Kirchenschmuck

Das Fasten der Augen

Das große Fastentuch von Zittau von 1472. Das breite Tuch diente zum Verhängen des Altars während der 40-tägigen Fastenzeit.
Das große Fastentuch von Zittau von 1472. Das breite Tuch diente zum Verhängen des Altars während der 40-tägigen Fastenzeit. © picture alliance / dpa / Oliver Killig
Von Rocco Thiede · 08.03.2014
In Zittau gibt es bundesweit einmalige Fastentücher zu bestaunen. Sie haben eine bewegte, ja wundersame Geschichte.
Zittau in Sachsen ist Grenzstadt. An der regionalen Via Sacra gelegen, im Dreiländereck zu Polen und Tschechien, werben die Oberlausitzer schon am Ortseingangsschild seit einigen Jahren mit dem Slogan: "Zittau: Die Stadt der Fastentücher". Diesen Beinamen hätte es zu DDR-Zeiten wohl nie gegeben. Das bestätigt Thomas Breitzke, der an der Kasse des Zittauer Stadtmuseums arbeitet, wo das Kleine Fastentuch zu sehen ist:
"Ältere Zittauer Bürger haben auch über die Presse darauf aufmerksam gemacht: Sagt mal, was ist eigentlich mit dem alten Fastentuch? Das haben wir früher, auch die Großeltern früher einmal gesehen und das muss doch noch in Zittau irgendwo sein. Und da kam diese Welle ins Rollen, dass die Bürger auf dieses Tuch aufmerksam wurden."
Ilona Windisch kommt ursprünglich aus Mecklenburg. Vor 20 Jahren zog sie nach Zittau, wo sie seit zwei Jahren im städtischen Museum arbeitet - als eine von 25 sogenannten Fastentuchbetreuern.
"Das Phänomen der Fastentücher ist eigentlich schon im frühen Mittelalter bekannt geworden. 4o Tage vor Ostern wurden die Altäre, das Allerheiligste verhangen. Das Fasten des Magens sollte mit dem Fasten der Augen einhergehen. Das große Fastentuch wurde 1472 erstellt, gemalt sehr wahrscheinlich von einem Franziskanermönch. Das große Fastentuch in einer Größe von 8,20 mal 6,80 Metern wurde zirka 200 Jahre vor unserer Hauptkirche, der Johanneskirche in Zittau benutzt. Das kleine Fastentuch ist ein Arma-Christi-Typ, die Waffen Christi - es ist ein Einbildfastentuch."
Russen nutzen das Tuch als Wandverkleidung für ihre Sauna
Doch die Fastentücher blieben nicht immer in der Kirche, sondern haben eine Odyssee hinter sich. Den Stadtbrand im 18. Jahrhundert überstanden beide Tücher wie durch ein Wunder in der Ratsbibliothek. Dann kam der König Johann von Sachsen und brachte das große Tuch, heute das einzige seiner Art in Deutschland, ins königliche Palais seiner Residenzstadt Dresden. In den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts kam es nach Zittau zurück - ein glücklicher Umstand, wie Ilona Windisch berichtet:
"Das war sicherlich auch ein Glücksumstand, denn in den Kriegswirren wurde Dresden 1945 stark bombardiert und damit war das Palais in Dresden dem Erdboden gleichgemacht und das Tuch wäre unwiederbringlich verloren gewesen. Alle wertvollen Güter der städtischen Museen wurden - unter anderem auch das Große Fastentuch - auf der Burg- und Klosterruine Oybin untergebracht. Sowjetische Soldaten, die fanden dieses Tuch, und zerrissen es in vier Teile und nutzten die Seiten als Wandbekleidung für ihre provisorisch im Wald errichtete Sauna."
Diese Zweckentfremdung grenzte fast an einen Totalverlust des mittelalterlichen Tuchs. Zu DDR-Zeiten hatte kaum jemand Geld und Interesse, die Tücher zu restaurieren und zu präsentieren. Dies geschah erst nach der deutschen Wiedervereinigung. Die gelungene Restaurierung dieser Kunstwerke von Weltgeltung fand in den 90er-Jahren statt. Das "Große Fastentuch" ist heute im eigens dafür geschaffenen Museum in der ehemaligen Kirche zum Heiligen Kreuz ausgestellt. Es wird dort in der laut Guinness Buch der Rekorde "größten Museumsvitrine der Welt" präsentiert.
Luther sprach von "päpstlichem Gaukelwerk"
Aber auch das 4,30 mal 3,40 Meter große "Kleine Zittauer Fastentuch", das heute im Kulturhistorischen Museum im ehemaligen Franziskanerkloster ausgestellt wird, ist eine einzigartige Kostbarkeit. Weltweit gibt es von diesem Arma-Christi-Typus nur noch sieben Exemplare. In Deutschland ist es das einzige seiner Art. Geschaffen von einem unbekannten Maler 1573, hat es dazu die Besonderheit, dass eine evangelische Gemeinde dieses 56 Quadratmeter große Tuch in Auftrag gab, was nach Martin Luthers abschätzigem Urteil von 1526 zu Fastentüchern als "päpstlichen Gaukelwerk" schon an ein Wunder in diesem Kernland der Reformation grenzte. Jährlich kommen an die 40.000 Besucher nach Zittau, nur weil sie die beiden Fastentücher sehen wollen. Zu ihnen gehört auch der Kinderarzt Dr. Bär aus Prenzlau:
"Ich fand's sehr ergreifend. Ich war tief berührt, vor allem von der Geschichte des Großen Fastentuches, wie viele glückliche Zufälle sich doch aneinander reihen müssen, um so eine wichtige und weitreichende Dokumentation aus dem Mittelalter heute noch sehen zu können."
Wolfgang Bär sagt von sich, dass er Atheist sei, aber diese Bibel in Bildern lesen kann:
"Ich habe selbst als Jugendlicher große Teile der Bibel gelesen, obwohl meine Einstellung atheistisch geprägt war - aber ich fand das eben als Bereicherung, aus der Vergangenheit und Geschichte der Menschheit zu lernen."
Mittlerweile kommen ganze Touristengruppen eigens wegen der beiden Fastentücher nach Zittau - und das nicht nur zur österlichen Fastenzeit.
Thomas Breitzke: "Die Leute sind richtig begeistert und vermitteln das auch: Was ihr hier für einen Schatz habt in Zittau! Also aus ganz Europa, aus Übersee, aus USA, von Kanada, viele holländische Gäste, die traditionell hier Urlaub machen, aus allen Ecken Deutschlands die Bürger hierher kommen, um diese Zittauer Fastentücher zu sehen."
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