Kino

"Das ist ein Film über Menschen, nicht über ein System"

Im Hintergrunde eines öden und leeren Platzes sieht man die Ruinen zerstörter Häuser.
Kein Stein auf dem anderen: Der Konflikt zwischen Israel und Gaza durchwirkt alle Bereiche der Gesellschaft. © Torsten Teichmann
Nadav Schirman im Gespräch mit Waltraut Tschirner  · 22.11.2014
Der Sohn eines Hamasführers und ein israelischer Führungsoffizier freunden sich miteinander an. Diese Freundschaft birgt viel Konfliktpotenzial, und tatsächlich bricht sie auseinander. Doch trotz all des Leides ist dem Filmemacher Nadav Schirmann ein hoffnungsvoller Film gelungen. Im Interview erzählt er, warum der Streifen sogar in Israel ein riesen Erfolg war.
Susanne Burg: "The Green Prince", so heißt ein neuer Dokumentarfilm von Nadav Schirman, der international mehrfach preisgekrönt ist und am Donnerstag auch in unsere Kinos kommt. Er erzählt die wahre Geschichte von Mossab Hassan Yousef, Sohn eines Hamasführers, der sich vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet anwerben lässt. Seine Hoffnung dabei ist, auf diese Weise seinen Vater besser schützen zu können, der immer wieder verhaftet und schikaniert wird. Zunächst gelingt ihm das auch, aber ab einem bestimmten Punkt bekommt das Ganze eine ziemliche Eigendynamik: Der Palästinenser Mossab und sein israelischer Führungsoffizier Gonen Ben Yitzhak freunden sich nämlich an. Am Ende muss der eine aus seiner Heimat fliehen, der andere verliert seinen Job beim israelischen Geheimdienst, weil sie beide ihren Lagern nicht mehr vertrauenswürdig erscheinen. Meine Kollegin Waltraud Tschirner hat den Regisseur Nadav Schirman für ein Interview getroffen und auch den Film gesehen. Waltraud, wie bringt der Film denn einem die Protagonisten nahe?
Waltraud Tschirner: Na, sein wichtigstes Gestaltungsmittel, das gibt er selbst zu, hat er sich vom US-Filmer Errol Morris abgeguckt: Die Protagonisten blicken nämlich per Interrotron-Technik durch die Kamera ihrem Interviewer, also letztlich auch uns Zuschauern, ganz direkt in die Augen. Sie erzählen einem wechselweise wirklich ihre Geschichte mit allen Gefühlsregungen, die natürlich an entsprechenden Stellen hochkommen, und das ist ziemlich wirkungsvoll. Man spürt sofort die Echtheit, die Wahrhaftigkeit. Also sie gucken dich an und du würdest auch merken: Der lügt jetzt, der haut mir irgendwie die Tasche voll. Das tun Sie aber ganz eindeutig nicht. Dazwischen gibt es immer wieder Szenen, die er inszeniert hat. Natürlich musste er die inszenieren, es geht um Verhaftungen, um Überwachungen, aber das ist auch sehr geschickt, sehr gut gemacht. Und aus dieser Mischung entsteht eben dann tatsächlich ein ganz besonderer Film. Aber das Eigentliche, was hinterher auch noch lange im Kopf hin und her geht, das ist diese verrückte Geschichte dieser beiden Männer, vor allem von Mossab, die Geschichte dieser Freundschaft der beiden Männer. Und ich habe Nadav Schirman gefragt, wie sie letztlich auf Augenhöhe miteinander gekommen sind.
Ein Film, der Mut macht
Nadav Schirman: Ich denke, dass die beiden den Mut hatten, einander zu vertrauen, die beiden haben den Mut, ihrem inneren moralischen Kompass zu folgen. Und auch, wenn dieser innere moralische Kompass einen Weg gezeigt hat, der gegen das System geht, so für Mossab gegen seine Religion, gegen seine Familie, gegen sein Volk, und für Gonen gegen die Schin Bet und gegen die israelische Regierung – sie haben das Risiko angenommen und sie haben einander gefunden, sie haben eine Freundschaft gefunden. Mossab hat alles verloren, alles, seine Familie, seine Heimat, seine Religion, alles. Aber er hat eine Wahrheit gefunden. Und ich finde das sehr interessant. Zum Beispiel, als wir in Sundance waren, zum Festival in Amerika, wo der Film eröffnet hat, kamen danach zu mir so amerikanische Leute und sie sagten: Wow, Herr Schirman, Ihr Film hat uns sehr berührt, aber wir kümmern uns nicht um den Konflikt, wir wussten nichts über den Konflikt. Sie waren Banker. Sie sagen: Jeden Montag haben wir eine Protokollsitzung in der Bank, und da erzählt der Chef seinen Modus Operandi, und dann habe ich zwei Möglichkeiten. Ich kann nichts sagen oder ich kann gegenreden. Aber ich trage dann das Risiko, meinen Arbeitsplatz zu verlieren. Und sie haben mir gesagt: Ihr Film hat uns ein bisschen Mut gegeben, unserem inneren Kompass sozusagen zu folgen. Das hat nichts zu tun mit dem Konflikt, das hat zu tun bei jedem mit seiner einzigen Verantwortlichkeit dafür, einen echten Weg zu finden.
