Kirchliches Engagement gegen Glücksspielsucht

Die Gier nach dem Gewinn

Eine illuminierte Spielhalle auf der Reeperbahn nachts in Hamburg.
Glücksspiel sollte strenger reguliert werden, fordern Suchthelfer - aber die Kommunen verdienen oft mit. Auch von der Kirche wünscht sich mancher mehr Engagement. © Imago / Hanno Bode
Von Andreas Boueke · 27.06.2021
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Viele Suchthelfer finden, der Staat müsse Menschen vor den Gefahren der Glücksspielsucht besser schützen. Doch der hat ein eigenes Interesse daran, Glücksspielanbieter nicht zu stark zu regulieren: Viele Kommunen verdienen mit.
"Wenn wir jetzt zusammen ins Casino gehen, wenn ich 100 Euro in der Tasche habe, gehen die rein – dann sind die weg", so erzählt ein Betroffener über seine Glücksspielerfahrungen.
"Die größte Sorge, die ich habe, ist, dass die Ungleichheit potenziert wird. Dass die Schwächeren die noch größeren Verlierer sind und dass wir später einen erschwerten Zugang bekommen zu denjenigen, die uns wegrutschen – weil wir keine Kontaktmöglichkeiten haben", sagt Holger Kasfeld. Er ist Sozialpfarrer im ostwestfälischen Herford und Vorstandsmitglied des Diakonischen Werks, das Hilfsprogramme für Menschen mit Glücksspielproblemen anbietet.

Braucht die Kirche eine klarere Haltung?

Neben der konkreten Unterstützung für Betroffene wünscht er sich von seiner Kirche, dass sie eine politische Haltung gegenüber den Glücksspielanbietern entwickelt.
"Da sind wir als Kirche relativ vorsichtig, würde ich mal sagen. Wir gehen da nicht groß in die Auseinandersetzung, obwohl wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle müssten", sagt er.
"Gerade, wenn man durch einzelne Schicksale dann noch mal bewegt wird zu fragen: Sind wir da eigentlich in der politischen Verantwortung und in unserem prophetischen Amt – also auch Dinge mal zu benennen, die unbequem sind –, sind wir da eigentlich richtig aufgestellt?"
Porträtfoto von Holger Kasfeld
Holger Kasfeld ist ist Sozialpfarrer im ostwestfälischen Herford.© Andreas Boueke
50 Kilometer von Herford entfernt, in der Stadt Gütersloh, liegt die Bernhard-Salzmann-Klinik mit einer der deutschlandweit größten Abteilungen zur therapeutischen Behandlung von Glücksspielabhängigkeit. Einem jungen Patienten, der sich zu einem Interview bereit erklärt hat, ist es sichtbar unangenehm, über seine Sucht zu sprechen.
"Ich habe alles für diese ganzen Wettglückssachen, mein ganzes Geld ist da draufgegangen: Pokerveranstaltungen. Ich habe da sehr, sehr viel Geld verloren", erzählt er. "Bin auch mit anderen Sachen in Konflikt gekommen. Geld besorgt. Ich habe auch Raubsachen gemacht… Und für was? Fürs Zocken."

Der deutsche Glücksspielmarkt ist der größte der EU

Rund die Hälfte der Patienten von Chefarzt Ulrich Kemper sind schon einmal in Konflikt mit dem Gesetz geraten: "Viele haben ein Nettoeinkommen von unter 2000 Euro, von denen Miete bezahlt werden muss und Lebensmittel und andere Dinge. Und da bleibt dann oft gar nichts anderes übrig, als kriminell zu werden. Natürlich werden dann am Anfang die Angehörigen angepumpt. Aber irgendwann geht es dann in die kriminelle Schiene und da werden dann eben ganze Familien zerstört."
Mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 14 Milliarden Euro ist der deutsche Glücksspielmarkt der größte der Europäischen Union. Trotzdem gelten die Deutschen als nicht besonders spielaffin. Nur knapp drei Prozent der Bevölkerung spielen ab und zu an Glücksspielautomaten. In den meisten anderen Ländern Europas seien es mehr, erklärt Mario Hoffmeister, Pressesprecher der Gauselmann Gruppe, einem der großen deutschen Hersteller von Glücksspielautomaten: "Warum sieht man Spielen in Deutschland eigentlich eher immer als ein Problem an, anstatt als das, was es für die meisten ist, nämlich Spielvergnügen?"
Der schlanke Politologe hat da seine eigene Theorie, woran das liegen könnte: "Durch den starken Protestantismus in unserem Land, wo es ja hauptsächlich darum geht, dass man nur durch harte Arbeit und durch ein gewisses Wohlgefallen zu einer göttlichen Erfüllung kommen kann, und dass solche Aspekte wie Glück eher nicht vorkommen, dass es hier mehr so eine calvinistische Sicht auf die Dinge gibt", sagt er.
"Während man tatsächlich schon in Süddeutschland – das kann man durchaus beobachten – und in Südeuropa, da wo der Katholizismus vorherrschend ist, auch zum Spiel eine wesentlich liberalere und lockere Einstellung hat als im doch stark protestantisch geprägten Deutschland."

