Klaus Staeck ärgert sich über Ausstellung "60 Jahre, 60 Werke"

Klaus Staeck im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.05.2009
Die Ausstellung "60 Jahre, 60 Werke" bringt den Grafiker Klaus Staeck auf die Palme: Der Präsident der Berliner Akademie der Künste ärgert sich darüber, dass keine Kunst aus der DDR gezeigt wird mit dem Argument, in Unfreiheit könne keine Kunst entstehen. Wenn man dieser absurden Argumentation folgte, so Staeck, "dann müssten wir unsere Museen wahrscheinlich bis zu 90 Prozent ausräumen".
Liane von Billerbeck: Den Treppenwitz kennen wir, in der Berliner Akademie der Künste gibt es die Tradition der Treppenrede. Und die hält der neue Präsident der Akademie nach seiner Wahl. Seit Samstag ist das erneut der Grafiker Klaus Staeck. Und mit ihm bin ich jetzt verbunden. Einen schönen guten Tag!

Klaus Staeck: Ich grüße Sie!

von Billerbeck: Glückwunsch zur Wiederwahl erst mal, als Akademiepräsident!

Staeck: Danke. Viele Freunde haben kondoliert. Entschuldigung. Wegen der vielen Arbeit, die es mit sich bringt und dem Verzicht, der damit verbunden ist, auf die eigene künstlerische Arbeit.

von Billerbeck: In der Presse werden Sie ja sehr gelobt, dass sie die Akademie als Institut der gesellschaftlichen und politischen Intervention wieder zur Geltung gebracht haben. Braucht es dazu einen explizit politischen Grafiker, selbst wenn der dann seine eigene Arbeit vernachlässigen muss?

Staeck: Na, in der Situation, in der ich hier in das Amt gekommen bin vor drei Jahren, da war es schon notwendig, jemand zu haben, der auch einen gesellschaftlichen Anspruch für sich und auch für die Institution Akademie formuliert hat. Nein, das war schon notwendig, weil wir haben ja so etwas sogar wie einen politischen Beratungsauftrag, und der will erfüllt werden. Das geschieht oft in Veranstaltungen, Erklärungen und was man so sonst alles tut. Aber wichtig war zunächst einmal, die Akademie überhaupt wieder ins Gespräch zu bringen als anerkannte Institution, auf die man hört. Und Sie haben ja eben das schöne Nachtigallenzitat gebracht - manchmal muss man auch ein bisschen lauter werden. Und das habe ich mir zumindest für die nächste Amtszeit von drei Jahren vorgenommen.

von Billerbeck: Bisher dachte man ja immer, die Akademie der Künste, das ist so eine Art Insel der Seligen, wo sich meist ältere Herren versammeln und interessante Reden und Abende miteinander verbringen. Ist das noch so?

Staeck: Eine schöne Vorstellung, ich würde gern zu den älteren Herrn gehören, aber leider entspricht dieses Bild nicht der Wirklichkeit. Nein, wir sind eine Institution, die ein Innenleben hat, da haben Sie schon recht, das erschöpft sich aber auch nicht in den netten Älteren-Herren-Abenden. Und wir haben vor allen Dingen auch den Auftrag jetzt, für die Kultur zu werben, für die kulturelle Bildung zu werben, mit Veranstaltungen, mit Ausstellungen und was es da so alles gibt, und sich eben auch einzumischen in gesellschaftliche Debatten. Und das wird durch meine Person natürlich besonders gefördert.

Als ich damals antrat, habe ich für mich selbst ein Programm, wenn Sie so wollen, aufgelegt, "Projekt öffentlicher Raum". Der öffentliche Raum ist nun mal der Raum, in dem sich Demokratie abspielt, und der schmilzt ja, wie man weiß. Und die gegenwärtige Krise, die ein bisschen verharmlosend so genannt wird, offenbart ja, dass diese Privatisierungsorgien, die in der letzten Zeit stattgefunden haben, der Demokratie keineswegs dienlich waren, sondern wir schon vor einer Art Scherbenhaufen stehen. Und Künstler sind Leute, die sich mit Scherben dann auch abgeben, aber auch wieder daraus vielleicht wunderbare Kunstwerke machen.

von Billerbeck: Sie haben in Ihrer Treppenrede davon gesprochen, von der Furcht, dass die Demokratie langsam verschwinden könnte und dass die ohnehin oft stark vorhandenen antidemokratischen Signale noch verstärkt würden. Was befürchten Sie da konkret?

Staeck: Na, wir haben ja reale Erfahrungen. Also wir haben ein Projekt aufgelegt mal, das nennt sich "Kunstwelten". Da gehen wir mit Mitgliedern, mit Künstlern in Regionen, die, na sagen wir ruhig ein bisschen kunstfern sind, wo die Demokratie auch teilweise schon ein frommer Wunsch ist. Und wenn man mal genau hinschaut, dann wird man sehr schnell feststellen, dass es da kein richtiges Fundament gibt, in manchen Gegenden zumindest. Und das soll uns nicht entmutigen, aber da ist jedenfalls Arbeit angesagt.

Und Künstler arbeiten ja anders als Politiker. Wir kommen ja nicht mit dem großen Aufruf nur, sondern wir stellen unsere Arbeit vor. Und arbeiten in erster Linie mit Schülern, da ist es besonders auch, ja, auch fruchtbar. Und wir haben jetzt in der Region Wolfen-Bitterfeld zum Beispiel schon die dritte, ich nenne das mal Runde aufgelegt. Und das Gute ist daran, dass sie selber jetzt inzwischen auch das zum Teil finanzieren. Also der Bedarf ist da, und wir versuchen, ihn mit unseren Möglichkeiten zu füllen.

