Kirill Serebrennikow

Kafkaeskes Exempel an einem Genie

Nahaufnahme von Serebrennikows ernstem Gesicht hinter Gittern. Er lehnt mit einer Hand an den Gitterstäben. Er trägt eine Baseballmütze verkehrt herum und eine blaue Jeansjacke.
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow im August 2017 in einem Gericht in Moskau. Ihm wird vorgeworfen, 68 Millionen Rubel staatlicher Gelder unterschlagen zu haben. © Alexander Zemlianichenko / AP / dpa
Jossi Wieler im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 22.08.2018
Der russische Künstler Kirill Serebrennikow steht seit einem Jahr unter Hausarrest. Der Theatermacher Jossi Wieler ist einer von vielen, die sich mit Serebrennikow solidarisch erklärt haben. Er vermutet, dass dieser eingeschüchtert werden soll.
Vor genau einem Jahr, am 22. August 2017, wurde der russische Theatermacher und Regisseur Kirill Serebrennikow in seinem Heimatland festgenommen und steht seitdem unter Hausarrest. Der Vorwurf: Veruntreuung. Serebrennikow war damals unter anderem an der Stuttgarter Oper aktiv, inszenierte "Hänsel und Gretel". Seine Arbeit musste der damalige Intendant der Oper, Jossi Wieler, beenden, der sich seitdem mit viel Nachdruck für die Freilassung Serebrennikows eingesetzt hat.
Wieler hält die Vorwürfe gegen Serebrennikow nach wie vor für nicht haltbar: Wenn an diesen etwas dran wäre, hätte es schon längst ein Gerichtsverfahren in Russland geben können, sagte er im Deutschlandfunk Kultur. Für die Anschuldigungen gebe es keine Beweise, "es dreht sich im Kreis".
Bei den Vorwürfen gegen Serebrennikow geht es um dessen Produktionsfirma: Sie soll für die Inszenierung des Shakespeare-Stückes "Ein Sommernachtstraum" jede Menge Fördergelder bekommen und diese dann unterschlagen haben.

Zu unbequem für Kreml und Kirche

Wieler sprach von einem "zynischem, kafkaeskem Spiel". Es sei unwürdig, einen so großen Künstler so zu behandeln. Russland könnte stolz auf Serebrennikow sein. Dieser sei "geradezu ein Genie", betonte Wieler. Er vermutet, dass Serebrennikow aus politischen Gründen im Hausarrest sitzt. Dieser sei unbequem für die Führung des Landes - die Themen die er aufgreife, wie Homosexualität oder der Einfluss der orthodoxen Kirche in Russland, würden nicht gern gesehen. Vermutlich wollten die Behörden an ihm ein Exempel statuieren, um Künstler einzuschüchtern.
Wie es Serebrennikow im Hausarrest geht, weiß Wieler nicht. Dieser habe nur Kontakt zu seinem Vater und seinem Anwalt, sagte Wieler. Auch das Internet ist tabu.
Die internationale Solidarität mit Serebrennikow habe bis heute kaum etwas bewirkt, klagte Wieler: "Man könnte fast sagen: Im Gegenteil." Der Hausarrest sei vor wenigen Tagen wieder um einen Monat verlängert worden. Selbst Bundespräsident Steinmeier habe nichts ausrichten können.

Leerer Platz im Kinosaal

Man kann aber davon ausgehen, dass Serebrennikow um die internationale Solidarität weiß. Er habe vor Gericht gerade darüber gesprochen, wie wichtig ihm diese Unterstützung sei, berichtete Wieler.
Serebrennikow ist ein außergewöhnlich vielseitiger Künstler, er inszeniert an Theatern und Opern und führt bei Filmen Regie. Er ist zudem Leiter des Moskauer Gogol-Theaters. Die Schauspieler dort erinnern bei den Aufführungen derzeit regelmäßig mit Plakaten an ihn.
Fimfestspiele in Cannes: Schauspielerin Irina Starshenbaum (M) hält ein Schild mit dem Namen des in Russland unter Hausarrest stehenden Theatermachers Kirill Serebrennikow, während sie mit Produzent Charles-Evrard Tchekhoff (l-r), Schauspieler Roma Zver, Teo Yoo, Kameramann Vladislav Opelyants und Produzent Ilya Stewart zur Filmpremiere "Leto" kommt.
Auch bei den Fimfestspielen in Cannes wurde gegen den Hausarrest von Serebrennikow protestiert: Schauspielerin Irina Starshenbaum hält auf dem rotenTeppich ein Schild mit dem Namen des Theatermachers hoch.© dpa-Bildfunk / Invision / AP / Joel C. Ryan
Trotz Isolation ist Serebrennikow offenbar nicht zum Nichtstun verdammt: Einen Film über die russische Rock-Legende Viktor Zoi, den Serebrennikow bereits im letzten Jahr gedreht hatte, habe dieser zu Hause zu Ende schneiden können, berichtete Wieler: "Wie auch immer das passiert ist, das wissen wir nicht." Der Film "Leto" wurde dieses Jahr in Cannes gezeigt - ohne Serebrennikow. Sein Platz im Kinosaal blieb leer. (ahe)
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