Kinderpsychiater kritisiert Bildungssystem

Kinder brauchen Anleitung – auch in der Schule

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Schüler einer 7. Klasse sitzen auf dem Boden und lernen mit iPads im Matheunterricht an der Oberschule Gehrden in der Region Hannover.
Trägt unser Bildungssystem dazu bei, dass Schüler heute schlechter für Hochschule und Arbeit gerüstet sind? Diese These vertritt der Psychiater Michael Winterhoff. © picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte
Michael Winterhoff im Gespräch mit Nicole Dittmer · 20.05.2019
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Werden Deutschlands Schüler immer dümmer? Eine steile These, die der Psychiater Michael Winterhoff in seinem jüngsten Buch entwickelt. Schuld sei ein System, das Schule auf Effektivität trimme und dabei vergesse, dass Kinder Anleitung brauchen.
Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff macht immer wieder mit kontrovers diskutierten Thesen zur Kindererziehung und – wie in seinem aktuellen Buch "Deutschland verdummt" – zum Bildungssystem von sich reden.
Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung verfügten 50 Prozent der Abiturienten eigentlich nicht über die nötige Hochschulreife und hätten Defizite in Fächern wie Deutsch oder Mathematik. Hinzu kämen Defizite bei den sogenannten Soft Skills wie Selbstpräsentation, Arbeitshaltung, Pünktlichkeit, die sich auch noch negativ beim Übergang von der Hochschule in den ersten Job auswirkten.

Schüler werden sich selbst überlassen

Zu den Gründen sagte Winterhoff im Deutschlandfunk Kultur: "Der Hintergrund ist die emotionale, soziale Psyche." Schüler würden heute in der Schule zu sehr sich selbst überlassen. Was sie jedoch dringend bräuchten, um zu reifen Persönlichkeiten zu werden, seien feste Bezugspersonen und Bindungen – auch in der Schule.
Michael Winterhoff, Jugendpsychiater, Autor, aufgenommen am 31.10.2012 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema: "Keine Gnade für die Opfer - was soll mit den Schlägern geschehen?" in den Studios Berlin-Adlershof.
Das deutsche Bildungssystem verdummt die Schüler, findet der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff.© picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler
"Es ist ja ein Skandal passiert: Die OECD, also Menschen, die sich um Wirtschaft kümmern, haben Einfluss genommen auf die Bildungspolitik und haben Ideen entwickelt – weit an dem, was Kinder brauchen, vorbei. Nämlich die, dass Kinder autonom groß werden sollen. Die Bildungspolitik hat das, ohne überhaupt mit Lehrern zu sprechen, von oben nach unten durchgedrückt."

Um Sozialverhalten zu lernen, braucht es Bezugspersonen

Das bedeute, dass Lehrer heute Lehrmethoden anwenden müssten, hinter denen sie oft gar nicht stünden, die Kinder wiederum müssten in der Schule vieles eigenständig regeln. Winterhoff betonte, er sei keineswegs ein Verfechter des alten Frontalunterrichts in der Schule. Selbstverständlich könnten sich Kinder Vieles selbst erarbeiten. Doch wichtige Dinge wie Sozialverhalten bräuchten eine Anleitung durch eine Bezugsperson.
(mkn)

Michael Winterhoff: "Deutschland verdummt. Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut"
Gütersloher Verlagshaus, 224 Seiten, 20 Euro

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