Klassik Education Programme

Spaß und Klasse statt Show und Masse

Peter Stieber im Gespräch mit Mathias Mauersberger · 18.05.2017
Wie kann man junge Menschen für klassische Musik begeistern? Bei sogenannten Education Programmen müssten Orchester vor allem authentisch bleiben, sagt Peter Stieber. Kinder und Jugendlichen dürften nicht den Eindruck bekommen, die Alten biedern sich an, so der Präsident des Musikrates Rheinland-Pfalz.
Mathias Mauersberger: "Res severa verum gaudium" – dieses Zitat prangt an der Orgelempore des Leipziger Gewandhauses, und das ist kein Latein zum Angeben, sondern der Wahlspruch eines der ältesten traditionsbewussten europäischen Orchester. Auf Deutsch heißt es so viel wie "Eine ernste Sache gewährt wahre Freude".
Dieses Zitat ist zwar schon 2000 Jahre alt, stammt aus einem Brief Senecas, aber es beschreibt wohl doch ziemlich genau das Ziel, um das es heute bei den vielen sogenannten Education-Projekten eigentlich gehen sollte. Education-Projekte, wie sie von klassischen Orchestern durchgeführt werden, und in denen es darum gehen sollte, junge Leute für klassische Musik stärker zu begeistern, ihnen den Spaß an sogenannter ernster Musik zu vermitteln.
Dieses Engagement hat sich in den letzten Jahren merklich verstärkt, man könnte durchaus von einem Aufbruch sprechen. Und darüber möchte ich jetzt wiederum mit Peter Stieber sprechen, er ist Präsident des Musikrats Rheinland-Pfalz, Mitglied im Deutschen Musikrat und konnte darüber hinaus unter anderem als freier Musikjournalist, Konzertchef der Schwetzinger Festspiele sowie Juror bei Wettbewerben eine Menge Erfahrungen sammeln. Schönen guten Tag, Herr Stieber!
Peter Stieber: Hallo, guten Tag, Herr Mauersberger.
Mauersberger: Education-Projekte werden ja von vielen großen Orchestern durchgeführt. Die Berliner Philharmoniker beispielsweise bieten sogenannte Kita-Konzerte an, es gibt dort eine Jugend-Kompositionswerkstatt, auch Konzerte für die ganze Familie. Geht es hier denn tatsächlich darum, in erster Linie Freude, Spaß an ernster Musik zu vermitteln, oder steht eher die Angst der Orchester im Vordergrund, den Anschluss ans junge Publikum zu verlieren.

"Der Spaß der Musikvermittlung steht im Vordergrund"

Stieber: Ich glaube, ja, die Freude und der Spaß der Musikvermittlung steht schon im Vordergrund. Das heißt aber nicht, dass Kinder und Jugendliche nur zu bespaßen sind, sondern ihnen auf eher spielerische Art der Reichtum der klassischen Musik nahezubringen ist. Hier leisten die Orchester, die Festivals, die Opernhäuser und Musikverbände seit einigen Jahren eine überwiegend vorbildliche Arbeit und versuchen, das Vakuum aufzufüllen, das die Schulen leider und die Kitas hinterlassen.
In Grundschulen existiert ja fast gar kein Musikunterricht mehr, und in den Oberstufen sieht es allgemein auch ziemlich düster aus. Was die großen Orchester machen, hat natürlich auch mit deren Existenzsicherung zu tun. Aber ich glaube, es ist beides, also das Element, dass man sieht, es ist ein großes Vakuum entstanden, aber auch, wir brauchen das Publikum von morgen für die Abo-Reihen für die großen Orchester.
Mauersberger: Nun wird natürlich klassische Musik nicht ohne Grund ernste Musik genannt. Ein klassisches Werk verlangt dem Zuhörer ja einiges ab: Geduld, man braucht eventuell ein gewisses Fachwissen, man muss ein bisschen Zeit mitbringen. Ein klassisches Instrument ist jetzt auch nicht mal von heute auf morgen gelernt. Werden bei solchen Education-Projekten, ganz allgemein gefragt, wird da nicht oft der Unterhaltungsfaktor zu hoch gewertet?

"Man kann die Parallelen auch zum Sport ziehen"

Stieber: Ja, das muss man vielleicht anders auch ein bisschen sehen. Kinder, die zum ersten Mal klassische Musik hören und auch die in ihren Augen ja komischen Instrumente eines Orchesters zum ersten Mal sehen, die muss man locken, sich für diese Art von Musik überhaupt zu interessieren. Man muss sie neugierig machen. Und da ist der Spaß, meinetwegen auch manchmal der Klamauk, schon ein pädagogischer Hebel. Dabei darf es natürlich nicht bleiben, und das tut es in der Regel auch nicht.
Wenn zum Beispiel Musiker ihre Instrumente vorstellen und erzählen, wie lange sie täglich üben, und wie lange sie studiert haben, um ihr Instrument sehr gut spielen zu können, dann wird den Kindern auch sehr schnell klar, dass es mit viel Anstrengung und mit viel Arbeit verbunden ist, ein Instrument gut zu spielen. Man kann die Parallelen auch zum Sport ziehen. Auch im Sport ist ja das Training, die Anstrengung Voraussetzung, um großartige Leistungen zu bringen. Und das kann man Kindern sofort vermitteln.
Mauersberger: Sie hatten jetzt schon ein Beispiel genannt für eine Initiative beziehungsweise eine Art von Education-Programm. Welche Strategien sind denn hier erfolgversprechend überhaupt?

