Klassenkampf von oben

05.03.2008
Julia Friedrichs hat die Kaderschmieden einer selbsternannten Elite - Internate, Kindergärten, Business School - besucht und dabei hauptsächlich Schnösel gefunden, deren Selbstwertgefühl auf Abgrenzung beruht. Dass aber bei international agierenden Firmen nicht die Begabung der Bewerber ausschlaggebend sein soll, scheint zumindest zweifelhaft.
Wollte man die Berichte, die Julia Friedrichs in ihrem Band mit Reportagen von deutschen Eliteschulen und Privatuniversitäten liefert, in einem Satz zusammenfassen, dann könnte er lauten: Es gibt einen Klassenkampf von oben. Die junge Journalistin ist in Deutschland herumgereist und hat sich angehört, wie man an der "European Business School", im Internat Schloss Neubeuern oder in Salem über die Gesellschaft und die eigenen Karrieren nachdenkt. Sie hat junge Leute, die über ein Taschengeld in vierstelliger Höhe verfügen, gefragt, was für sie "Elite" heißt.

Auch in Harvard war sie kurz, um sich mit deutschen Stipendiaten zu unterhalten, weshalb für die meisten von ihnen nicht Politik, sondern Wirtschaft am interessantesten ist. Und sie hat Kindergärten für Wohlhabende aufgesucht, wo Dreijährige schon auf Weltmarktführerschaft hin ausgerichtet werden.

Der Gesamteindruck dieser Reiseberichte ist niederschmetternd, weil die jungen Leute, die sich für eine Elite halten, im Durchschnitt unglaubliche Affen sind, Schnösel, die vor Selbstlob platzen, sich für unglaublich "tough" halten, nur weil sie zwölf Stunden am Tag etwas machen, das sie für Arbeiten halten - zum Beispiel Betriebswirtschaft pauken - und genau so gedankenlos die gerade gängigen Sprüche nachschwatzen, wie es 1968 diejenigen taten, von denen sich die McKinsey-Anwärter heute um Welten zu unterscheiden glauben. Früher sollte der Vietkong befreit werden, heute plappert man Management-Regeln nach.

Nun gut, mag man sagen, Intelligenz ist nicht alles, und es sind die Chefs ja auch vorwiegend mit Telefonieren und dem Absichern der eigenen Frequent Traveller-Karte beschäftigt. Da will man nicht allzu hohe Maßstäbe anlegen.

Aber auch unter anderen Gesichtspunkten als denen kognitiver Leistungsfähigkeit erscheint die Welt der kommenden Führungskräfte nicht so recht attraktiv. Ihre Verhaltensunsicherheit liegt auf der Hand: sonst müssten sie ja nicht, wie die Autorin berichtet, ständig auf Linke und Schlechterverdienende schimpfen. Das ist jener Klassenkampf von oben, der umso komischer wirkt, als ein Großteil des Einkommens, das sich diese Eliten aneignen, auf der Konsumbereitschaft der Leute beruht, die sie verachten.

Dieselbe Verhaltensunsicherheit muss man bei Eltern annehmen, die ernsthaft glauben, es nütze ihren Kindern, wenn man sie schon im Vorschulalter zu trainieren beginnt. "Hier werden sie auch rhetorisch fit gemacht", soll der Autorin eine Mutter gesagt haben, die ihren Nachwuchs in einen Kindergarten namens "FastTrackKids" (Überholspurkinder) gegeben hat.

Früher standen die Kadettenanstalten in hohem Ansehen. Und auch damals schon zeigte das Verhalten der Eliten den normalen Bürgern, dass es Schlimmeres gibt als unterhalb einer Spitzenposition zu leben: zum Beispiel den Verstand nicht verloren zu haben.

Es gibt Ausnahmen. Und Julia Friedrichs hat auch Anwärter auf den Elite-Status getroffen, die nun ihrerseits auf die Klischees der anderen Seite mit Achselzucken reagierten. Etwa die neunzehnjährige Stipendiatin des bayrischen Maximilianeums, die auf die Frage der Reporterin, ob sie "etwas verändern im Land" wolle, verneinte: Sie konzentriere sich auf das, was sie ändern könne, sich selber nämlich und da sei sie ziemlich streng.

Die Autorin des Buches war nicht durchweg streng mit sich. Elite ist auch für sie nur Wirtschaftselite. Nach den Bildungswegen anderer Spitzenkräfte - etwa der Politik, der Wissenschaft, der Medien oder der Religion - hat sie nicht gefragt. Und in die Soziologie ihres Themas hat sie ein bisschen wenig investiert. Gerne hätte man beispielsweise erfahren, wie sich ihr Verdacht, die Zugehörigkeit zur Elite beruhe nicht auf Leistung, sondern auf Erbschaft und Freundschaft, zur internationalen Konkurrenz der Firmen verhält. Anders formuliert: Wie können es sich die Unternehmen denn leisten, nicht die Begabten, sondern die mit der richtigen Herkunft zu rekrutieren?

Aber das sind Einwände, die nicht das Buch, sondern nur die Mittel der Reportage treffen, mit denen es arbeitet. Beim Leser dürften diese Mittel andererseits den hochmoralischen Effekt hervorbringen, auf keinen Fall zu dieser irgendwie auch sehr langweiligen Sorte von Elite gehören zu wollen.

Rezensiert von Jürgen Kaube

Julia Friedrichs: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen
Hoffmann und Campe, Hamburg 2008
256 Seiten. 17,95 EUR
Julia Friedrichs: Gestatten: Elite!
Julia Friedrichs: Gestatten: Elite!© Hoffman und Campe
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