Kinokolumne Top Five

DiCaprios hohe Schauspielkunst

05:27 Minuten
Leonardo DiCaprio mit Bart und langen Fingernägeln
Leonardo DiCaprio kann alles gut: auch sitzen, wie hier in "Aviator". © picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Von Hartwig Tegeler · 06.02.2021
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Leonardo DiCaprio gilt als einer der besten Schauspieler Hollywoods. Arte widmet ihm nun eine Doku mit dem passenden Untertitel: „Most Wanted“. Ein Anlass, zurückzuschauen, wie DiCaprio selbst die alltäglichsten Handlungen mit Bravour meistert.

Platz 5 – "Küssen" in "Total Eclipse" (1995)

Leonardo DiCaprio spielt bei Agnieszka Holland den französischen Lyriker Arthur Rimbaud, der sich in Paul Verlaine – David Thewlis – verliebt. Der erste Kuss zwischen den beiden Männern. DiCaprio – 21 ist er da –, fast noch pausbäckig, junger Schelm, schwuler Künstler, verzehrend, selbstzerstörerisch, genial. Der Kuss unschuldig und doch intensiv und lodernd. Vor allem: lebendig! Von wegen Angst vor der Homophobie der Zuschauer nach den Erfolgen mit "Gilbert Grape" oder "Jim Carroll – In den Straßen von New York", nein: Mut bedeutet, sich in den Dienst der Rolle stellen.

Platz 4 – "Tanzen" in "Titanic" (1997)

Jack und Rose. Bevor die Titanic mit dem Eisberg kollidiert, der ausgelassene Tanz zwischen beiden im Zwischendeck. Vor Liebe, Romantik, ja, Kitsch und das "Titanic"-Drama, das ja nur Rose, nicht Jack überleben wird. Hier dramaturgisch der Kontrapunkt des Tanzes, reine Lebensfreude. Schauspielen ist auch Körper-Beherrschung; die Kunst, den Körper in der Szene zum Medium des Ausdrucks, der Emotionen werden zu lassen. Und DiCaprio tanzt wie ein Berserker. Kate Winslet aber auch.

Platz 3 – "Sitzen" in "Aviator" (2004)

Das Gegenteil von Bewegung: Stillstand. Stillstellen des Körpers. Vielleicht ist Howard Hughes – Werkzeug- und Filmproduzent, Luftfahrtpionier – schon wahnsinnig geworden in seinem Kinoraum, den er allein behaust mit der unendlichen Zahl von Milchflaschen, gefüllt mit Urin, aufgereiht in einer unendlichen Reihe. DiCaprio nackt im weißen Ledersessel, der Oberkörper vernarbt, der Bart strähnig, die Augen rot unterlaufen. In dieser Starre die emotionale Bombe ticken zu lassen. Ohne Explosion. Solche Bilder graben sich ein mit der Spannung, die hier einer spielend (!) entstehen lässt.

Platz 2 – "Trinken" in "The Departed" (2006)

"Einen Cranberry-Saft", bestellt Billy bei der ersten Kontaktaufnahme. Der Nachbar an der Bar lästert: "Das Zeug ist gut für die Blase. Trinkt meine Freundin, wenn sie ihre Periode hat. Hast du deine Periode?" Spannend, verstörend, wie DiCaprio wegschaut, verunsichert, einen Zug aus der Zigarette nimmt, dann das Bierglas dem anderen auf den Schädel schlägt: Vielleicht ist gar nicht die Gewalt das Verstörende wie Faszinierende wie Grandiose an DiCaprios Spiel, sondern das Eruptive dieses Ausbruchs: blitzartig, instinktiv, animalisch, angetrieben von der bösen archaischen Kraft des beleidigten Mannes.

Platz 1 – "Mit Messer und Gabel essen" in "Django Unchained" (2012)

Schauspielkunst: Mit den Requisiten die Wucht des Spiels verstärken. Plantagenbesitzer Candie alias DiCaprio verhandelt beim Abendessen mit dem Kaufinteressenten – Christoph Waltz – über einen Kampfsklaven. Leonardo DiCaprio, am Kopfende des Tisches sitzend, würzt zunächst, ausgestellt affektiert, mit der Pfeffermühle das Fleisch auf seinem Teller nach; nimmt dann das Besteck zur Hand, während er weiter Konservation betreibt. Aber Messer und die Gabel, die er – scheinbar zufällig – immer wieder auf Schultz richtet, enthüllen die Tiefenstruktur dieser scheinbar kultivierten Unterhaltung.

Messer und Gabel, wie sie Leonardo DiCaprio scheinbar nebenbei, ja, selbstverständlich einsetzt beim Essen – der gnadenlose Herrscher! –, sie transportieren die brutale und satanische Seite dieses Mannes. Leonardo DiCaprios Meisterschaft, das ist die Kombination aus Spiel, Ausdruck und, wie in dieser Szene aus "Django Unchained" zu studieren, präzisem Handwerk. Kunst kommt von Können!
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