Kitschiges Unterschichtsmelodram

Von Hartmut Krug · 25.03.2010
"Die Nacht, die Lichter" umfasst 15 Erzählungen, in denen von Menschen am Rand der Gesellschaft erzählt wird, der eigentlich schon längst die Mitte ist. Scheiternde Glückssucher zwischen Sozialhilfe und Hartz IV, zwischen alter Kneipe und neuer Bar.
Da Clemens Meyer keine Sozialreportagen schrieb, vermeidet Regisseur Sascha Hawemann jeden szenischen Realismus. Auf einer von Wolf Gutjahr mit fünf großen Zimmern voll gestellten Bühne, die beiden seitlichen dienen als Durchgangsräume, die drei mittleren als Wohn- und Lebenszellen, die Schutz bieten vor draußen drohender Gefahr und Gewalt, werden fünf Erzählungen aus dem Buch gezeigt.

Erst sprechen die Darsteller Meyers Erzähltexte, dann steigen sie in deren Spiel ein, wobei die fünf Schauspieler ihre Rollen wechseln, meist Loser und manchmal auch Gewinner sind. Nur der die Vorhänge vor den Wohnzellen aufziehende Spielmacher, ein Mann im Bärenkostüm, bleibt stets die gleiche, still poetische Figur und konstatiert nüchtern, "Früher war ich Postbeamter, heute bin ich Bär".

In dieser abstrakten Bedeutungsszenerie streben die Menschen heraus aus ihrem Leben und ihren Kisten und scheitern dabei meist. In "Warten auf Südamerika" jubelt ein Mann in Mexiko unter seinem Sombrero über Geld und Sex, während sein alter Freund in Deutschland, die Wohnung voller Bierflaschen, den Einkaufsbeutel vom Discounter in der Hand, sich mit dessen Jubelbriefen statt mit denen vom Jobcenter beschäftigt.

Inszenatorisch wie szenisch herrschen wie hier die Klischees. So gibt es in der Erzählung "Von Hunden und Pferden", in der ein Mann für die Operation seines einzigen Beziehungswesens, einem Hund, der mit alberner Lustigkeit von einem Schauspieler dargestellt und gesprochen wird, Geld beim Pferderennen erwetten will, die Figur eines erfahrenen Zockers, die mit Sonnenbrille und Fellmantel über der Unterwäsche wie aus einem B-Picture entstiegen scheint. Ohnehin wirkt die Aufführung wie eine Ansammlung von Genre-Zitaten.

Wir erleben ein Unterschichtsmelodram mit Menschen auf der Kippe, die sich abstrampeln und unentwegt von einer Haltung in die andere fallen. Dabei wird der Kitsch, der oft unter Meyers lakonisch melancholischen Texten droht, durch ein expressives und überdeutliches Spiel, wohl unfreiwillig, hervorgeholt und ausgestellt. Es herrscht ein extrem lautstarker, von Musik unter- und übermalter und von wild brüllendem, fuchtelndem und schreiendem Overacting bestimmter Spielstil.

Während Armin Petras im Jahr 2008 in seiner Inszenierung von Meyers Roman "Als wir träumten", die Intendant Sebastian Hartmann als einzige aus dem Repertoire seines Vorgängers Wolfgang Engel in seinen Spielplan übernommen hat, Meyers Figuren zu netten, poetischen Menschen weichspülte, macht Hawemann sie in "Die Nacht, die Lichter" zu grell klischierten, existenziellen Tobefiguren. Beide Male kommen leider nur Spielklischees heraus.

Immerhin, im letzten Drittel von Hawemanns Inszenierung, untermalt von einem stillen Ohrwurm der kanadischen Band The Castanets, verliert sich die Hektik. Wie Andreas Keller einen Boxer spielt, der als Fallobst engagiert ist, aber dennoch gewinnen will, oder wie sich ein Paar trifft und, obwohl beide es wollen, nicht zueinander findet, das trifft endlich einen eigenen Bühnenton für Meyers Geschichten. Am Schluss fährt der Bär alle fünf hoffnungslosen Glückssucher auf einem Gabelstapler ins Dunkel, - obwohl die Geschichte vom Gabelstaplerfahrer aus Meyers Buch gar nicht gespielt wurde.

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