Kirchenkritiker zur Moscheesteuer

Keinen "Mumm" für echte Forderungen

Ein Mann betet in einer Moschee.
Ein Mann betet in einer Moschee. © dpa
Carsten Frerk im Gespräch mit Ute Welty · 29.12.2018
Ist eine Moscheesteuer für Muslime - wie derzeit diskutiert - wirklich eine gute Lösung, um eine Radikalisierung zu verhindern? Der Journalist und Kirchenkritiker Carsten Frerk hält eine solche Steuer für "eine Schnapsidee".
Ute Welty: Die Radikalisierung in deutschen Moscheen verhindern – das ist die Idee hinter einer Moscheesteuer. Milliarden sollen in den vergangenen Jahren vor allem von Saudi-Arabien investiert worden sein, um die Verbreitung eines fundamentalistischen Islams zu bewerben. Als Vorbild für die Moscheesteuer wird immer wieder die Kirchensteuer genannt. Aber taugt die tatsächlich als Vorbild? Damit hat sich Carsten Frerk beschäftigt. Er ist Politologe, Journalist, Kirchenkritiker, und seine Erkenntnisse hat er unter anderem zusammengefasst im "Violettbuch Kirchenfinanzen". Carsten Frerk ist an diesem Samstag zu Gast in "Studio 9". Guten Morgen!
Carsten Frerk: Guten Morgen!
Welty: Halten Sie es für eine gute Idee, islamische Gemeinden nach dem Vorbild der christlichen Kirchen finanzieren zu wollen?
Frerk: Es ist, auf die deutsche Situation bezogen – ich sag es mal einfach so, es ist ja früher Morgen – eine Schnapsidee. Das ganze deutsche Kirchensteuersystem beruht auf einer jahrhundertelangen Entwicklung von Staat und Kirche in Deutschland, und ich denke, der Islam ist gegen diese Idee einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, was ja Voraussetzung wäre für so eine Art Steuer absolut renitent.

"Kirchenfragen sind Länderangelegenheit"

Welty: Warum?
Frerk: Das passt nicht in die Tradition hinein, auch nicht in die Auffassung. Man wird ja nicht durch Kircheneintritt in den Islam Muslim, sondern weil der Vater die Religionszugehörigkeit hat, ist man automatisch Muslim. Und deshalb kann sich auch Saudi-Arabien, diese ganzen Herrschaftssysteme können sich gar nicht vorstellen, dass jemand nicht Muslim ist, wenn er Saudi ist. Man ist automatisch sozusagen drin. Und daran scheitert es schon mal total. Dann zum anderen sind Kirchenfragen Länderangelegenheit, da hat der Bund überhaupt nichts zu sagen. Und das Entscheidende ist, wenn die Körperschaftsstatus bekommen würden, was einfach praktisch völlig unmöglich ist, müssten es die Religionsgemeinschaften selbst beantragen. Das heißt, das ist so was von unrealistisch. Das eigentliche Problem ist ja die Fremdfinanzierung, und das kann man auf diesem Weg sozusagen nicht lösen. Man hat es mal in Baden-Württemberg probiert, ob man den Imam genauso wie die Bischöfe finanziert, auf Staatskosten, um ihn darüber finanziell sozusagen an die Leine zu nehmen, und wenn er dann zu radikal wird, zu sagen, dann streichen wir dir das Geld. Disziplinierung durch Finanzierung.
Welty: Kirchensteuer zahlt ja nur, wer Mitglied einer Kirche ist, aber auch alle anderen Steuerzahler finanzieren die Kirchen mit. Wie und wohin laufen diese Finanzströme?
Besucher stehen am Tag der offenen Moschee in der Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld
Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld.© picture alliance/ dpa/ Henning Kaiser
Frerk: Es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Finanzierungen in Deutschland. Konfessionsschulen, konfessionelle Kindertagesstätten, die gesamte Caritas, Diakonie ist ja eine Dienstleistung, die eben erbracht und finanziert wird. Da geben die Kirchen noch nicht mal zwei Prozent ihrer Mittel hinein. Wo die Leute immer denken, Kirchen tun doch so viel Gutes. Das tun sie zwar auf der einen Seite, aber erstens nur für die Mitglieder, und zum anderen finanzieren sie es nicht. Und das ist immer, finde ich, das Entscheidende. Das ist ein ganzes Bündel, ich habe mal versucht, es zusammenzustellen, was auch aus allgemeinen Steuergeldern, die also auch jeder Muslim, konfessionsfreie Buddhist bezahlt. Das ist im Jahr eine Größenordnung von 20 Milliarden Euro.
Welty: Aber der Steuerzahler bekommt ja auch was dafür, eben Krankenhäuser, Altenpflege, Schule …
Frerk: Gut, das müsste der Staat ja auch praktisch selbst dann im Grunde mit übernehmen. Aber das tut er faktisch ja schon. Und diese traditionellen Teile – für mich ist Soziales, Gesundheit eine Staatsaufgabe und keine Kirchenaufgabe. Und deshalb, wenn die Kirchen so etwas anbieten, sollen sie das gern tun, dann auch selbst finanzieren. Aber der Staat müsste im Grunde für eine Neutralität in den staatlich finanzierten Einrichtungen dann auch, finde ich, sorgen.