Und Demokratie für mich, die steht jetzt vor der größten Bewährungsprobe. Wie schaffen wir es in einer doch entsolidarisierten Gesellschaft, einer entpolitisierten Gesellschaft - denn wir reagieren ja nicht politisch auf das, was da uns als Krise vorgestellt wird ... Es gibt so viel Ungeheuerlichkeiten, die ich mir nie hätte träumen lassen, dass Leute Milliarden versenken und dann immer noch ihre Weiterbeschäftigung einklagen mit Millionengehältern. Das ist so abenteuerlich - wer das für normal hält, der sollte sich seiner Normalität wirklich hin und wieder mal selber vergewissern.

Und da sehe ich schon Gefahr. Ich bin ja jemand, der mit seinen Arbeiten immer belegt hat, dass man ein bisschen zumindest voraussehen kann. Und ich sehe da nicht die großen Unruhen auf uns zukommen, aber dieser schleichende Prozess der Enttäuschung, der ja Ungeheuer gelegentlich gebiert.

von Billerbeck: Bei Banken, wenn wir noch mal auf die Krise zurückkommen, auf die Weltwirtschaftskrise, um's mal ganz dramatisch zu sagen, da werden ja nur die gestützt, die systemrelevant sind. Wie systemrelevant ist denn die Akademie der Künste?

Staeck: Ja, ja, ich habe ja diese Frage rhetorisch gestellt. Die Hypo Real Estate, die wir jetzt plötzlich alle kennen als Milliardengrab, die ist ja als systemrelevant eingestuft worden. Und wenn wir mal diesen Begriff nehmen wollen, dann hat die Akademie schon auch ganz gute Karten, unverzichtbar zu sein. Das bedeutet das ja. Unverzichtbar für die Gesellschaft. Da haben Leute seinerzeit, als ich hier antrat, gezweifelt daran, ob wir wirklich unverzichtbar seien, aber inzwischen zweifelt kaum noch jemand daran, vom Minister angefangen bis zu den Besuchern - wir haben die Besucherzahl verdreifacht mit unseren spannenden Veranstaltungen, mit unseren Ausstellungen und gehen noch einmal ins Land hinaus, wie es schön heißt. Und da glaube ich schon, wir müssen unsere Unverzichtbarkeit eigentlich jeden Tag real beweisen, ohne dass es dieses Attributs jetzt bedarf.

von Billerbeck: Nun sind wir im 20. Jahr nach dem Mauerfall und es wird viel darüber debattiert, über die Überwindung der deutschen Teilung. Es gab gerade eine Kontroverse um das Einheitsdenkmal, der Wettbewerb ist zunächst gescheitert. Und auch bei dem Thema "Überwindung der Teilung", da ist ja bekanntermaßen immer viel Pathetisches zu hören. Es gibt aber auch Dinge, da hat man so ein bisschen den Eindruck, die Teilung wird zementiert. Ich erinnere an die Ausstellung "60 Jahre - 60 Werke" im Berliner Gropius-Bau, wo es heftige Proteste dagegen gab - von Christoph Hein, von Günter Grass, von Wolfgang Thierse, von dem Maler Arno Rink und jetzt auch von Ihnen, von der Akademie, die Proteste dagegen angekündigt haben, ganz einfach deshalb, weil die DDR-Künstler ausgegrenzt werden und weil es da Äußerungen gab wie, die DDR-Kunst müsse wie ein hässlicher Wassertropfen der Geschichte verdunsten. Was haben wir denn da von der Akademie zu erwarten?

Staeck: Nein, wir haben bewusst auch das zum Thema gemacht unserer Mitgliederversammlung, die gerade hinter uns liegt. Wir sind ja als Akademie der Künste, Ost und West vereinigt, ein Beispiel, dass es eben anders gehen kann und nicht diese Art Geschichtsklitterung, wie sie da bei dieser Ausstellung im Gropius-Bau vorgenommen wird.

Wir haben gerade parallel eine Ausstellung, die nennt sich "Ausgezeichnet zeichnen", wo Sie nicht erkennen können, ob jemand aus der DDR ursprünglich kam, aus dem Westen kam, sondern diese pseudowissenschaftliche - so scheint es jedenfalls - Trennung, die da vorgenommen werden soll, dass man in Unfreiheit keine Kunst machen kann, das ist so ungeheuerlich, diese Behauptung, dann müssten Sie, wenn Sie das mal ernst nehmen würden alle miteinander, dann müssten wir unsere Museen wahrscheinlich bis zu 90 Prozent ausräumen. Denn viele Kunst ist ja gerade im Widerstand in Unfreiheit entstanden.

Deshalb ist diese Trennung, in der DDR habe es keine Kunst geben können, weil es keine Freiheit in unserem Sinne gegeben hat, ist so absurd, dass man fast sich schämt, dagegen noch zu protestieren. Aber man muss es tun, weil das schon eine merkwürdige Angelegenheit ist, zumal ja die Bundeskanzlerin diese Ausstellung eröffnet hat und sie sich einen pseudostaatlichen Anstrich gibt, indem sie so eine Art Kanon herstellen möchte, was ist in den 60 Jahren Bundesrepublik an relevanter Kunst entstanden, und dann setzt eben Deutschland Ost nur vor 20 Jahren ein.

Nein, das ist ein so ärgerlicher Vorgang, dass man, trotzdem vieles dazu schon gesagt worden ist, dagegen protestieren muss. Vor allen Dingen gegen die Behauptung, Kunst könne nur unter dem Schutz des Artikel 5 unseres Grundgesetzes in Deutschland entstanden sein. Das ist einfach unmöglich, diese Behauptung aufrechtzuerhalten. Erstaunlich ist, dass doch sehr seriöse Kuratoren auch offenbar diese These mit geprägt haben.