Klassiker der Weltliteratur

08.05.2009
Mit Dantes "Göttlicher Komödie" beginnt die italienische Dichtung. Entstanden zwischen 1307 und 1321 zählt sie zu den größten Werken der Weltliteratur. Man weiß ja: Es geht um den Abstieg durchs Höllentor und den Höhenflug mit Beatrice. Aber wirklich gelesen hat das Buch heute kaum jemand. Jetzt bietet ein Hörbuch die Chance, verlorenes Bildungsgut zurückzugewinnen und sich dabei auch noch gut unterhalten zu lassen.
"Ihr, die ihr herkommt
Lasset alle Hoffnung!
Die Worte sah in dunkler Farbe ich geschrieben
Über einer Pforte Bogen"

Berühmte Sätze, die am Anfang der berühmtesten aller literarischen Höllenfahrten stehen: dem "Inferno" von Dantes "Göttlicher Komödie".

Um es gleich zu sagen: Dies ist kein Hörbuch, das man sich nebenbei beim Autofahren oder Küche-Aufräumen reinzieht. Hier macht sich eine Stimmgewalt geltend, die den Fahrstil gefährdet oder das Geschirrtuch niedersinken lässt. Eine Stimme, die den ganzen Zuhörer fordert und einem Werk, auf dem der Staub von sieben Jahrhunderten liegt, Leben einbläst.

Höchste Konzentration ist auch deshalb gefordert, weil dies ein schwieriger, in mancher Hinsicht befremdender Text ist. In der "Göttlichen Komödie" wird das Wissen und Weltbild des späten Mittelalters aufbereitet. Es ein Werk, das christlichen Vorstellungen und Albträumen verpflichtet ist: dem Glauben an ein Jenseits, wo irdische Verfehlungen und Verdienste überreichlich vergolten werden. Geführt von seinem dichterischen Vorbild Vergil und später von seiner Geliebten Beatrice, wandert Dante durch die drei Bezirke der Gegenwelt, von der Hölle über das Purgatorium des Läuterungsberges zum Paradies. Unter den Schattengestalten begegnet er reumütigen und erlösbaren Büßern, schließlich auch den Seligen und Belohnten, die allen Grund haben, die Herrlichkeit der Schöpfung zu preisen. Zunächst aber beschreitet er die Höllenkreise jener Verdammten, die auf ewig Qualen zu leiden haben. Man könnte sagen: ein schauerliches Schaulaufen der Prominenz aus der römisch-griechischen und christlichen Mythologie. Auch namhafte Gestalten der mittelalterlichen Geschichte und überraschend viele Kirchenfürsten sind vertreten.

"Ich bin im dritten Kreis, dem des Regens
des ewigen, verfluchten, kalten, schweren
Nie ändert seine Art noch Stärke sich
Grobschlossiger Hagel, Schnee und trübes Wasser
Ergiesset sich durch dämmrig dunkle Luft
Die Erde stinkt, die das empfangen muss
Das grausam wilde Untier Zerberus
Heult aus drei Rachenschlünden wie ein Hund
Über die Leute hin, die hier versinken"

Die Hölle wird als furchterregender Trichter beschrieben, der bis hinunter zum infernalisch übelriechenden Mittelpunkt der Erde reicht, dem inneren Bezirk Luzifers. Auf allen Stufen sind perfide Strafsysteme für die Sünder zu besichtigen: das Angebot erstreckt sich vom gleichsam subtilen Schrecken des ewigen Regens bis hin zu akribisch ausbuchstabierten Horrorszenarien, die bis heute inspirierend wirken, etwa auf Filmregisseure. "Komödie" heißt das Werk ja nicht, weil es so lustig wäre. Es heißt so, weil es zum guten Ende führt, wie nach klassischem Muster die Komödie im Gegensatz zur Tragödie.

Auch aufgrund der Ich-Perspektive werden dem Vorleser extreme Gefühlslagen abverlangt: Nie zuvor Gesehenes und Erlebtes muss glaubhaft vermittelt werden. Das geht nicht in trockenem Ton, sondern nur mit den Registern des Pathos, über die Rolf Boysen verfügt. Der hohe Ton der Blankversübersetzung von Ida und Walter von Wartburg ist bei ihm bestens aufgehoben. Der bei der Live-Aufnahme im Münchner Residenztheater 87-jährige Schauspieler verfügt über erstaunliche Vorlese-Kondition und Wucht des Ausdrucks. Seine mythengestählte Stimme fährt nicht glatt dahin, sondern lässt es rumpeln wie auf mittelalterlichem Kopfsteinpflaster: Wort für Wort wird hingesetzt, mit einer Kunst der Betonung, die bisweilen den Rhythmus der Verse aufbricht und mit wirkungsvollen Verzögerungen und Pausen arbeitet.

"Und hinter uns sah einen schwarzen Teufel ich nahen
Den Berg hinauf in schnellem Lauf
Wehe, wie war er schrecklich anzusehen
Und grauenvoll schien er mir in seiner Haltung
Mit offenen Flügeln, hüpfend auf den Füßen
Auf seinen spitzen hohen Schultern
Trug er geknickt in beiden Hüften einen Sünder
Und hielt umkrallt die Füße an den Fesseln
Von unserem Steg aus rief er: "Teufelskrallen,
hier habt von Zitas Stadt ihr einen Ratsherrn
Taucht ihn mir unter! (…)
Feil ist ein jeder dort
Aus Nein wird gleich für Geld ein Ja gemacht
Dann warf er ihn hinab"

Dante widmet den drei Teilen seines Werkes je 33 Gesänge. Im Hörbuch entfallen vier CDs aufs Inferno, je eine aber nur auf den Läuterungsberg und das Paradies. Diese Teile wurden stark gekürzt – seit je hat die Ausmalung paradiesischer Freuden das Publikum weniger in den Bann gezogen als die Torturen der Verdammten und die muntere Betriebsamkeit der Teufel.

Boysens "Göttliche Komödie" ist ein kantiger Singsang, voller Angst und Schrecken, Mitleid und Trauer, aber auch strahlender Erhebung, wenn Dante schließlich seine Beatrice trifft und mit ihr dem Gotteslicht entgegen schreitet. So wirkt die allegorische Bildungswelt wie neu erlebt. Wer die Anstrengung nicht scheut, dem wird mit diesem Hörbuch ein ebenso legendärer wie wenig gelesener Klassiker der Weltliteratur aufgeschlossen.

Rezensiert von Wolfgang Schneider

Dante Alighieri: "Die Göttliche Komödie"
Gekürzte Lesung von Rolf Boysen
Übersetzung Ida und Walter von Wartburg
Der Hörverlag, München 2009
6 CDs, 371 Min, 34,95 Euro