Kinofilm

Cineastischer Leckerbissen

Von Hans-Ulrich Pönack · 20.11.2013
Der indische Film "Lunch Box" zeigt zwei verwandte Seelen, die sich über ein falsch adressiertes Mittagessen kennenlernen. Ein leises Wohlfühl-Movie inmitten der brodelnden Menschenmassenbewegung der Millionenstadt Mumbai.
Man nennt sie die Dabbawalas von Mumbai, und sie sind aus dem Straßenbild dieser Millionenmetropole gar nicht wegzudenken mit ihrem speziellen Lieferservice für die täglichen Mittagslunchpakete, die Frauen am Vormittag für ihre berufstätigen Gatten frisch zubereiten. Obwohl die etwa 5000 Dabbawalas Analphabeten sind, kommen Fehler bei der Zustellung inmitten des gigantischen Verkehrs in diesem Großstadtmoloch so gut wie nie vor. Diese Essenskuriere sind wahre Meister in der Erfüllung ihrer Fahr- und Zustell-Pflichten. Das ist der Ausgangspunkt für eine der schönsten Debüt-Entdeckungen des Kino-Jahres. Ist man aus Indien filmisch vorwiegend ein buntes Treiben mit (sehr) viel flottem Singsang und tänzerischer Akrobatik gewohnt, ist hier alles und ganz wunderschön anders: "Lunch Box" ist ein feines, mehr leises Wohlfühl-Movie inmitten einer brodelnden Menschenmassenbewegung.
Wir blicken auf zwei verwandte Seelen, die das aber – noch – nicht wissen. Bis dieses unglaubliche, zufällige Versehen passiert: Eine Lunchbox landet eines schönen Mittags beim falschen Adressaten, beim introvertierten Großraum-Buchhalter und Witwer Saajan (Irrfahn Khan, der Polizei-Inspektor aus "Slumdog Millionaire"). Ihn erreichen die Nahrungsköstlichkeiten von Ila (Minrat Kaur). Einer in ihrer Ehe längst frustrierten Ehefrau, die mit ihren raffinierten Speisen ihrem Mann wie ihrer Ehe zu "neuer emotionaler Würze" verhelfen möchte. Ein Zustellirrtum mit erstaunlichen Folgen. In diesem gigantischen indischen Großstadtpulk sind zwei Seelen aufeinander getroffen, die nicht fremdeln, sondern zueinander passen. Fortan bestimmen "Lunch-Briefe" die mittägliche Tagesordnung, in denen sich behutsam auch immer mehr Persönliches mitteilt. Der märchenhafte Zufall und seine sagenhaft zunehmenden leisen Schicksals- und Glücksmomente und völlig kitschresistent.
"Lunchbox" ist ein berührender Film, der die Seele streichelt, ohne große Erklärungsbemühungen, dafür mit sensiblen stillen Spannungsmotiven und mit zugleich faszinierend einfließenden Impressionen aus Mumbai, wo der einzelne Mensch in der Masse unterzugehen scheint. Dann aber gibt’s Gefühlswallungen, Blicke, Montagen, Töne um die sich verändernden Wahrnehmungen und Empfindungen, am Bürotisch ebenso wie in der "Küche". Äußerlich, in den „kommentierenden“ Requisiten, ebenso wie in der freudigen Diskretion der immer offener, tiefer werdenden Verständigung. Seelenbaustellen werden hier unangestrengt aufgetan. Bolly- wie Hollywood sind hier ganz weit weg bei dieser ganz feinen Hymne an den herrlichen Geschmack der Zuneigung. Das charmante "Arthouse-Kino" bietet zum Jahresende mit dem schon im Frühjahr, beim Festival in Cannes gemochten Film (Publikumspreis) ein prickelnd geruchsintensives, liebevoll unterhaltsames Leinwand-Sleeper-Großvergnügen an.
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