"Kiwitt, kiwitt" von Adolf Endler

Verse scharf wie Rasiermesser

Der Schriftsteller Adolf Endler sitzt vor einer Schreibmaschine, hinter ihm ein volles Bücherregal.
Der Schriftsteller Adolf Endler sitzt am 18.9.2000 in Berlin an seiner Schreibmaschine. © picture alliance / dpa / Torsten Leukert
Von Michael Opitz · 22.12.2015
"Aus der Mappe, Quatsch" hatte der DDR-Lyriker Adolf Endler Gedichte aus den 70er- und 80er-Jahren beschriftet, die nun posthum im Band "Kiwitt, kiwitt" veröffentlicht wurden. Seine an Dada erinnernden Wortspielereien eröffnen abgründige Tiefen und haben eine ganz eigene Schärfe.
Adolf Endler (1930-2009) beherrscht die Kunst, das Wackeln eines Puddings als Apokalypse zu deuten und einen "Verkommenheits-Blues" über den Verrat anzustimmen. Mit Vorliebe brachte der in Düsseldorf geborene Autor auf der Tonleiter der Lyrik die verspielten, an DADA orientierten Saiten zum Klingen. Nur darf man sich allein vom schönen Klang nicht täuschen lassen. Endlers Gedichte haben ihre eigene Schärfe.
Allerdings blitzt das Rasiermesserscharfe in seinen Versen meistens nur dezent im Hintergrund auf. Durch diese sehr eigene, ganz spezifische Qualität, zeichnet sich das Titelgedicht des jetzt aus dem Nachlass veröffentlichten Bandes "Kiwitt, kiwitt" aus. Da reimt sich "Kiwitt, kiwitt" auf "Paradeschritt". Der Volksmund aber denkt bei "Kiwitt, kiwitt" auch an den Lockruf des Käuzchens, so dass bei "Kiwitt, kiwitt" auch "Komm mit, komm mit" anklingt.
Der Kuckuck, das Käuzchen und die Tauben stimmen in dem "Wachkompanie" betitelten Gedicht ein eigenes Warnlied an. Es könnte auch "Lasst euch nicht verführen" heißen, denn schließlich wird Blut im Schuh entdeckt.
Brigitte Schreier-Endler erlaubt mit dem nun vorliegenden Band einen Blick in den Endlerschen Nachlassschrank, aus dem sie eine noch von Endler beschriftete Mappe hervorgezogen hat, die mit "Aus der Mappe‚ Quatsch" betitelt ist. Die 47 meist kurzen Gedichte sind in den 70er- und 80er-Jahren "nebenher" entstanden, wie aus dem Nachwort zu erfahren ist.
Ergänzt wird die Gedichtsammlung durch "Capriccios", bei denen es sich um prägnante Kürzestnotizen handelt ("Wer nicht pariert, zerstört seine Existenz; wer pariert zerstört sein Leben -"). Dazu zählen auch 2008/2009 entstandene "Letzte Notizen", die von Adolf Endler nicht in der Mappe abgelegt wurden.
Zündende Einfälle und abgründige Tiefen
Adolf Endler, einer der Kritiker der Biermann-Ausbürgerung, wurde 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. Dass sich danach seine Publikationsmöglichkeiten in der DDR drastisch verschlechterten, darauf spielt das Gedicht "Elegie neunundsiebzig" spielerisch an, ohne den Ernst zu verharmlosen. Es reimt sich auf "Pest" und "West", wobei das lyrische Ich indirekt die Frage stellt, wie lange es bei dieser um sich greifenden tödlichen Krankheit noch im Osten bleiben kann.
Endlers Gedicht leben vom zündenden Einfall oder einer abgründige Tiefen eröffnenden Wortspielerei. Schön zeigt sich das in dem Gedicht "Die Gans (II)", einem Gedicht, an dem auch deutlich wird, dass Endler mit dem Bildmedium der Collage gearbeitet hat. Das Gedicht, in dem die Perspektive einer Gans eingenommen wird, die sich an dem satten Grün erfreut, läuft darauf zu, dass die Gans ganz vergessen gefressen hat: Sie "fraß und vergaß".
So selbstvergessen sollte man den bevorstehenden Festtagsbraten natürlich nicht zu sich nehmen und auch nicht die Endlerschen Gedichte.
Adolf Endler: Kiwitt, kiwitt. Gedichte und Capriccios
Zusammengestellt von Brigitte Schreier-Endler
Wallstein Verlag, Göttingen 2015
67 Seiten. 18,90 Euro

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