Kirche und Gesellschaft

Ist diese Beziehung noch zu retten?

04:34 Minuten
Ein rot leuchtendes Neonschild betender Hände.
"Religion kann zeigen, dass es außer dem Diesseits noch ein Jenseits gibt", sagt Uwe Bork. © unsplash/George Kedenburg
Ein Kommentar von Uwe Bork · 01.04.2021
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Die evangelische und vielleicht mehr noch die katholische Kirche in Deutschland zeigen schon seit Längerem nur noch einen Bruchteil ihrer vergangenen Stärke: Den Hirten laufen die Herden davon. Autor Uwe Bork diagnostiziert eine Beziehungskrise.
Sie machen es ihren Kritikern aber auch zu einfach: Wer in diesen Tagen auf die Kirchen einprügeln will, dem drücken sie den passenden Stock praktisch gleich selbst in die Hand. Namentlich auf katholischer Seite sieht es fast so aus, als wolle man das Flagellantentum neu beleben und tue alles dafür, die nächste Auspeitschung auch zu verdienen.
In die angebotenen Kerben – bitte verzeihen Sie den Kalauer – möchte ich allerdings nicht schlagen. Mir geht es hier nicht um Kirchenschelte, mir geht es vielmehr um einen Blick auf die seit mehr als zweitausend Jahren nicht einfache Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft. Sie scheint mir mittlerweile an einem Punkt angelangt zu sein, den man in einer Ehe als Stadium schwerwiegender Zerrüttung bezeichnen würde. Also auf die Couch: Wir müssen reden!

Muss sich die Amtskirche wirklich zu allem äußern?

Beginnen wir einmal bei den Kirchen. Sie sind trotz sinkender Mitgliederzahlen immer noch eine wichtige Stimme in unserem Staat und unserer Gesellschaft. Nur: Muss diese Stimme auch – gefühlt – wirklich zu allem und jedem zu hören sein? Zum zehnten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima genauso wie zum "Nutztier als Mitgeschöpf", zum eremitischen Leben im deutschen Sprachraum ebenso wie zu ethisch-nachhaltigen Geldanlagen? Lobbyismus im Auftrag des Herrn ist offensichtlich nicht minder üblich wie solcher im Auftrag des Kapitals, samt sogenannter "kirchlicher Büros" in Berlin und in den Bundesländern.


Sicher: Christen sollen ihre Stimme erheben und gegen Unrecht und Willkür auftreten. Aber so wie eine kleine Glocke, die dauernd angeschlagen wird, leicht wie eine eben auch dauernde Ruhestörung empfunden wird, sind seltene Schläge großer Glocken durchaus willkommen. Sie dienen seit Alters her als willkommene Zeitansage, oft auch als Warnung vor Katastrophen. Wäre es da, liebe Kirchen, nicht besser, mit weniger Verlautbarungen an die Öffentlichkeit zu treten, dafür aber mit gewichtigeren? Und das gerne auch in evangelisch-katholischer Gemeinsamkeit.

Die Skandale verstellen den Zugang zur Transzendenz

Doch lassen Sie uns nun – gut therapeutisch – die Perspektive wechseln. Befassen wir uns nicht damit, wie die Kirchen die Gesellschaft sehen, sondern damit, wie die Gesellschaft die Kirchen sieht. Auch das kein sonderlich glückliches Thema. Wird das Bild der Kirchen doch heute weithin davon bestimmt, dass diese Kirchen – und dabei vor allem die katholische – als sexuell gewalttätig, frauenfeindlich und homophob wahrgenommen werden.
Alles leider richtig, nur sollte diese tiefschwarze Seite der Kirchen nicht den Blick darauf verstellen, dass ihr leider nur zu oft unmenschliches Antlitz nicht das ist, was Religion ausmacht. Die kirchliche Kernkompetenz – bitte verzeihen Sie den etwas vollmundigen Ausdruck – liegt nun einmal darin, Menschen für die Transzendenz zu öffnen. Religion kann zeigen, dass es außer dem Diesseits noch ein Jenseits gibt. Oder wenigstens: geben könnte.

Am Ende ist's eine Frage des Seelenheils

Wer nur darauf schaut, welche unverzeihlichen Fehler Priester und Pastoren, Hirten und Oberhirten so machen, der geht unweigerlich am Wesentlichen vorbei. Wer nur darauf schaut, wie Gottes Bodenpersonal seine eigenen Werte verrät, bleibt im Materiellen hängen und versäumt darüber das Geistige.
Begleiten wir die Kirchen kritisch, das ist nötig, demokratisch und unverzichtbar. Vergessen wir dabei aber auch nicht, was sie uns bieten können, in dieser Welt und – vielleicht – in einer anderen.
Die Frage nach der Religion ist seit jeher die Frage nach den Grundlagen für die Gestaltung unserer Gesellschaft. Das gilt in der Negation selbst für Atheisten. Eine schlaue Bitte, die dem Preußenkönig Friedrich dem Großen zugeschrieben wird, bleibt uns folglich als gemeinsamer Nenner: "Gott, wenn es einen gibt, sei meiner Seele gnädig, wenn ich eine habe."

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Uni Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik, Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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