Kind von AfD-Politiker: Waldorfschule verweigert Aufnahme

"Bestrafe das Kind, erziehe die Eltern"

Grundschüler während einer Unterrichtsstunde.
Unterricht in einer Schule: Wo endet Toleranz? © imago/photothek
Alexander Kissler im Gespräch mit Axel Rahmlow · 17.12.2018
Eine Waldorfschule in Berlin will das Kind eines AfD-Politikers nicht aufnehmen. Der Publizist Alexander Kissler geht mit der Schule deswegen hart ins Gericht: Um "weltanschauliche Frontbegradigung" zu betreiben, werde eine Kinderseele gebrochen.
Eine Berliner Waldorfschule will ein Kind nicht aufnehmen. Was eigentlich ihr gutes Recht ist, schlägt in diesem Fall hohe Wellen - denn der Vater des Kindes ist AfD-Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus. Laut der "Berliner Zeitung" hatte es wegen der Aufnahme-Frage schon seit Längerem Streit und Diskussionen unter Eltern und Lehrern gegeben. Das Kind hat dem Bericht zufolge mit einem Geschwisterkind den dazugehörigen Waldorf-Kindergarten besucht - was in der Regel eigentlich dazu führt, dass es hernach auch auf die Schule gehen darf.

Moralische Fragen stehen im Raum

Nun gibt es eine erregte Debatte über Toleranz, Kindeswohl und Diskriminierung, Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres hat die Sache inzwischen auf dem Tisch. Moralische Fragen stehen im Raum: Darf eine Schule die Aufnahme eines Kindes verweigern, weil die Eltern einer politischen Richtung angehören? Und wird hier ein Kind nicht in Sippenhaft genommen?
Der Literatur- und Medienwissenschaftler Alexander Kissler machte der Waldorfschule im Deutschlandfunk Kultur schwere Vorwürfe. Der Fall sei tragisch, sagte er: "Weil man hier nach dem fast stalinistischem Motto verfährt: ’Bestrafe das Kind, erziehe die Eltern’." Man wolle es dem kleinen Kind offenbar "übel vergelten", dass die Eltern in einer Partei seien, deren Weltanschauung von der Mehrheit der Waldorf-Eltern abgelehnt werde.

Für Steiner war ein Kind "das Höchste"

Das sei der "komplett falsche Ansatz" und auch nicht in Einklang mit den pädagogischen Waldorf-Prinzipien, sagte Kissler. Für Rudolf Steiner sei ein Kind "das Höchste" gewesen. "Dass man nun in Kauf nimmt, diese - ich sage es mal etwas drastisch - Kinderseele zu brechen, um weltanschauliche Frontbegradigung im Eltern-Bereich zu betreiben, das halte ich schon für sehr bedenklich."
Alexander Kissler, deutscher Literatur- und Medienwissenschaftler, Kulturjournalist, Moderator und Sachbuchautor.
Alexander Kissler: Literatur- und Medienwissenschaftler, Kulturjournalist, Moderator und Sachbuchautor.© picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Die Schule selbst hatte die Entscheidung mit dem Kindeswohl begründet. Angesichts des Konfliktes habe man keine Möglichkeit gesehen, "das Kind mit der nötigen Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit aufzunehmen".

Gesellschaftsbereiche politikfrei halten

Die Politisierung des Alltags schreite ebenso rapide voran wie die Hysterisierung der Gesellschaft, sagte Kissler. Es wäre gut für die Debattenkultur, gesellschaftliche Bereiche politikfrei zu halten. So wichtig die Erziehung zum mündigen Bürger in der Schule sei, so wichtig sei es auch, die Erziehung von politischen Ein- und Vorgaben freizuhalten, betonte der Publizist.

Im ersten Teil des Interviews äußerte sich Kissler auch zum Fall Thilo Sarrazin, den die SPD erneut ausschließen will. Seine These: Die SPD kann nur verlieren, Sarrazin nur gewinnen. Es wäre gut für die Partei, gelassen zu bleiben - niemand nehme Sarrazin mehr als Stimme aus der SPD wahr.

(ahe)
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