Kerstin Preiwuß: "Nach Onkalo"

Was kommt nach dem Atom-Endlager?

Cover des Buchs "Nach Onkalo" von Kerstin Preiwuß vor dem Hintergrund des Stollens für das finnische Atomendlager in Onkalo
Cover des Buchs "Nach Onkalo" von Kerstin Preiwuß vor dem Hintergrund des Stollens für das finnische Atomendlager in Onkalo © Berlin Verlag / dpa / Posiva Oy / Jussi Partanen
Von Michael Opitz · 03.03.2017
Was passiert nach den 100.000 Jahren, in denen der Atommüll im finnischen Endlager Onkalo sicher ist? So kann man den Titel von Kerstin Preiwuß' Roman "Nach Onkalo" verstehen. Vor allem geht es in dem Buch aber um den 40-jährigen Hans Matuschek, der wie ein moderner Woyzeck durchs Leben stolpert.
Man kann den Titel des neuen Romans von Kerstin Preiwuß als Aufforderung verstehen, sich aufzumachen nach Onkalo, jenem in Finnland gelegenen Ort, wo man dabei ist, ein gigantisches Endlager für den Atommüll zu bauen. Möglich aber ist es auch, ihn als indirekt gestellte Frage zu verstehen: Was wird nach den 100.000 Jahren, in denen der in 400-500 Meter Tiefe lagernde Atomabfall sicher ist? Von Onkalo weiß die zentrale Figur der 1980 in Lübz geborenen Autorin herzlich wenig, auch ist Hans Matuschek kein Umweltaktivist. Onkalo wird erst auf der vorletzten Seite des Romans erwähnt. Matuschek hat wieder Arbeit gefunden und gehört nun zu einer Abrisskolonne, während er zuvor auf der Wetterbeobachtungsstelle eines Flugplatzes gearbeitet hat.
Der dazwischen liegenden Zeit gehört die Aufmerksamkeit der Autorin, die das Leben des 40-jährigen Hans Matuschek verfolgt, der bei seiner Mutter lebt, die sein Leben regelt – mehr Pflichten, als morgens aufzustehen und zur Arbeit zu gehen hat er nicht. In etwas mehr als 25 Jahren würde er dann in Rente gehen. Wären da nicht die Tauben, die sein Hobby seit seinem vierzehnten Lebensjahr sind, er müsste sich um nichts kümmern.

Niemand wird sich an Hans Matuschek erinnern

Aber eines Tages stirbt seine Mutter - und der Mann, von dem sich nicht sagen lässt, er würde im Leben stehen, fällt in ein tiefes Loch. Matuschek ist plötzlich allein, nur der Nachbar, ein Russe, kümmert sich um ihn. Aber auch Igor stirbt unverhofft und Irina, mit der Igor seinen Freund noch verkuppelt hat, geht eines Tages auch ihrer Wege. Man ahnt es: Hans Matuschek ist auf dem besten Weg, sich selber in den Tod zu saufen, was er auch nach Kräften tut. Nachdem man ihm gekündigt hat, sitzt er am liebsten mit einem Bier im Bootsschuppen und denkt an die alten Zeiten, als er noch mit Igor auf den See zum Angeln hinausgefahren ist.
Inzwischen hat es Matuschek aufgegeben, auf sein Äußeres zu achten, er verwahrlost zunehmend, wäscht sich nicht mehr, fängt an zu riechen, kümmert sich nicht mehr um das Haus und dann auch nicht mehr um seine Tauben. Es gab da mal den Traum, nach Norwegen zu fahren, um dort Lachse zu fangen, die ihm Irina gebraten hätte, aber der Traum ist vergessen. "Das Leben geht trotzdem weiter", heißt es im Roman. Das Leben geht nicht nur weiter, es geht auch dahin und irgendwann endet es und niemand wird sich an Hans Matuschek erinnern.
Kerstin Preiwuß verwendet, um Matuscheks Geschichte zu erzählen, eine Sprache, in der die Matuscheks reden, wenn sie ins Erzählen kommen: sehr einfache Sätze, selten eine Metapher, kaum eine sprachlich bemerkenswerte Wendung. Man kann dem Roman nicht nachsagen, dass die Lust beim Lesen käme. Man möchte sich vieles, was die Autorin beschreibt, nicht vorstellen, und weiß doch, dass alltäglich ist, worüber sie spricht. Matuschek stolpert wie ein moderner Woyzeck durchs Leben. Onkalo bietet Sicherheit für 100.000 Jahre. Es bleibt nur die Frage, an wessen Sicherheit da eigentlich gedacht wird.

Kerstin Preiwuß: Nach Onkalo
Berlin Verlag, München / Berlin 2016
229 Seiten, 12 Euro

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