"Man fühlt sich wie ein Versager"

In deutschen Kneipen und Spielhallen stehen rund 230.000 Geldspielautomaten. Mit aufwendigen 3-D-Grafiken, eingängigen Melodien, überraschenden Sound-Effekten und verführerischen Gewinnmöglichkeiten animieren sie zum Spielen.
Ein Mann, der anonym bleiben möchte, erzählt: "Man fährt ja grundsätzlich immer mit dem Gedanken zur Spielhalle: Heute gewinne ich. Sobald man durch die Tür gegangen ist, fühlt man sich dann sehr angesprochen und wohl. Es gibt auch Tage, da ist man 16 Stunden in der Halle. Wenn das Geld schnell weg ist, dann ist man einfach den Rest des Tages frustriert, deprimiert, bei mir zum Schluss dann auch echt mit Suizidgedanken. Man fühlt sich wie ein Versager in dem Moment, weil man wieder gespielt hat."
Der Psychiater Ulrich Kemper hat eine eindeutige Haltung: Der Staat sollte den Profitinteressen der Glücksspielindustrie klare Grenzen setzen: "Da muss man auch klipp und klar sagen: Was ihr da macht, ist unethisch und das ist nicht zu verantworten." Der erfahrene Arzt spricht auch deshalb so deutlich, weil er oft gesehen hat, wie grausam die Krankheit sein kann. Ganze Familien leiden Jahre lang an der emotionalen Verarmung und den hohen Schulden.

Viele Kommunen verdienen mit – durch Kommissionen

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung spricht von weit über 200.000 Menschen in Deutschland mit einem "problematischen Verhalten" gegenüber dem Glücksspiel. Fast drei Prozent der jungen Männer gelten als gefährdet oder als hochgradig glücksspielsüchtig.
In Anbetracht dieser Zahlen findet der Sozialpfarrer Holger Kasfeld nicht, dass sich seine Kirche deutlich genug positioniert: "Sie ist da abwägend, sie ist da im Gespräch bleibend, sie ist moderierend, aber sie geht da nicht rein wie Jesus in den Tempel, der die Händler austreibt. Das tut sie nicht."
Eingang zum Spielsalon "Rollendes Glück" im Landkreis Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz.
Spielsalon in Rheinland-Pfalz: Städte und Gemeinden profitieren.© Imago / Manngold
Viele Kommunen in Deutschland profitieren durch Kommissionen am Glücksspiel. Darin sieht die langjährige Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht in Bielefeld Ilona Füchtenschnieder einen problematischen Interessenkonflikt.

"Spielerschutz können sich nur reiche Kommunen leisten"

"Das ist ja so, dass Städte enorme Steuereinnahmen haben, durch diese Spielautomaten in Gaststätten und in Spielhallen. Und je strenger ich bin in der Genehmigung, desto weniger habe ich. Das heißt, Spielerschutz können sich nur reiche Kommunen leisten", sagt sie.
Das sieht der Lobbyist der Glücksspielindustrie Mario Hoffmeister natürlich anders. Er argumentiert, die wirkliche Gefahr für die Gesellschaft gehe nicht von den gemeldeten, legalen Spielstätten aus. Viel gefährlicher seien die unkontrollierten Angebote, die seit Jahren insbesondere in den Großstädten zunehmen: "Illegale Hinterzimmer, Shishabars, wo gespielt wird zum Teil. Das sind tatsächlich Probleme, weil es gibt halt Leute, die spielen halt gerne. Die suchen so ein bisschen den Kick am Automaten."
Auch öffentliche, kirchliche oder mildtätige Zwecke profitieren Jahr für Jahr durch die Einnahmen der Glücksspielbranche. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sollen nach einem Beschluss der Regierungsfraktionen der CDU und FDP ab diesem Jahr insgesamt rund 100 Millionen Euro aus den staatlichen Glücksspieleinnahmen an gemeinnützige Institutionen weitergeleitet werden.

Einen Lebenssinn finden hilft

Das bedeutet eine Aufstockung um 13 Prozent im Vergleich zu den vorherigen Jahren. Eine solche Regelung trägt natürlich nicht unbedingt dazu bei, dass die begünstigten Hilfsorganisationen strengere staatliche Kontrollen und effektivere Suchtprävention fordern. Pastor Holger Kasfeld hält das ganze Modell für moralisch fragwürdig. "Und da bin ich natürlich schon geneigt, die Frage zu stellen: Ist das Lüge? Dass ich jemandem im Prinzip vorgaukele, er könne etwas gewinnen, wenn im Hintergrund klar ist, dass an dieser Stelle nur einer gewinnt – nämlich die Organisation, die das Spiel anbietet. Insofern ist es für mich von der Lüge nicht weit."
Aber es gibt Auswege aus der Sucht. Ulrich Kemper hat oft erlebt, wie erfolgversprechend eine Behandlung sein kann, wenn es den Betroffenen gelingt, Aktivitäten zu finden, für die es sich lohnt, weiter zu leben.
"Also Lebenssinn, dass das auch ein guter Schutz ist vor Spielsucht. Oder dass in der Überwindung von Spielsucht tatsächlich auch eine Menge Menschen auf ihre spirituellen oder religiösen Kompetenzen zurückgreifen können, die dann manchmal in unserem kapitalistischen Alltag doch ziemlich verschüttgehen", sagt der Psychiater.
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