Tschirner: Also da stehen sich zwei pari pari gegenüber: der israelische Geheimdienstmann und der Sohn des Hamasführers. Und man erfährt von beiden Seiten sehr viel. Haben Sie eigentlich überhaupt darauf geachtet, so eine Art objektiven Blick zu wahren?
Schirman: Das war sehr wichtig für uns, keine politische Seite einzunehmen, weil für uns ist das eine sehr humane Geschichte. Das ist eine Geschichte, die übergrenzt die Politik und die Religion. Ich denke, beide Seiten kommen – so mal gesagt – böse in diese Geschichte, auch diese israelische Schin Bet, man sieht, wie sie Leute benutzen und sie dann wegschmeißen, und man sieht, wie die Hamas auch Leute benutzt und die wegschmeißt. Am Ende des Tages ist das eine Geschichte über zwei Individuen, zwei Leute, zwei Männer, die gegen das System gegangen sind. Und ich denke, ein System, entweder ein politisches System, ein Regierungssystem, ein Corporate-System ist ein System, und ein System hat seine Agenda. Und Menschen haben eine andere Agenda. Und das ist ein Film über Menschen, nicht über ein System.
Tschirner: Sie haben den Film inzwischen auch in Israel gezeigt. Wie waren da die Reaktionen?
Ein bisschen Hoffnung in einer hoffnungslosen Situation
Schirman: Das war sehr besonders, sehr besonders, weil - ich war zuerst ein bisschen ängstlich, aber die Reaktion war unglaublich. Der Film wurde sehr geliebt von Leuten von der rechten Seite von der political map und auch von der linken Seite der political map. Das war so ein Konsens. Und der Film war ein großer Erfolg in Israel. Er hat den israelischen Filmpreis gewonnen, war fünf Monate lang im Kino, die israelischen Medien haben den Film sehr hochgelobt. Und ich war sehr neugierig, warum, wie, und ich habe mit vielen Journalisten dort gesprochen, und die haben mir gesagt, dass die Leute etwas brauchen, um optimistisch zu sein, und vielleicht bringt der Film ein bisschen Hoffnung in eine hoffnungslose Situation. Wer weiß.
Tschirner: Das ist tatsächlich so. Der Film hat etwas Optimistisches und lässt einen hoffen. Und dann weiß man aber, schon als Sie den Film abgedreht hatten, eskalierte der Konflikt da noch mal ganz massiv. Sie kommen aus der Region ursprünglich, Sie haben sich jetzt ganz massiv damit noch mal beschäftigt. Hätten Sie eine Lösung, wie wirklich irgendwann mal Frieden in diese Region kommen könnte?
Schirman: Die Sachen sind niemals schwarz-weiß. Man muss ganz in die Grauzone gucken. Und das ist interessant: Wenn man die Beziehung im Herzen von unserem Film sieht, so ist eine Beziehung zwischen ziemlich beste Feinde. Und der Weg für ihre freundliche Beziehung war durch das Risiko, das jeder auf sich genommen hat, dem anderen zu vertrauen. Und man sieht, dass, ohne dieses Risiko auf sich zu nehmen, dem anderen zu vertrauen, es keine Möglichkeit für eine Beziehung gibt. Wenn man auch in die Geschichte guckt, in die 70er-Jahre, dieser Friedensprozess zwischen Anwar as-Sadat in Ägypten und Begin in Israel: Das war sehr gefährlich für die beiden. Sie haben ein Risiko auf sich genommen, einander zu vertrauen und diese Friedensgespräche zu machen. Heute wenn man auf das politische Erbe guckt, sieht man nicht die Politiker, die so ein Risiko auf sich nehmen wollen. Und vielleicht müssen wir ein bisschen länger warten, bis wir eine andere Generation von Politikern sehen, die das verstehen, dass beide Völker bleiben werden, beide Völker müssen einen Weg finden, zusammenzuleben, und beide Völker und beide Regierungen und beide Politikerchefs müssen ein bisschen Risiko auf sich nehmen, dem anderen zu vertrauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema