Kinohit mit proletarischen Antihelden

Von Jörg Taszman · 20.05.2010
Rund 400.000 Zuschauer haben in Belgien "Die Beschissenheit der Dinge gesehen", was für einen belgischen Film schon mehr als ein Achtungserfolg ist. Dabei ist die Story um vier saufende Brüder eher klassischer Arthousestoff. Doch Regisseur Felix van Groeningen erzählt mit viel Humor und der richtigen Balance zwischen Derbheit und Melancholie.
Genau vor einem Jahr begann in Cannes der Siegeszug des belgischen Films "Die Beschissenheit der Dinge". Die Verfilmung des autobiografischen Bestsellers von Dimitri Verhulst sorgte an der Croisette für große Aufmerksamkeit. Die liebevolle, alkoholgeschwängerte Ballade über vier saufende Brüder, die berüchtigten Strobbes, die in einem kleinen flämischen Dorf immer noch bei der Mama wohnen, verfügt über Bild- und Sprachwitz. Der Ich-Erzähler ist Gunther Strobbe, ein zunächst erfolgloser Schriftsteller, der sich an seine Kindheit mit seinem Vater und drei Onkeln erinnert.

Filmszene: "Ich war 13 und es war mir unwiderruflich bestimmt, auch einer von Ihnen zu werden. Ich, der jüngste Zweig am Stamm der Strobbes, würde meinem Namen Ehre machen ... Nachdem die vier Brüder einer nach dem anderen ihr Leben in den Sand gesetzt hatten, waren sie wieder zu ihrer alten Mutter gezogen, einer Frau, wie es sie nicht noch mal gibt, mit einem Herz, das größer war als ihre Rente. Eine Heilige, die vier gescheiterte Riesenbabys zuhause hatte und die jeden Abend vor ihren geliebten australischen Fernsehserien und deutschen Spielshows einschlief."

Bei den Strobbes stehen der Gerichtsvollzieher und die Polizei öfter vor der Tür. Sie veranstalten Saufgelage, nehmen an einem Fahrradrennen teil, bei dem man ohne Klamotten über die Landstraßen rast, oder sammeln obszöne Kneipenlieder wie das "Muschilied". Sie leben und gammeln in den Tag.

Problematisch ist nur, dass Gunthers Vater schwer alkoholkrank ist, zwischen aufrichtiger Vaterliebe und wilden, aggressiven Wutausbrüchen schwankt. Der 13-Jährige hat in dieser Männerwirtschaft keine Zukunft und muss sich entscheiden, ob er seinen eigenen Weg gehen will oder ein echter "Strobbe" wird.

Regisseur Felix van Groeningen hat nach seinem autobiografischen Film "Dagen zonder lief" über die Probleme der 20-30-Jährigen diesmal ein Film über ein anderes soziales Milieu gedreht. Dabei ist es ihm gelungen, seine proletarischen Antihelden ernst zu nehmen, sie weder zu verherrlichen noch zu denunzieren. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum der Film in Belgien nun Kultstatus genießt. Die Sprach- und Kulturbarriere zwischen Wallonen und Flamen konnte der Film allerdings nicht durchbrechen.

Felix van Groningen: "Den Film haben 400.000 Zuschauer in Belgien gesehen. Das ist enorm. Gleichzeitig ist es ein flämischer Film, der auch in Frankreich und in den Niederlanden wirklich Erfolg hatte und das ist selten. In Belgien ist es schon so, dass 90 Prozent des Einspielergebnisses in Flandern zusammengekommen ist und nicht in Wallonien. Aber das ist auch irgendwie normal. In Wallonien ist der Film nur mit vier Kopien gestartet. Da haben es Filme aus dem Arthouse-Bereich einfach schwerer. In Flandern war natürlich auch wegen Cannes und der Bekanntheit des Romans das Medieninteresse viel größer. Da lief der Film sogar in kleinen Dörfern. Auch deshalb haben ihn in Flandern einfach mehr Menschen gesehen."

Im Interview spricht der in Antwerpen lebende Filmemacher auch darüber, dass flämische Filmemacher jahrzehntelang etwas eifersüchtig auf die französischsprachig-belgischen Filme waren, die nicht nur mehr Erfolg im Ausland hatten, sondern einfach künstlerisch eher überzeugten. Diese Situation hat sich jedoch geändert, seitdem die auch in Deutschland im Kino gezeigten flämischen Filme "Ben X", "Neulich in Belgien" und jetzt "Die Beschissenheit der Dinge" ein Massenpublikum erreichten, obwohl sie eher zum Repertoire des klassischen Programmkinos gehören.

Felix van Groeningen sagt all dies in einem sehr guten Französisch. Seine Zweisprachigkeit ist nicht unbedingt typisch in dem 10-Millionen-Land Belgien, das manchmal am Rande des Abgrunds steht, wegen absurder Grenz- und Sprachregelungen. Fragt man den Filmemacher über seine Meinung zum aktuellen politischen Chaos in Belgien, bekommt man eine offene Antwort.

"Das ist schon eine etwas traurige Situation und ich weiß auch nicht, wo das noch hinführt. Niemand glaubt, dass Belgien nun sofort aufhören wird zu existieren. Vielleicht eines Tages einmal, aber daran habe ich eigentlich nie geglaubt. In den letzten Wochen hab ich dann schon einige Zweifel, aber ein Auseinanderbrechen des Landes wäre einfach nur idiotisch."

Ganz glücklich mit dem deutschen und französischen Titel des Films ist Felix van Groenigen nicht. Im Original heisst er "De helaasheid der dingen" Das Wort "helas" bedeutet eher schade oder bedauernswert. "Helaasheid" ist im Flämischen eine Wortschöpfung. Analog dazu müsste man dann den Titel etwas subtiler und poetischer mit "Die Bedauernswertigkeit der Dinge" übersetzen.
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