Kinokolumne Top Five

Der Jahrmarkt als Geburtsort des Kinos

Mit "Lady Shanghai" schuf Regisseur Orson Welles einen Klassiker der Filmgeschichte. In dieser Szene ist er als Michael O’Hara zu sehen, seine Ehefrau Rita Hayworth spielt die "Rosalie".
Dramatischer Showdown im Spiegelkabinett: Regisssur Orson Welles spielt in "Lady Shanghai" den Michael O’Hara, seine Ehefrau Rita Hayworth die "Rosalie". © imago / United Archives
06.01.2018
Woody Allen nimmt den Vergnügungspark auf Coney Island in New York zum Ausgangspunkt seines neuen Films "Wonder Wheel". Damit kehrt er an den Ort der Jahrmärkte und Schaubuden zurück, wo einst das Kino mit entstand. Für uns Grund genug, auf die schönsten Jahrmarkt-Filme zurückzublicken.

Platz 5

DAS KABINETT DES DOKTOR PARNASSUS von Terry Gilliam (2009)

Stolz präsentieren sie, die Herren mit Zylinder oder anderen Kopfbedeckungen, auf der Bühne eine andere Realität, eine hinter der alltäglichen. Wunderbar, wenn in der ersten Szene ein uralter Pferdewagen mit riesigem Aufbau ins modernde London fährt, sich hinten eine Klappe und die ganze Welt des Jahrmarktes, die "Wonderworld", öffnet. Da gibt es übrigens auch den magischen Spiegel, und wenn man dahinter tritt, rutscht, fällt, wie einst Alice in den Kaninchenbau, dann öffnet sich ein Wunder- oder, je nach persönlicher Disposition und den Albträumen, die man schon mitbringt, ein Albtraumland. Wo man auch schon mal den Teufel treffen kann. Glück und Gefahr reichen sich bei diesem Vergnügungspark im abgründigen Pferdewagen die Waage, ach was, sie sind eins.

Platz 4

PRESTIGE - DIE MEISTER DER MAGIE von Christopher Nolan (2006)

"Size doesn´t matter", wenn die Phantasie nur groß genug ist. Was die beiden Zauberkünstler - Hugh Jackman und Christian Bale - vergessen, denn sie lehren uns, dass der Jahrmarkt, die alte Illusionsmaschine, zwar für manchen spektakulären Zaubertrick und grandioses Amüsement gut ist, aber auch für Gier und Rivalität - also ein Spiegel für das zutiefst Menschliche. Nolans Film: ein brillanter Ritt durch einen Kosmos von Lügen, Irrungen, Wirrungen, Täuschungen und dem Versuch, dem anderen eine Illusion als Realität unterzujubeln. Alter Jahrmarkttrick. Mit anderen Worten: "Prestige" ist eine Metapher für´s Kino. Eine verflixt clevere Konstruktion.

Platz 3

ACHTERBAHN von James Goldstone (1977)

Eine kleine Detonation steht am Beginn von "Achterbahn". Sie drückt die Schiene der Achterbahn nach oben, und so schießt der Zug mit Fahrgästen aus der Kurve. Der terroristische Akt eines Erpressers. "Achterbahn" passte gut ins damals erfolgreiche Genre des Katastrophenfilms. Und Katastrophe ist natürlich ein treffender Begriff, um die Tür aufzustoßen zu einer anderen Schattenseite des Vergnügungsparks: Dass nämlich die Technik und extreme Kinetik wohl im Kino, auf dem Kinosessel, viel Spaß machen, aber in der Realität … au weiha! Konsequent, dass der Achterbahn-Attentäter hier, auf diesem Jahrmarkt, am Ende von einer Achterbahn gerichtet wird.

Platz 2

JURASSIC PARK von Steven Spielberg (1993)

Ein Milliardär klont auf einer Insel Dinosaurier, auch die gefährlichsten Jäger und Fleischfresser unter ihnen - Raptoren -, was für die, die den Eröffnungstag dies Jurassic Parks erleben, zum Todesspiel wird. Nature Strikes Back, auch die, die der Mensch mal eben so im Erlenmeyerkolben zusammengemodelt hat; hier ein bisschen Dino, da ein bisschen Frosch. Kurzum: Wenn der T-Rex aus dem Dschungel kommt - Tonnen von Gewicht -, und das Wasser im Glas auf dem Armaturenbrett kleine Wellen schlägt, dann könnte man sich verbeugen vor Steven Spielbergs visueller Phantasie. Denn dies prägt sich ebenso tief in unser unbewusstes Bildergedächtnis ein wie die Aufschrift auf dem Außenspiegel des Geländewagens, in dem der heranrasende T-Rex zu sehen ist. Die lautet: "Objekte können näher sein als sie erscheinen." Prost Mahlzeit. Ach ja, der Jahrmarkt, das Vergnügen, das Kino und die Spiegel.

Platz 1

DIE LADY VON SHANGHAI von Orson Welles (1947)

Eine Achterbahn von Gefühlen erlebt der irische Matrose mit der verheirateten "Lady von Shanghai". In einem Spiegelkabinett auf einem Jahrmarkt findet dieser Film Noir, diese dunkle Geschichte über Lust, Gier und Verrat und die tiefe Melancholie über das Sein, ihren mörderischen Höhepunkt. Spiegel, zerschossen in spitze Splitter, zerfallen wie die Illusionen, auf denen die Spiegelbilder des Mannes und der Frau beruhten. Hinter den Spiegeln? Nur ein Nichts! Ein Film über Hollywood, ein "Film genialer Scherben", wie jemand schrieb, "die man nie zu etwas Eindeutigem zusammenbringen wird". Aber war das nicht immer so bei guten Filmen, beim Kino, das in den Schaubuden auf den Jahrmärkten entstand?
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