Kirchensteuer für Muslime ist Zukunftsmusik

Bülent Ucar im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 22.09.2010
Der deutsch-türkische Islamwissenschaftler Bülent Ucar ist dafür, in Deutschland ausgebildete Imame mit einer halben Stelle als Religionslehrer an Schulen zu beschäftigen. Dann könnten sich Länder und Gemeinden die Personalkosten für die Imame teilen.
Matthias Hanselmann: Wir begrüßen Professor Dr. Bülent Ucar, seit über zwei Jahren Inhaber des Lehrstuhls für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück und Teilnehmer der Deutschen Islam Konferenz. Guten Tag, Herr Ucar!

Bülent Ucar: Guten Tag!

Hanselmann: Zunächst einmal: Bis Ende des Monats werden bis zu vier Universitäten ausgesucht durch Gutachter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Seit drei Jahren gibt es an Ihrer Uni den Masterstudiengang Muslimische Religionspädagogik, Sie haben sich natürlich auch beworben. Rechnen Sie sich gute Chancen aus, bald Imame ausbilden zu können?

Ucar: Ja, wir sind sehr optimistisch und zuversichtlich, dass die Universität Osnabrück ein Standort wird zur Etablierung eines Zentrums für Islamische Studien.

Hanselmann: Wir haben es eben gehört, bisher arbeiten in Deutschland vorwiegend sogenannte "Import-Imame", von denen zum Beispiel die türkischen ihr Gehalt aus der Türkei beziehen. Wovon sollen denn später die an deutschen Universitäten ausgebildeten Imame leben?

Ucar: Das ist eine gute Frage. Wir haben rund 2000, 2500 Moscheegemeinden in Deutschland mit entsprechenden Imamen. Ein wichtiger Teil dieser Imame wird durch die Türkische Republik nach Deutschland entsendet, das sind Staatsbeamte, die auch entsprechend bezahlt werden. Ein anderer Teil der Imame, die werden durch die Gemeinden bezahlt, die sind in der Regel finanziell schlechter gestellt als die anderen Imame. Aber rund 90 Prozent aller Imame in Deutschland kommen gegenwärtig aus dem Ausland, und eines muss sich ändern: Wir brauchen Imame, die in Deutschland aufgewachsen sind, hier sozialisiert sind und auch hier entsprechend ausgebildet werden. Und die Bezahlung ist eine weitere Frage, die damit in einem gewissen Zusammenhang steht. Da gibt es verschiedene Modelle, wie man die Gemeinden auch unterstützen kann bei der entsprechenden Vergütung der Tätigkeiten von islamischen Theologen.

Hanselmann: Das heißt, die muslimischen Gemeinden bezahlen ihre Imame bisher aus Spenden?

Ucar: Richtig. Die meisten Moscheegemeinden sind als eingetragene Vereine organisiert. Sie haben Mitglieder, diese Mitglieder bezahlen entsprechende Mitgliedsbeiträge. Und über diese Beiträge wird das Geld der Imame bezahlt. Das reicht bei Weitem momentan nicht aus. Und wenn man akademisch ausgebildete Imame in Deutschland haben möchte, muss man natürlich auch über die weitere Frage nachdenken: Wie sollen diese Imame an der Stelle dann bezahlt werden?

Hanselmann: Auf jeden Fall. Nun gibt es den Vorschlag des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann, neue Imame sollten mit einer halben Stelle als Religionslehrer an deutschen Schulen beschäftigt werden, sodass sich die Länder und die Gemeinden dann die Kosten für den Imam teilen würden. Was halten Sie denn davon?

Ucar: Also Bundesforschungsministerin Schavan hat ja dazu gesagt, dass sie diese Idee charmant findet. Ich persönlich unterstütze diesen Ansatz auch ausdrücklich. Und zwar aus einfachem Grund: Der weltanschaulich neutrale Staat darf natürlich keine Imame bezahlen, so wie er auch nicht Pfarrer und Rabbiner bezahlt. Aber wir haben keinen strikten Laizismus wie etwa in der Türkei oder in Frankreich. Und selbst dort, in diesen Ländern werden die Imame entsprechend bezahlt – beispielsweise in der Türkei mit rund 100.000 Mitarbeitern. Ich glaube, wir haben einen Nachholbedarf im Bereich der Religionslehrer. Auch in den nächsten zehn, 20 Jahren werden wir weiter ausbilden, werden wir nicht genügend Religionslehrer haben für den islamischen Religionsunterricht. Andererseits fehlen uns Imame, deutschsprachige Imame. Und über den Vorschlag von Innenminister Schünemann könnte man quasi beide Probleme lösen. Da muss man aber vorsichtig und behutsam umgehen. Einerseits muss man darauf achten, dass die Imame auch eine religionspädagogische Ausbildung haben und nachweisen können. Und zum anderen müssen diese selbstverständlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Hanselmann: Was hielten Sie denn von einer Kirchensteuer für Muslime? Das würde natürlich voraussetzen, dass der Islam als Religion anerkannt wird bei uns.

Ucar: Richtig. Das wäre konsequent weitergedacht in dem Zusammenhang, das wäre natürlich die Idee, was wir mittel- und langfristig in Deutschland bräuchten. Die Voraussetzung dazu wäre, dass der Islam als Religionsgemeinschaft, als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegebenenfalls, anerkannt werden würde. Da sind wir glaube ich nach meiner Wahrnehmung weit entfernt, denn die Debatte um den Islam in Deutschland ist weitgehend angstgeprägt, und eine Anerkennung unter diesen Umständen erscheint mir nicht kurzfristig möglich zu sein.

Hanselmann: Deshalb bevorzugen Sie vorerst mal den Vorschlag des niedersächsischen Innenministers.

