Klassik

Strawinsky mit neuem Schwung

Schwarz-weiße Tasten eines E-Pianos
Voll in die Tasten: Das Spiel von Alexej Gorlatch konnte unsere Kritikerin überzeugen. © picture-alliance/ dpa / Felix Hörhager
Von Mascha Drost · 04.08.2015
Der Ukrainer Alexej Gorlatch ist einer der ausdrucksstärksten jungen Pianisten der Gegenwart. Sein puristisches und zugleich nuancenreiches Spiel wird von Kritikern gelobt. In Berlin hat er nun Strawinskys Werke für Klavier und Orchester aufgenommen.
Eine charmante Mischung aus Chopin und Rachmaninow, das ist die Musik des jungen Igor Strawinsky. Keine peitschenden Rhythmen oder spröde Melodien - hier fließt alles im Geiste russischer Spätromantik, vollmundig, üppig und ein wenig ziellos. Strawinsky hat sich über diese Sonate wenig schmeichelhaft geäußert, Jahrzehnte und unzählige Schaffensperioden und Stilbrüche später. Aber unter den Händen von Alexej Gorlatch wird aus dem hin- und herstreifenden Jugendwerk ein reizvoll-poetisches Kleinod.
Gorlatch arbeitet die Stärken dieses Stückes heraus, den Überschwang, die schwärmerischen Melodien und lässt seine Schwächen ganz charmant unter die Tasten fallen. Dabei geht es nicht übermäßig romantisierend zu; der Klang bleibt durchsichtig, das Tempo flüssig, und Gorlatch nimmt sich genug Freiheiten um dem jugendlich-drängenden Impetus gerecht zu werden, und wenig genug, um aller Kitschgefahr aus dem Weg zu gehen.
Wäre das Schaffen Igor Strawinskys auf diesem Wege weitergegangen, er wäre nicht mehr als Fußnoten in der Musikgeschichte geworden - es kam, wie man weiß, anders, und es entstanden Werke, so unterschiedlich in ihrer Ästhetik und Anmutung, ihrem Stil und Charakter, wie bei kaum einem anderen Komponisten. Die hier versammelten Werke zeigen das auf exemplarische Weise - oder wer würde hier ein und den selben Komponisten am Werk vermuten?
Der Klang ist präzise, aber nie maschinell
Etwa 20 Jahre liegen zwischen diesen Werken, und ein neues Zeitalter. Trocken, spröde, perkussiv statt melodisch, so präsentiert sich das Konzert für Klavier und Blasorchester. Der Solopart eine einzige hämmernde Rhythmusorgie, dazu die Bläser, die mit scharfen Einwürfen den grellen Ton noch verschärfen. Alexej Gorlatch trifft auch den Charakter dieses Werkes genau, mit bewundernswerter Virtuosität meistert er diese Parforcejagd, mit eisernen Fingern und kühlem Kopf - und einem bemerkenswerten Sinn für klangliche Abstufungen. Jedes noch so kleine Zahnrad dieser Klaviermaschinerie ist plastisch herausgearbeitet, nie schaltet der Solopart auf Autopilot, und selbst der Klang, so präzise und klar er auch gestaltet ist, wird doch nie maschinell.
So aufregend sich der Solist präsentiert, so unbedeutend ist der Orchesterpart gestaltet. Nicht, dass das Rundfunksinfonie-Orchester spielerische Mängel zeigt - es macht alles richtig, aber das war auch schon alles. Was weniger am Orchester als an der Dirigentin Alondra de la Parra liegen mag, die ein perfektes Zusammenspiel mit Interpretation verwechselt. Natürlich sind die Stücke heikel, natürlich ist man froh wenn die Intonation stimmt und jeder Ton an seinem Platz sitzt. Aber dann erst beginnt die eigentliche Arbeit - und hier scheint sie vorschnell beendet worden zu sein. Leider, denn was hätte man mit einem solchen Orchester an Ausdruck, an Charakter und Aussage noch alles herausarbeiten können.
Immerhin - das dritte Stück und zweite Konzert im Bunde gewinnt an Schwung und Lebhaftigkeit, auch wenn der Solist wieder die Nase vorn hat. Egal, ob der sahnige Ton des jungen Strawinsky oder der schlagzeughafte des späteren: Alexej Gorlatch überzeugt in jeder der vielen musikalischen Identitäten. Er ist einer der intelligentesten und ausdrucksstärksten jungen Pianisten, das stellt er mit dieser CD erneut eindrucksvoll unter Beweis.
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