"Völlig klar, die deutsche Kirche ist verfettet"

Welty: Wie läuft die Kirchenfinanzierung in anderen Ländern?
Frerk: Das ist sehr unterschiedlich. Der größte Unterschied dürfte zu Frankreich bestehen. Frankreich hat ja diese sehr klare Trennung, Laïcité von Staat und Kirche. Und dort sammeln die Kirchen an einem Tag Spenden ein, und das ist ungefähr die Größenordnung, was die gesamte französische katholische Kirche einnimmt, was das Bistum Trier einnimmt. Und ein normaler Priester in Frankreich bekommt 450 Euro, ein Erzbischof bekommt 900 Euro. Und da wurde ein Erzbischof mal gefragt, ob er nicht neidisch sei auf die deutschen Kollegen, die da acht- bis zwölftausend Euro im Monat aus der Staatskasse bekommen. Und dann hat er, das wurde schön beschrieben, sich ganz gerade hingesetzt und gesagt, ich glaube, dass wir dem Auftrag unseres Herrn näher sind als unsere deutschen Brüder.
Welty: Das ist aber schon eine gewaltige Kritik, oder?
Frerk: Zum Beispiel der Leiter des katholischen Büros hier in Berlin, Prälat Jüsten, sagt völlig klar, die deutsche Kirche ist verfettet.
Welty: Und zu reich.
Frerk: Zu reich – ja, das sind andere Dimensionen. Sehr vermögend, und es ist ja auch eine reiche Gesellschaft. Und die Kirche ist so stark in diese reiche Gesellschaft integriert, mit allen Benefits, die da so möglich sind. Allein, dass der Staat das Inkasso organisiert für eine private Organisation, das ist ein finanzverfassungsrechtliches Unikum weltweit. Das gibt es nur in Kleinigkeiten, so vier, fünf Schweizer Kantone machen das ein bisschen so ähnlich. Aber dieses flächendeckende staatliche Inkasso auf der Grundlage des verfassungswidrigen Eintrags der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte, von den Nazis 1933 eingeführt, von den Alliierten auf Einflussnahme der evangelischen Kirche niemals wieder korrigiert worden.
Im Grundgesetz steht völlig klar drin, niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren, es sei denn gegenüber dem Staat für statistische Zwecke. Jeder Buchhalter, jeder Finanzbeamte bekommt davon Kenntnis. Und ich hab mal in der Recherche geguckt, was ist denn mit dem Bundesverfassungsgericht. Ich konnte die Religionszugehörigkeit von Herrn Präsident Vosskuhle nicht rauskriegen. Ich hab dann an den Pressesprecher geschrieben, und der schrieb zurück, sehr geehrter Herr Frerk, die Religionszugehörigkeit ist eine der intimsten persönlichen Informationen eines Menschen, und deshalb werden Sie verstehen, dass ich Ihnen dazu nichts sagen kann. Da habe ich gesagt, hallo? Das Gericht selbst sagt, das ist ein kleiner, so marginaler Eingriff in die Grundrechte, aber für das staatliche Inkasso von grundlegender Bedeutung, und deshalb wollen wir es mal dabei belassen, oder so was.

"Juristisch könnte man einiges machen"

Welty: Wo könnte man denn lernen, was Kirchen- oder Moscheefinanzierung angeht? Denn es ist ja eine Tatsache, das wissen wir ja nicht erst seit dem Attentat vom Breitscheidplatz und Anis Amri, dass die Radikalisierung in deutschen Moscheen ein echtes Problem ist.
Frerk: Sie findet statt, das ist auch nachgewiesen von verschiedenen Journalisten, die undercover auch gedreht haben und das wirklich auch belegen konnten. Das ist keine Frage. Aber ich bin mir nicht so sicher, dass das nur eine Frage der Finanzierung ist. Da könnte man also juristisch einiges gegen machen, indem man einfach bestimmte Auflagen hat, die für alle Religionsgemeinschaften gelten. Zum Beispiel können Sie nicht in Deutschland Priester oder Pastor werden, wenn sie nicht studiert haben. Das heißt, dass ein fremder Staat wie die Türkei 600 Imame nach Deutschland schickt, die zum Teil wenig oder gar nicht Deutsch können. Ein sehr fundamentalistisches, männliches Bild von der Welt haben.
In der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin können Frauen und Männer zusammen beten und predigen.
In der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin können Frauen und Männer zusammen beten und predigen.© Deutschlandradio
Das müsste der deutsche Staat, finde ich, nicht hinnehmen. Sondern er könnte forcieren eine Ausbildung für Imame in Deutschland, wo dann auch wirklich nur noch denen zugebilligt werden würde, dass sie in Deutschland auf Deutsch predigen dürften. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch dort bestimmen wieder die Verbände mit, wer Professor werden darf und wer nicht. Und wenn dann die liberalen Islamprofessoren, die wir ja haben, (…), dann werden die wieder kaltgestellt oder so was. Da hat der Staat einfach in Deutschland keinen Mumm, dort auch mit dem Islam kritischer umzugehen und auch bestimmte Forderungen zu stellen.
Und das ist, finde ich, das, was die Situation insgesamt kennzeichnet. Man eiert so rum, man will bestimmte Tendenzen vermeiden – verständlich und auch völlig nachvollziehbar –, ist aber offensichtlich nicht bereit, dagegen was zu tun, weil das könnte ja auch wieder die christlichen Kirchen treffen. Und wenn ich mir dann dieses System angucke, insgesamt die Bevölkerung geht immer mehr weg von den Kirchen. Diese sinnstiftende Funktion haben die Kirchen immer weniger, und bei den Jüngeren auch noch wieder immer weniger. Und in der Elite, in den Parteien, in den Parlamenten – gucken Sie es an: Die beiden Vorsitzenden von SPD und CDU reden im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken miteinander, weil beides katholische, doch sehr überzeugte Frauen sind, die nach katholischem Menschenbild ihre Politik orientieren. Hallo?
Welty: "Hallo?" sagt der Kirchenkritiker Carsten Frerk. Wir haben geredet über die Kirchenfinanzierung und auch die Moscheefinanzierung hier im "Studio 9"-Gespräch. Haben Sie Dank für den Besuch!
Frerk: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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