Ucar: Richtig. Für eine Übergangszeit halte ich diesen Schritt für konsequent und für logisch nachvollziehbar.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Bülent Ucar, er ist Islamwissenschaftler von der Universität Osnabrück. Und wir sprechen über die kommende Imamausbildung in Deutschland. Herr Ucar, lassen Sie uns über die inhaltliche Seite sprechen, einmal ganz einfach gefragt: Wie stellen Sie sich den idealen Imam vor, der an einer deutschen Hochschule ausgebildet wird?

Ucar: Also ein guter Imam sollte zunächst einmal gut gebildet sein. Er muss sich hervorragend auskennen im Bereich der islamischen Bildungs- und Erziehungstradition. Er muss ein Experte im Bereich der islamischen Wissenschaften sein. Das ist 'conditio sine qua non', ohne das geht gar nichts. Denn Theologen leben nun einmal von Akzeptanz. Und Akzeptanz erwirbt man sich durch Autorität. Autorität wiederum funktioniert in aller Regel durch Bildung und eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Hanselmann: Sollte er in Deutschland sozialisiert sein?

Ucar: Selbstverständlich. Ich denke, dass ein guter Imam in Deutschland aufgewachsen ist, hier sozialisiert wurde, hier in die Schule gegangen ist, der deutschen Sprache mächtig ist, die deutsche Kultur kennt und akzeptiert, und sich hier vor Ort auch heimisch fühlt und nicht quasi nur für eine Übergangszeit nach Deutschland kommt als Fremder unter Fremden.

Hanselmann: Da sind wir natürlich schnell bei der Frage, nach welchen Richtlinien die deutsche Imamausbildung durchgeführt werden wird. Wer bestimmt die theologische Linie, wer bestimmt die Lehrpläne und so weiter?

Ucar: Also da denke ich müssen wir einen vernünftigen Mittelweg finden. Eine islamische Theologie, die wir in Deutschland etablieren, die möglicherweise hyperliberal und besonders progressiv und sehr aufklärerisch daherkommt, wird uns ebenso wenig weiterhelfen wie eine stockkonservative, womöglich fundamentalistische Lesart des Islam. Was wir brauchen, ist die vernünftige Mitte, eine Balance zwischen progressiven Kräften und den Konservativen, denn ohne die Akzeptanz der Basis, ohne die Unterstützung der Moscheegemeinden wird uns die Imamausbildung nicht wirklich weiterhelfen. Wir brauchen die Moscheegemeinden, wir sind auf diese angewiesen. Denn Imamausbildung ist zunächst einmal Sache der Religionsgemeinschaften selbst. Und daher glaube ich, dass wir die Basis mitnehmen müssen.

Hanselmann: Wir hören, Sie sind ein Mann der Mitte. Trotzdem die Frage: Wie kontrovers darf denn Ihrer Meinung nach ein solcher Imam über seine Religion, den Islam, denken? Darf er vielleicht sogar an der Existenz des Propheten Mohammed zweifeln, wie es an der Universität Münster geschehen ist mit Professor Kalisch?

Ucar: Also ich glaube, dass Glaubenssysteme einen Teil in sich haben, der ja sozusagen die Essenz der jeweiligen Religionsgemeinschaft ausmacht. Und ein Bekenntnis zu diesem Kernbereich ist elementar für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft, ob das nun der Islam ist, das Christentum oder das Judentum. Und wenn man sich zu diesem Kernbestand bekennt, fühlt man sich auch entsprechend zugehörig. Und darüber hinaus gibt es einen Teil, der sicherlich kontrovers zu diskutieren ist zwischen den Angehörigen einer jeweiligen Religionsgemeinschaft. Und im Islam ist das genauso. Das Bekenntnis zur Existenz des Propheten Mohammed ist nun einmal konstitutiv für das islamische Glaubensbekenntnis.

Hanselmann: Sie wünschen sich den gemäßigten Imam der Mitte, wir haben es eben gehört. Aber die islamischen Vereinigungen in Deutschland sind ja zum Teil sehr kontrovers vertreten, sehr unterschiedliche Richtungen. Fürchten Sie denn nicht endlose Debatten oder Richtungskämpfe der unterschiedlichen islamischen Richtungen darüber, was der wahre Islam ist? Was als wahrer Islam gelehrt werden muss an deutschen Unis?

Ucar: Also sicherlich gibt es eine gewisse Gefahr, die Haltungen und Meinungen sind sehr vielschichtig. Aber andererseits gibt es auch einen großen Konsensbereich zwischen den islamischen Gruppierungen in Deutschland und auch weltweit. Und ich glaube, dass wir daher uns am Konsensprinzip aller Muslime orientieren müssen zum einen. Und zum anderen muss man das Ganze auch sehr, sehr behutsam angehen. Also ich halte nichts von einem politischen Aktionismus, dass man quasi von heute auf morgen diese ganzen Institutionen aufbaut, das halte ich nicht für realistisch. Zum einen, weil uns einfach das Personal in dem Zusammenhang fehlt, und zum anderen rate ich an der Stelle zu Behutsamkeit, weil ich da mögliche Probleme auf uns zukommen sehe. Daher würde ich die ganze Entwicklung gerne sukzessiv sehen. Also man muss es peu à peu entwickeln, und nicht von heute auf morgen.

Hanselmann: Imame werden bald an deutschen Universitäten ausgebildet. Wir haben gesprochen mit Professor Bülent Ucar, Islamwissenschaftler der Universität Osnabrück und Inhaber des Lehrstuhls für Islamische Religionspädagogik daselbst. Vielen Dank, Herr Ucar!

Ucar: Gerne!
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