, Geschäftsführer des Konzerns in der Hauptstadt: "Generell werden ja mehr Klaviere als Flügel verkauft. Das ist auch in der jetzigen Zeit der Pandemie so. Wobei der Absatz hochwertiger Instrumente im Vergleich zu Vorjahreszeiträumen gestiegen ist."
Normalerweise würden - während Sascha und seine Kollegen ausliefern - etwa im C.-Bechstein-Showroom des Stilwerks in der Berliner Kantstraße nun die Lichter angehen: Kunden kämen herein, um sich zu informieren. Sie würden Prospekte mitnehmen und vielleicht einen weiteren Beratungstermin vereinbaren.
Jetzt aber sind alle Verkaufsräume zu, Corona drückt Firmen in nahezu allen Bereichen zu Boden. Auch im Bechstein-Konzern macht sich die Pandemie bemerkbar - doch hier ist die Nachfrage trotz Schließungen ungewöhnlich hoch. Im Konzern hat man daher die Online-Präsenz massiv ausgebaut.

Virtuelles Probespielen im Lockdown

"Die Pandemie hat uns, wie viele Händler in Deutschland, vor neue Herausforderungen gestellt", sagt Ralf Dewor. Weitsichtig reagierte man hier sofort schon beim ersten Lockdown.
"Zu Zeiten, als die Geschäfte schließen mussten, so wie auch jetzt, sind wir weiterhin mit Interessenten in Kontakt. Über Telefon, E-Mail, oder auch Skype oder auch Facetime."
Trotz des nicht immer störungsfreien Mediums Internet, sagt der Geschäftsführer, könnten sie Interessenten sogar Instrumente vorführen.
"Und ihnen die Klänge und Klangunterschiede näherbringen. Dies in sehr differenzierter Weise, da die Kunden bei uns von Klavierbauern und Musikern ausschließlich beraten werden. Auch in Berlin und Potsdam werden deutlich mehr Klaviere als Flügel verkauft."
Doch die virtuelle Beratung der interessierten Kunden hat so ihre Herausforderungen: Denn die Kunden wollen weniger wissen, welches Instrument für welche Musikrichtung geeignet ist. Sie wollen die Besonderheit eines jeden Klaviers oder Flügels herausspüren. Via Kamera und Mikrofon werden die Instrumente nun in den Beratungsgesprächen präsentiert:
"Vielmehr ist für uns wichtig, herauszufinden, welches Timbre, welche Klanglichkeit er sich vorstellt, welcher Ton ihn am meisten berührt. Zum Beispiel etwas heller, brillanter, oder etwas dunkler und weicher. Dann kann er sich am besten mit seinem Instrument und den ihm eigenen Klangfarben ausdrücken."

Ein Flügel als Lebenstraum

Inzwischen ist der Transporter mit dem Bechstein-Klavier an der Grundschule in Potsdam angekommen. Es ist kurz vor den Weihnachtsferien. Für die Kinder ist ein Bechstein-Klavier das beste Anfängerinstrument, das sie sich wünschen können.
Für die Kinder ist das neue Klavier ein Highlight, für Hans-Dieter Polenz ein Lebenstraum. Der frisch gebackene Ruheständler ringt noch mit dem Ankauf eines Bechstein-Klaviers.
"Ich habe im Moment einen sehr betagten Flügel. Der muss aus den 20er-Jahren sein. Und den würde ich schon gern ersetzen durch ein besseres Instrument, und da ist natürlich Bechstein sicherlich erste Wahl. Zumal ich jetzt das Glück habe, im Ruhestand zu sein, und zum anderen natürlich auch durch die Pandemie, die uns umgibt, auch sehr viel mehr Zeit zu haben für Hausmusik und für das Klavierspiel im Speziellen."
Hans-Dieter Polenz wohnt in einem schönen Haus weit außerhalb der Berliner City. Für den passionierten Musikliebhaber führt die Tatsache, dass die Konzerthäuser und Salons jetzt geschlossen sind, dazu, "dass sich manch einer doch überlegt, wie kann ich mein Bedürfnis nach Klang, nach Musik, nach Livemusik befriedigen, ohne dass ich jetzt eine Konserve öffnen muss?"

Renaissance der Hausmusik?

Hausmusik, sagt Polenz, war leider bislang auf dem Rückzug.
"Dieses Kommunizieren mit Musik zwischen Menschen ist eine Sache, die leider nicht mehr so gepflegt wird, wie ich es mir wünschen würde. Man findet auch heute nur noch schwer Leute, die so ein Instrument so beherrschen, dass man zusammen spielen kann."
Historische Illustration in Schwarz-Weiß von 1880 aus Österreich: Eine Familie nach der Arbeit, mit Hausmusik, Wein- und Tabakpfeife.
Vorbild für Coronazeiten? Hausmusik mit der Familie um 1880.© IMAGO / imagebroker / BAO
Ein kurzer Exkurs: Die Blütezeit der Hausmusik war zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Etwa 100 Jahre später gründete der 1826 in Gotha geborene Carl Bechstein im Oktober 1853 in der Berliner Behrensstraße 59 eine Werkstatt für Klaviere und Flügel. Seine Arbeit war erfolgreich, in kürzester Zeit prosperierte die Werkstatt.
Und Bechstein-Klaviere eroberten die Welt. Bedeutende Komponisten wie Franz Liszt, Richard Wagner oder Claude Debussy bevorzugten einen Bechstein. Aber auch moderne Popmusiker schufen auf einem Bechstein unvergessliche Songs, etwa "Bohemian Rhapsody" von "Queen". Doch was die Lust an der Hausmusik angeht - die ging mit der Erfindung der Schallplatte und der darauffolgenden Tonträger mehr und mehr zurück. Der Rentner Hans-Dieter Polenz würde die Tradition der Hausmusik nur zu gerne wiederbeleben. Denn gerade in dieser Zeit helfe Musik und vor allem das Selbst-Musizieren dabei, dass es einem gut geht:
"Neulich habe ich mal Gäste eingeladen, und da wir nicht mehr in Konzerte gehen können, habe ich denen auf dem Klavier was vorgespielt, und das war ein sehr schöner Abend. Es ist eine andere Form von Nähe, und eine andere Form von Kommunikation entstanden an der Stelle."

Musizieren für die mentale Gesundheit

Dem kann Ralf Dewor nur beipflichten.
"Man kommt dann in einen richtigen Flow, wo schnell einmal mehrere Stunden nur so wegfliegen. Die Konzentration liegt, wenn man Klavier spielt, wirklich nur auf den Tönen. Es bleibt kein Platz für Gedanken und Sorgen zur Gesundheit, oder an den eingeschränkten Alltag. Diese positive Kraft der Musik nimmt man auch mit für die Zeit, wo man nicht am Instrument sitzt."
Manche sprechen inzwischen sogar von einer "Renaissance der guten, alten Hausmusik". Dabei spielen die älteren Hausmusiker eher Stücke aus dem klassischen Repertoire, jüngere Hausmusiker bevorzugen Filmmusiken, etwa aus "Fluch der Karibik". Ob jung oder alt - sie alle betonen aber die gute Wirkung der Hausmusik auf die mentale Gesundheit.
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