Kino-Kolumne Top Five

Die besten Gerichtsfilme

Gregory Peck als Anwalt Atticus Finch in "Wer die Nachtigall stört" (1962).
Gregory Peck kämpft als Anwalt Atticus Finch in "Wer die Nachtigall stört" (1962) gegen Rassismus und verteidigt einen unschuldigen Afroamerikaner. © United Archives/IFTN
Hartwig Tegeler  · 17.11.2018
Eine Femme fatale, die als Zeugin aussagt. Ein Anwalt, der gegen Rassismus kämpft. Ein Nazi, der für seine Taten verurteilt werden soll. Im Kino wird der Gerichtssaal zum Schauplatz menschlicher Dramen. Wir haben die spannendsten fünf Filme ausgewählt.

Platz 5: "Anatomie eines Mordes" von Otto Preminger (1959)

James Stewart (rechts) in "Anatomie eines Mordes" (1959)
James Stewart (rechts) in "Anatomie eines Mordes" (1959)© picture-alliance / akg-images
Natürlich gehört zum Gerichtssaal-Drama immer auch der Hahnenkampf zwischen Anwalt und Staatsanwalt. Für James Stewart, der bei Preminger den Anwalt spielt, der erfolgreich einen angeklagten Ex-Soldaten verteidigt, die Gelegenheit, die Dynamik eines von der Gerechtigkeit Besessenen ganz zu entfalten, wenn er schreit: "Einspruch, Euer Ehren! Diese Frage des Staatsanwalt ist keine Frage, sondern nur ein Vorbehalt, der die Geschworenen beeinflussen soll." Insofern ist der Gerichtssaal-Film immer auch Psychodrama, weil es um Leben und Tod geht. Wer sollte da nicht feuchte Hände bekommen?

Platz 4: "Zeugin der Anklage" von Billy Wilder (1957)

Marlene Dietrich und Tyrone Power in Billy Wilders Film "Zeugin der Anklage" (1957)
Marlene Dietrich und Tyrone Power in Billy Wilders Film "Zeugin der Anklage" (1957)© dpa / picture-alliance
Marlene Dietrich als Gattin des Mordverdächtigen, die nicht für, sondern gegen ihn aussagt. Ein perfider Schachzug, vor dem Gericht als "Zeugin der Anklage" zu agieren. Weil sich die Gattin aber damit als Hexe erweist, muss doch in den Augen der Jury der Angeklagte unschuldig sein. Ein Spiel zwischen Lug und Trug, aber dann erweist sich der zu Unrecht freigesprochene Ehemann als quasi doppelter Bösewicht und das wird Folgen haben – in den letzten fünf Minuten des Films. Das Gerichtssaal-Drama lebt vom beredten Anwalt, lügenden Zeugen, verzweifelten oder abgründigen Angeklagten und von der ehrwürdigen Autorität des Richters.

Platz 3: "Das Urteil von Nürnberg" von Stanley Kramer (1961)

Filmszene aus "Das Urteil von Nürnberg" (1961) Maximilian Schell, Richard Widmark und Burt Lancaster
Filmszene aus "Das Urteil von Nürnberg" (1961) Maximilian Schell, Richard Widmark und Burt Lancaster© dpa / picture-alliance / akg
Der Prozess gegen Nazi-Juristen im Jahr ist 1948 schon überschattet vom beginnenden Kalten Krieg. Die alten Feinde, die Deutschen, werden gegen die Russen, als neue Verbündete gebraucht. Wie kann man als Filmemacher den Sieg der Politik über die Gerechtigkeit kaschieren: mit einem Schauspieler als Richter, dem wir das Pathos verzeihen, naiv, wie wir als Zuschauer im Kino-Gerichtssaal ja immer sind. Spencer Tracy, der Alte mit den weißen Haaren, dem zerfurchten Gesicht und dem wunderbar klaren wie milden Blick als US-Richter im Kriegsverbrecher-Prozess ist die Ikone der Glaubwürdigkeit. An ihm dürfen wir uns festhalten, wenn er deklamiert: "Vor dem Forum der Welt soll festgestellt werden, dass in unserer Entscheidung das ausgedrückt ist, wofür wir stehen: für Wahrheit, Recht und für die Unverletzlichkeit jeden einzelnen Menschen." Ja, wir wollen das so gerne glauben, obwohl wir es besser wissen, dass die Realität anders war und ist.

Platz 2: "Wer die Nachtigall stört" von Robert Mulligan (1962)

Der Kino-Gerichtssaal als Spiegel der Gesellschaft. So auch in der Harper-Lee-Verfilmung, die in den 1930er Jahren spielt. Und weil Spiegel des Rassismus in den USA, kann im Gerichtssaal zwar die Wahrheit über den angeblichen Missbrauch der weißen Frau durch den Afroamerikaner aufgedeckt werden. Und zwar durch den liberalen weißen Anwalt, gespielt von Gregory Peck. "Alle Zeugen der Anklage haben sich bei ihrer Vernehmung vor dem Hohen Gerichtshofe mit jener zynischen Arroganz aufgeführt, dass alle Neger lügen", meint Atticus Finch. "Dass alle Neger unmoralisch, von Grund auf verdorben und mit uns Weißen niemals zu vergleichen seien. Diese Ansicht ist in sich selbst, meine Herren, schon eine Lüge."
Ein antirassistisches Plädoyer aus einem Kino-Gerichtssaal der 1930er Jahre, das natürlich wie ein Kommentar zur US-Bürgerrechtsbewegung klingt. 1962 kam als "Wer die Nachtigall stört" heraus. Gerechtigkeit im Gerichtssaal ist das Eine. Dass der unschuldige Afroamerikaner dann doch am Ende erschossen wird, dieses Bild ist ebenfalls vollgesogen mit Realität.

Platz 1: "Die 12 Geschworenen" von Sidney Lumet (1957)

Sidney Lumets Meisterwerk mit Henry Fonda, Lee J. Cobb und Martin Balsam spielt im Geschworenenzimmer. Und doch verdichtet sich in diesem Kammerspiel die Quintessenz des Gerichtssaal-Dramas. Von den 12 Geschworenen wollen alle den des Mordes Angeklagten für schuldig erklären. Alle, bis auf einen. Nun bohren sich die Zwölf, widerwillig, versehen mit allen ihren persönlichen Vorbehalten oder ihrem Abscheu trotzdem noch einmal in den Fall. Suchen die Wahrheit, im tiefen Glauben – dem baut dieser Klassiker ein Podium –, dass die Wahrheit, so komplex, so sperrig sie auch sein mag, dass wir sie finden können, dass sie kein "fake" ist, dass das quälende Bemühen um sie entscheidend ist für die demokratische Verfassung eines Justiz-, eines politischen und eines Gesellschaft-Systems.
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