Kinokolumne Top Five

Fassbinder-Filme: Erkundungen in den Abgründen der Seele

05:38 Minuten
Rainer Werner Fassbinder und Rosel Zech in "Die Sehnsucht der Veronika Voss"
Der vorletzte Film: Rainer Werner Fassbinder und Rosel Zech in "Die Sehnsucht der Veronika Voss". © imago images / Prod.DB
Von Hartwig Tegeler · 26.09.2020
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Mit dem Biopic "Enfant Terrible" setzt Oskar Roehler dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder ein Denkmal. Ab 1. Oktober läuft der Film in den deutschen Kinos – ein guter Anlass für eine Top Five mit Fassbinders besten Arbeiten.

Platz 5 – "Katzelmacher" (1969)

Marie glaubt an ihre Liebe zu Jorgos, dem "Gastarbeiter" von der Ägais, gelandet oder auch gestrandet in München. Doch wie soll die Liebe gelingen inmitten dieser Aussichtslosigkeit und des Fremdenhasses, die das Leben der jungen Münchner prägen: Jorgos wird dabei gespielt von Fassbinder selbst. Fassbinders Durchbruch wurde von der Kritik bejubelt, aber das Image des "Bürgerschrecks" war ebenso etabliert. Marie – Hannay Schygulla hier das erste Mal bei Fassbinder – gibt Jorgos ihre Mentalitätsdiagnose über die Deutschen: "Dass du nichts denkst von den anderen. Die reden nur und meinen nichts damit."

Platz 4 – "Fontane Effi Briest" (1974)

Effi – Hanna Schygulla – ist ein Wesen voller Energie und Lebenskraft. Bis sie den 20 Jahre älteren Baron heiratet. Fassbinder erzählt in seiner Theodor-Fontane-Adaption auf kongeniale Weise von Effis langsamem Ersticken in der Enge der bürgerlichen Institution Ehe. Eine Affäre besiegelt ihr gesellschaftliches Schicksal. Sie wird ausgestoßen von ihrem Mann und ihrer Familie. Und Effi wird sterben. Fassbinder hat über Fontane gesagt, dass er ihn schätze, weil er beschreibe, ohne eine Lösung für das Problem vorschlagen zu können. Darin fühle er sich diesem Schriftsteller sehr nahe.

Platz 3 – "Deutschland im Herbst" (Episodenfilm) (1978)

Die BRD zur Zeit des RAF-Terrorismus im Oktober 1977. Stammheim, der Tod von Baader, Ensslin und Raspe, das Begräbnis des entführten und ermordeten Hanns Martin Schleyer. Die Episode von Fassbinder zeigt den Regisseur im Gespräch mit seiner Mutter Liselotte Eder, der er vorwirft, sie würde autoritären Denkstrukturen frönen. Im Gegenschnitt Fassbinder zu Hause, am Telefon, nackt, im Bett mit seinem Geliebten, koksend, hysterisch, voller Angst vor der Reaktion des Staates, verzweifelt. "Ich bin depressiv", schreit Fassbinder in die Kamera des Regisseurs Fassbinder, "ich weiß nicht mehr weiter, ich kann nicht mehr arbeiten." Das Private und das Politische in dieser historischen Situation bekommt in Fassbinders radikaler Selbstentblößung eine brutale Intensität. "Deutschland im Herbst" ist schockierend und faszinierend in der diesem Filmemacher eigenen Radikalität.

Platz 2 – "Lola" (1981)

1957. Bayern. Kleinstadt. Der neue Baudezernent – Armin Mueller-Stahl – bringt das Gleichgewicht aus Macht, Korruption und Geld der Honoratioren der Stadt durcheinander. Lola, die Hure aus dem örtlichen Bordell und wichtige Strippenzieherin – Barbara Sukowa – schmunzelt über seine Naivität zu glauben, er werde diesen Kampf führen können. Am Ende erweist sich der Widerstand des Baudezernenten als Sturm im Wasserglas; auch dieser Mann wird integriert werden. Fassbinder seziert das Wirtschaftswunderland BRD, die "Adenauer-Ära" als mafiöses System. Traumland? - Von wegen! Ein Albtraumland.

Platz 1 - "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (1982)

Die Geschichte der ehemaligen und ehemalig erfolgreichen UFA-Schauspielerin Veronika Voss – Rosel Zech – in den 1950er Jahren. Ihr Ruhm ist verblasst, ihre Kunst versinkt im Drogenrausch. Lösungen gab Fassbinder auch hier nicht – so wenig wie der von ihm bewunderte Theodor Fontane –, sondern legte Vivisektionen am gesellschaftlichen Körper vor. Natürlich wird Veronika Voss in diesem vorletzten Film von Fassbinder sterben. An einer Überdosis Morphium und Schlaftabletten. Todesursache bei Fassbinder 1982: Herzstillstand, wahrscheinlich aufgrund einer Überdosis aus Koks, Tabletten und Alkohol. "Ich habe Angst vor dem Sterben", sagte Rainer Werner Fassbinder einmal. Angst, "dass dann, wenn es zu Ende ist, dass das, was man gemacht hat, vielleicht auch sinnlos war".

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