Kita-Streiks

Erzieherinnen verdienen nicht mehr Geld, sondern andere Jobs

Eine Erzieherin der Kindertagesstätte "Kirschblüte" hängt in Schwerin ein Streik-Plakat an den Eingang der Einrichtung.
Eine Erzieherin der Kindertagesstätte "Kirschblüte" hängt in Schwerin ein Streik-Plakat an den Eingang der Einrichtung. © dpa / picture alliance / Jens Büttner
Von Matthias Gronemeyer · 19.05.2015
Ist der Kita-Streik gerechtfertigt? Der Philosoph Matthias Gronemeyer bezweifelt, dass Erzieherinnen und Erzieher mehr Geld verdienen - und hat ein paar provokante Vorschläge für die berufliche Zukunft von sozialen Arbeitern.
Man wird oft den Eindruck nicht los, dass die Forderung des Mehrhabenwollens sich allein aus der Wahrnehmung speist, andere hätten ja schließlich noch mehr. Etwa so, wie Kinder sich um einen Kuchen balgen. Womit wir beim Thema wären: Gegenwärtig bleiben viele Kindergärten geschlossen, weil sich die Erzieherinnen unterbezahlt fühlten.
Zu Recht? Ihr Lohn, so wird argumentiert, läge deutlich unter dem deutschen Durchschnitt, und das könne bei einer so verantwortungsvollen Tätigkeit ja wohl nicht sein. Einmal abgesehen davon, dass hier bei einem mittleren Gehalt von 2.700 Euro auf vergleichsweise hohem Niveau geklagt wird, - der Vergleich mit Löhnen in der freien Wirtschaft ist gerade kein Argument.
Der soziale Sektor, zu dem auch alle Erziehungsleistungen gehören, ist ökonomisch grundsätzlich defizitär. Das heißt, das Geld, das hier ausgegeben wird, muss anderswo erwirtschaftet werden: indem man Rohstoffe aus der Erde buddelt, Schweine mästet, Autos zusammenschraubt oder den Leuten fragwürdige Finanzprodukte andreht. Wenn man eine Volkswirtschaft nicht binnen einer Generation ruinieren will, dann dürfen die Reproduktionskosten die Produktionserlöse nicht übersteigen.
Will man seine Kinder nicht als Investitionsgüter behandeln, mit denen man auf dem modernen Sklavenmarkt ordentlich Rendite machen kann, dann fällt ihre Betreuung und Erziehung unter eben diese Reproduktionskosten. Wer mit dieser notwendigen Differenz zwischen seiner persönlichen produktiven und sozialen Arbeit nicht leben mag, hätte sich einen anderen Beruf wählen sollen. In der kapitalistischen Tretmühle sind auch diejenigen gefangen, die es nicht wahrhaben wollen.
Eine berufliche Perspektive bieten die wenigsten dieser Tätigkeiten
Ebenfalls kein Argument ist der Hinweis auf die langwierige und anspruchsvolle Ausbildung im Erzieherberuf. Nach dieser Logik hätte jeder Absolvent einer Kunstakademie Anspruch auf Festanstellung als Staatskünstler. Auch dass Kindererziehung eine anstrengende Tätigkeit ist, rechtfertigt keine Gehaltserhöhung: Mutti macht's schließlich umsonst. Beim Lohn geht es nicht um Gerechtigkeit, er ist auch keine Belohnung fürs Liebsein.
Also alles in Ordnung auch ohne Lohnsteigerung für die sozial Arbeitenden? Ganz so einfach ist es nun doch nicht. Sie halten der Wirtschaft immerhin den Rücken frei und sorgen dafür, dass Papi weder die kranke Omi pflegen, noch sich um die plärrenden Blagen kümmern muss, sondern ordentlich dem Burn-Out entgegenschuften kann. Diejenigen, die sich für einen sozialen Beruf entschieden haben, dafür in Sippenhaft zu nehmen, erscheint doch zumindest unfair. Denn es ist ja richtig: eine berufliche Perspektive bieten die wenigsten dieser Tätigkeiten.
Über zwei Dinge sollte man daher nachdenken: Erstens darüber, ob Kindergärtnerinnen die gleiche Steuer- und Abgabenlast tragen müssen wie Angestellte in der freien Wirtschaft. Schließlich erbringen sie eine gemeinnützige Leistung und heilen nicht selten die Wunden, die unser Wirtschaftssystem andernorts reißt.
Zweitens sollten sich "die Wirtschaft" und "die Politik" überlegen, ob sie nicht nur ihr Spitzenpersonal mal für zwei Wochen ins Sozialpraktikum schicken, damit es nicht vollends verroht, sondern sich umgekehrt auch für Menschen mit pädagogischer Ausbildung öffnet und ihnen Karriereperspektiven bieten.
Wer tränenreiche Streitereien im Sandkasten schlichten kann, dem dürfte das Verhalten mancher Vorstände nicht fremd sein. Und wer erfolgreich von verpeilten oder überkandidelten Eltern pünktlich das Essensgeld eintreibt, beweist damit Qualifikationen, die dem einen oder anderen Finanzminister in Europa gerade abgehen.
Matthias Gronemeyer, Jahrgang 1968, ist Hochschuldozent für Philosophie, Autor und Publizist. In seinem Buch "Profitstreben als Tugend?" hat er sich mit den Notwendigkeiten und Grenzen des Kapitalismus auseinandergesetzt. Zuletzt erschien von ihm "Trampelpfade des Denkens - Eine Philosophie der Desorientierung", wo er den Zusammenhängen von Digitalisierung und Demenz nachspürt. Er lebt in Stuttgart.
Matthias Gronemeyer
Matthias Gronemeyer© Iris Merkle
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