Die Kinder ernst nehmen

Stieber: Ich glaube, jede Art von ernsthafter Herangehensweise, die Kinder ernst zu nehmen, den Kindern Wissen zu vermitteln, auch sie gleichzeitig zu motivieren, sich mit Musik zu beschäftigen, ist erfolgversprechend. Ich habe unterschiedlichste Education-Projekte erlebt in den letzten Jahren und habe immer wieder gesehen, wenn die Kinder ernst genommen werden, wenn ihnen auch vermittelt wird, dass Musik was Wunderbares ist – es ist ja auch der emotionale Einstieg als Erstes mal vorhanden bei den Kindern –, dann kann man auch erfolgreich sein.
Ich habe vor kurzem ein Education-Projekt erlebt mit einer Moderatorin, die sehr klug die Spannung aufgebaut hat, die Kinder also wirklich interessiert hat. Es war eine Orchesterprobe mit einem großen Sinfonieorchester. Die Kinder waren hellauf begeistert. Sie hat Geschichten um die Musik herum erzählt, um die Instrumente erzählt.
Und als Krönung dieses Vormittags durften die Kinder im Orchester dann neben Musikern sitzen und den Musikern quasi aus nächster Nähe bei der Arbeit zuschauen. Und das hat natürlich sehr starken Eindruck bei den Kindern hinterlassen. Manche davon waren also richtiggehend platt und sagten, so was haben sie noch nie erlebt.
Mauersberger: Mir scheint auffällig zu sein, Herr Stieber, dass die klassische Musikwelt ja immer öfter auch den sozusagen Schulterschluss mit der Popmusik sucht oder wagt. Es gibt seriöse Sinfonieorchester, die mit Hiphopkünstlern auftreten beispielsweise. Es gibt die berühmt-berüchtigte Klassik-Lounge, Klassik-Remixe gibt es – glauben Sie, dass solche Bemühungen um eine etwas lockere Atmosphäre sinnvoll sind, dass hier vielleicht gewisse tradierte Darbietungsrituale durchbrochen werden können? Oder ist das vielleicht sogar – biedert sich die klassische Musikwelt da vielleicht sogar etwas zu sehr an?

"Wichtig ist dabei, dass die Orchester authentisch bleiben"

Stieber: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Ob ein Hiphop spielendes Sinfonieorchester sich unter Wert verkauft oder den richtigen Weg des musikalischen Fortschritts eingeschlagen hat, beide Richtungen haben Befürworter und Gegner. Wichtig ist dabei, dass die Orchester authentisch bleiben, sodass bei den Kindern und Jugendlichen nicht der Eindruck entsteht, die Alten biedern sich an, um cool zu erscheinen. Ich persönlich stehe diesen Aktivitäten eher skeptisch gegenüber. Ich denke, der Kanon der klassischen Musik bietet so unendlich viele Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche neugierig zu machen und zu interessieren, dass man sich darauf durchaus beschränken kann.
Ein anderer Aspekt ist die Ritualisierung des Konzertlebens. Da hat sich ja viel getan in den letzten Jahren. Also dass man nicht mehr den Anzug anziehen muss und nicht mehr die Krawatte tragen muss, und dass man auch durchaus mal zwischen den Sätzen klatschen darf. Also da hat sich wirklich viel getan, und das ist für Kinder und Jugendliche auch insofern wichtig, weil die Zugangsbarriere enorm niedrig geworden ist. Man kann heute spontan in ein Konzert gehen und sich durchaus wohl fühlen dabei.
Mauersberger: Zu guter Letzt spielt ja natürlich für junge Menschen das Internet eine immer größere Rolle. Social Media ist das Stichwort, Facebook, Instagram. Viele Jugendliche, viele Kinder auch schon verbringen Stunden mit ihrem Smartphone, mit den sozialen Netzwerken. Wie versuchen denn Education-Programme hier anzudocken?

Der persönliche Kontakt ist wichtiger als YouTube

Stieber: Ich glaube, da gibt es ein Tasten und ein Suchen noch im Moment. Wichtig ist für mich auch immer wieder der Mensch, also der persönliche Kontakt mit der Musik, mit dem Orchester, mit Musikern, um da auch Neugierde zu erlangen und Neugierde zu entfachen.
Es gibt natürlich die YouTube-Kanäle, es gibt andere Möglichkeiten, Kindern so etwas wie Grundwissen zu vermitteln über das Netz, über Clips. Aber ich denke, im Wesentlichen, und das zeigen auch die Erfahrungen bei den großen Orchestern, Opernhäusern und Festivals, im Wesentlichen sind dann doch die Menschen entscheidend.
Wenn Menschen da sind und Kinder für Musik begeistern können, dann ist das ganz hervorragend, und dann kommt das bei Kindern, glaube ich, auch am ehesten an und hinterlässt Spuren in der kindlichen Seele.
Mauersberger: Und das ist ein schönes Schlusswort. Unser Thema Classic-Education-Programme auf dem Prüfstand, hier in der "Tonart" im Deutschlandfunk Kultur. Ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch bei Peter Stieber, Präsident des Musikrats Rheinland-Pfalz, Mitglied im Deutschen Musikrat.
Stieber: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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