Kitsch&Kunst

Theater ohne Darsteller

Undatierte Aufnahme des am 23. April 1902 in Reykjavik (Island) geborenen Schriftstellers Halldor Laxness. 1955 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen.
Der isländische Schriftsteller Halldor Laxness. Sein Roman "Weltlicht" bildet die Grundlage für das Stück von Kjartansson und Sveinsson. © picture-alliance / dpa
Von Tobi Müller · 19.02.2014
Zwei isländische Stars aus Kunst und Pop, das Filmorchester Babelsberg und sein Chor huldigen einem tief romantischem Kitschtheater: "Der Klang der Offenbarung des Göttlichen". Interessant dabei: die Publikumsmischung.
Die Menschen vor der Volksbühne sehen schöner aus als sonst. Man trägt die besseren Anzüge, die Details verraten Lockerheit. Frau kommt sowieso ausgefallener. Und: alle lachen.
Da stimmt etwas nicht, das ist keine normale Theaterpremiere. Stimmt, denn Regie, so heißt das tatsächlich im Programmheft, führt Ragnar Kjartansson, ein gut am Kunstmarkt aufgestellter Isländer. Die Musik komponiert hat Kjartan Sveinsson, bis vor einem Jahr der prägende Kopf von Sigur Ros, dieser verträumten Post-Rock-Band, auch aus Island natürlich. Auf dem Papier ist der Abend mit dem seltsamen Titel "Der Klang der Offenbarung des Göttlichen" der glamouröseste Theaterevent des Monats.
Vielleicht ist es auch alles gleich so angenehm, weil man im Saal viele andere Sprachen hört und somit die Realität, die das Theater immer so manisch beschwört, einfach mal zu Besuch kommt. So klingt das neue Berlin: englisch, isländisch, dänisch, französisch, hebräisch. Es wird dann immer angenehmer in den folgenden bloß 45 Minuten (angekündigt waren 70). Es wird wahnsinnig weich, extrem kitschig, super ironisch. Oder einfach nur weihevoll bis weit über die Schmerzgrenze hinaus.
Wogende Stoffbahnen simulieren die See
Kjartanssons Regie beschränkt sich auf die Verantwortung von fünf Bühnenbildern, die als sogenannte "Tableaux vivants" für sich allein stehen. Keine Schauspieler, keine Sänger stören, das einzig Lebendige sind wogende Stoffbahnen, die einen abgelegenen See simulieren inmitten von krude gemalten Bühnenteilen aus Holz und Stoff, wie man sich das 19. Jahrhundert in seiner romantischen Phase so vorstellt, als das Bürgertum das Theater für sich zu reklamieren begann und seine Respektabilität mit schöner Ausstattung zum Ausdruck bringen wollte.
Nach dem Wasser folgen: Wald, Gebirge mit Schlucht, Eisgrotte, brennendes Haus – alles im konsequenten Dämmerlicht, manchmal fällt auch Schnee. Eine böse Parodie auf ein romantisches Kunstverständnis. Es ist zu vermuten, dass viele unter den Kunstcrowdbesuchern die ganze Volksbühne für eine ziemlich coole Installation halten, extra für diesen Abend ge-re-enacted.
Kunst als Erlösung
Die extrem getragene Chor- und Streichmusik von Sveinsson kombiniert aber nicht mit diesen Ironiesignalen. Jede Stimmführung weihevoll, alles nach innen gerichtet, wo es warm und weich ist. In dieser Musik sind als Schwundstufe die Sedimente des Romans enthalten, auf die der Abend rekurrieren will, auf "Weltlicht"d es isländischen Nobelpreisträgers Halldor Laxness (1902-1998). Der 1940 erschienene epische Roman erzählt das Leben eines Jungen und später eines Mannes, der stets unter den allerwidrigsten Bedingungen an der Kraft der Poesie festhält.
Kunst als Erlösung. Kunst als Religion: "Allein herrsche die Schönheit mir", mit der Wiederholung dieser musikalischen Phrase endet der Abend, die allerletzte Wiederholung löst sie sogar tonal auf und landet auf dem Grundton. Bis hier kommt keine Ironie mit, das ist romantischer Kitsch in seiner reinsten Form. So steht es ja schon im Titel: "Der Klang der Offenbarung des Göttlichen".
An der Biennale von Venedig 2009 hat Kjartansson mit einer Horde von Freunden den isländischen Pavillon als Boheme-Bacchanal bespielt. Da war was los: Rotweingelage, Leinwände mit Ölbildern, ständiges Gesinge – eine wunderbare Parodie auf das Künstlerleben, respektive auf die Fantasien, die noch immer darüber kursieren.
Letztes Jahr waren Kjartansson und Sveinsson gemeinsam in Venedig, mit einem Holzboot, das immer wieder in den Hafen einfuhr, begleitet von ähnlich getragenen Klängen – viele schwärmen davon noch heute.
Aber die Volksbühne ist nicht ganz Venedig, und die Parodie im Bühnenbild wird von der dominanten Musik sofort eingeholt. Übrigens: Der Holzsaal war nicht Teil des Dekors, er bleibt noch ein bisschen. Im Gegensatz zum gut aussehenden und -gelaunten Publikum, leider. Bitte kommt wieder, es gibt da nämlich auch richtiges Theater und so, mit mehr als einer Pointe pro Stunde.

Der Klang der Offenbarung des Göttlichen
Uraufführung an der Volksbühne Berlin
Regie & Bühne: Ragnar Kjartansson
Komposition: Kjartan Sveinsson
Mitwirkende u.a.: Deutsches Filmorchester Babelsberg und Filmchor Berlin