Kino

Zwölf Jahre in 163 Minuten

Der junge Hauptdarsteller Ellar Coltrane in einer undatierten Szene des Films "Boyhood".
Der junge Hauptdarsteller Ellar Coltrane in einer Szene des Films "Boyhood". © picture alliance / dpa / Universal Pictures Germany
Von Jörg Taszman · 04.06.2014
Da Regisseur Richard Linklater zwölf Jahre lang mit denselben Protagonisten drehte, bleibt der sonst vorherrschende Verfremdungseffekt beim Altern von Figuren aus. Die zeitlichen Übergänge im Film sind sensationell fließend.
Im Sommer 2002 begann Regisseur Richard Linklater (Before Sunrise) sein bisher ambitioniertestes Filmprojekt. Zwölf Jahre lang drehte er mit den selben Protagonisten einen Film über Kindheit, Jugend und die Veränderungen im Familienleben. Effektiv waren es in diesen zwölf Jahren nur 39 Drehtage, die nun in relativ kurzen 163 Minuten Leben verdichten und den ganz normalen, scheinbar so banalen Alltag feiern.
Schon mit dem ersten Blick auf einen etwa sechsjährigen Jungen, der im Rasen liegt und träumt, überrascht der Filmemacher. Als die Kamera langsam zurückfährt sieht man seine Schule. Kurz darauf holt ihn seine Mutter, gespielt von einer überzeugenden Patrica Arquette, ab. Sein Vater ist Lebenskünstler, der sich nie wirklich um seine Familie kümmerte, aber dennoch seiner Vaterrolle annehmen möchte. Ethan Hawke, der Lieblingsschausspieler von Richard Linklater, spielt ihn mit jungenhaftem, unfertigem Charme.
In den Hauptrollen zwei Glücksgriffe
Wohl noch nie hat man in einem Spielfilm das Älterwerden auf so einfache wie faszinierende Weise verfolgen können. Linklater hat den Luxus, immer mit den selben Darstellern zu drehen, die Gesichter verändern sich nur langsam und der Verfremdungseffekt wie in anderen Spielfilmen mit unterschiedlichen Schauspielern bleibt aus. Ellar Coltrane und Loreley Linklater, die Tochter des Regisseurs, sind in den Hauptrollen zwei Glücksgriffe. Schon als Kinder wirken sie fotogen und charakterstark, ein Eindruck der bleibt.
Warum "Boyhood" jedoch ein echtes Meisterwerk geworden ist, liegt am Mut Linklaters, mit großer Wahrhaftigkeit, ohne Überdramatisierungen und die üblichen Kinoklischees vom Alltag einer modernen Patchwork-Familie zu erzählen: einer Mutter die immer die falschen Männer heiratet und ihre beiden Kinder doch über alles liebt. Das ist emotional, humorvoll und schön gefilmt. Die größte Sensation ist jedoch, wie es Richard Linklater und seinem Cutter gelungen ist, diese 12 Jahre in so fließende Übergänge zu bannen, dass man die Zeit kaum spürt und am Ende des Films nur bedauert, dass er schon vorbei ist.

Boyhood
USA 2013; Regie: Richard Linklater; Darsteller: Patricia Arquette, Ethan Hawke, Ellar Salmon; 163 Min.

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