Klavier im Knast

Vorgestellt von Anke Leweke · 31.01.2007
Monica Bleibtreu als vertrockneter Klavierdrachen und das Nachwuchstalent Hannah Herzsprung als verstockte, vor angestauter Aggression bebende Klaviervirtuosin im Gefängnis: "Vier Minuten" von Chris Kraus wird getragen von der Spannung zwischen diesen beiden Schauspielerinnen, leidet aber an dramatischen Überdosen. "Nach der Hochzeit" ist ein Familiendrama, bei dem Menschen überraschend mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Dicht erzählt mit klarer Figurenzeichnung.
"Vier Minuten"
Deutschland 2006. Regie: Chris Kraus. Darsteller: Monica Bleibtreu, Hannah Herzsprung, Sven Pippig, Richy Müller, Vadim Glowna, Nadja Uhl u.a.

Die achtzigjährige Klavierlehrerin Traude Krüger will die wegen Mordes einsitzende Jenny zur Teilnahme an einem renommierten Nachwuchswettbewerb trimmen. Eine alte strenge Frau, die in der viel Jüngeren ihre Vergangenheit wieder findet, womöglich etwas abarbeitet. Eine Mörderin im Gefängnis, die vielleicht gar keine Mörderin ist. Und die Musik, die beide verbindet.

Im Grunde hätten diese Themen für "Vier Minuten" ganz und gar gereicht. Doch der Regisseur Chris Kraus kann gar nicht genug Dramatik bekommen. Jenny, das verhinderte Wunderkind muss durch eine Missbrauchsgeschichte traumatisiert und durch einen Zuhälter verführt sein. Monika Bleibtreus Klavierlehrerin erhält im Gegenzug eine lesbische Schuld- und Liebesgeschichte während der Nazizeit.

Statt seinen beiden Hauptdarstellerinnen Gelegenheit zu geben, ihr Verhältnis zu entwickeln, und mit der Musik von Schumann im Gefängnis gegen die Schwerkraft der Verhältnisse anzukämpfen, setzt Chris Kraus auf jede Eskalation noch eine Steigerung. Schade, dass "Vier Minuten" auf diese Weise unter dramatischen Überdosen zu leiden hat.


<im_36673>"Nach der Hochzeit" (ACHTUNG! NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_36673>"Nach der Hochzeit"
Dänemark/Schweden 2006. Regie: Susanne Bier. Darsteller: Mads Mikkelsen, Rolf Lassgård, Sidse Babett Knudsen, Stine Fischer Christensen, Christian Tafdrup u.a.

Schon seit längerer Zeit arbeitet der Däne Jakob in einem Waisenhaus in Indien. Als es kurz vor dem Bankrott steht, bietet ihm ein vermögender Landsmann finanzielle Unterstützung an. Doch stellt er seltsame Bedingungen. Zunächst muss Jakob nach Dänemark reisen, dann wird er zur Hochzeit der Tochter seines Wohltäters eingeladen. Dort muss er feststellen, dass dessen Frau seine große Jugendliebe ist. Jakob sieht sich plötzlich von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt.

Das dänische Kino liebt Familiendramen und findet auch mit diesem Film immer neue Methoden, von ihnen zu erzählen. Mit einer Handkamera, die man aus den Dogma-Filmen kennt, kommt Regisseurin Susanne Bier ihren Figuren sehr nahe, registriert auch die kleinsten Gefühlsregungen. Gleichzeitig lässt sie ihnen alle Zeit, die sie brauchen, um zu sich selbst zu finden.

Und dennoch stellt man sich immer wieder die Frage: Warum sollen wir uns ausgerechnet für das Schicksal dieser Familie interessieren? Und was haben ihre Probleme mit dem kleinen Waisenjungen aus Indien zu tun, der die ganze Zeit sehnsüchtig auf Jakobs Rückkehr wartet?