Kernsätze für den Unternehmensalltag

Vorgestellt von Florian Felix Weyh · 14.01.2007
Friedemann Richert ist als Gemeindepfarrer und als Managementberater tätig. Die Erfahrungen aus beiden Bereichen hat er zusammengeführt und empfiehlt in seinem Buch "Denken und Führen" Besonnenheit, Tapferkeit, Verzeihung sowie die Herzensbildung als Instrumente glaubhafter Führung.
Ein paar Sachverhalte im Leben sind unteilbar: Wahrheit, Gerechtigkeit, Moral – kurzum das Gute, worum wir strebend uns bemühen. Der Superlativ-Gesellschaft ist das Gute jedoch abhanden gekommen, indem sie es vervielfachte; im Gewimmel der Bestangebote weiß man nicht, wonach man sich eigentlich richten soll. Aus dem Guten wurde Wertepluralismus, aus unteilbarer Ethik das schon sprachlich liederliche Schaufensterangebot situationsspezifischer Multi-Ethiken. Doch:

"Werte und Ethik sind ohne eine Bezugnahme auf die kulturgeschichtlichen Gewissheitsüberlieferungen gar nicht zu gewinnen. In einfachen Worten gesagt: Ohne Anschauung eines Erschließungsgeschehens, ohne Glauben also, lässt sich – im Kern – keine Ethik formulieren, lassen sich keine Werte gewinnen."

Friedemann Richert ist als Gemeindepfarrer gleichermaßen an der Basis tätig wie als Managementberater mit den Problemen höherer Führung vertraut. Auf Seminaren dringt immer wieder das Lamento der flach säkularisierten Moderne an sein Ohr: Uns fehlen die letztgültigen Fundamente des Handelns. Je mehr die Führungsansprüche an Wirtschaft und Politik wachsen, desto stärker geraten die Handelnden ins Trudeln. Mit einem Mix an Multi-Ethiken ist ihnen nicht gedient, die Qual der Wahl macht ihre Lage noch verzweifelter. Als Theologe hat Richert etwas anzubieten, ein Konzept, das sich von stetig wechselnden Entscheidungskontexten abhebt, der personalethische Ansatz:

"Eine Person ist ein qualitätsfreies Wesen, unabhängig gedacht von seiner Befindlichkeit, seiner Zuständigkeit, seiner Geschlechtlichkeit, seiner Zeitlichkeit. Personsein bedeutet, in eine berufene Freiheit gestellt zu sein, die von Gott, als Ursprung und Vollender des Seins, den Menschen gewährt wird. Darum ist der Mensch als Person auch der Repräsentant Gottes auf Erden, ein Gedanke, der sich in der säkularen Rede von der Würde des Menschen widerspiegelt."

Im Personenbegriff leuchtet die Gleichwürdigkeit des Menschen auf, und natürlich meint der Theologe mit dem "qualitätsfreien Wesen" nicht einen Menschen bar aller Qualifikationen, wie ein Personalchef den Begriff wohl verstünde. Als Würdenträger – also Person – lebt man ab Geburt, im Zustand größtmöglicher Hilflosigkeit, durch seine menschliche Eigenart schlechthin. Und wenn man später noch so viele Fertigkeiten erwirbt, die Abhängigkeit von anderen bleibt bestehen; nur als Gemeinschaftsprojekt ist Glück hienieden denkbar. Darum lässt sich die Ethik des guten Lebens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft niemals in kleiner Münze individuellen Nützlichkeitsdenkens auszahlen, selbst dann nicht, wenn sich der Utilarismus auf größere Einheiten bezieht wie in Projekten à la sozialistischer Gemeinschaft. Gerechtigkeit, gutes Leben, Frieden bedürfen laut Richert der "richtige Denkordnung", die in ihrem Verantwortungsbegriff wirklich alle umschließt, auch diejenigen, die keine strahlenden Leistungsträger sind. Unverhandelbare Tugenden sind dazu gefragt, und sie entstammen älteren Gefilden als der seichten Alltagspsychologie. Besonnenheit, Tapferkeit und Verzeihung sind Instrumente glaubhafter Führung – sowie die Herzensbildung:

"Wer ohne Herzensbildung lebt, dem fehlt im Grunde die Abstraktionskraft. Er nimmt sich und seine öffentliche Stellung und Reputation als Maß für das Allgemeine, begeht das, was man einen induktiven Fehlschluss nennt, und wird deswegen von den anderen als herzlos, unnachgiebig und als kalter Rationalist wahrgenommen."

Erkennt man Funktionäre aus Wirtschaft und Politik in diesen Zeilen wieder, weiß man, dass das Buch ins Schwarze getroffen hat, obwohl es an vielen Stellen aus der Zeit gefallen scheint. Gerade darum gehört es in sie hinein – als memento mori einer hektisch diesseitigen Welt, der Luthers Worte "Jeder muss selber glauben, weil er selbst sterben muss" abhanden gekommen sind. Friedemann Richert holt sie von Kanzel ins Vorstandsbüro, denn er zeigt schlüssig, dass wir Sterblichen niemals frei sind, uns von den Fesseln unserer Herkunft wie unserer Ankunft im Tode zu emanzipieren. Ohne Religion, sagt der Pfarrer, geht es nicht.

"Damit ist nicht gemeint, dass wieder ein christliches Zeitalter ausgerufen werden soll. Vielmehr soll die Würdigkeit des religiösen Denkens für gesellschaftliches Leben wieder entdeckt werden, selbst wenn man aus persönlichen Gründen sich dieses religiöse Denken nicht zu eigen manchen will."

Allein die Ausführungen über die Kraft des Verzeihens sollten auch Agnostikern einleuchten, heilt sie doch Wunden und gewährt zugleich Entwicklungschancen:

"Die Personenethik weiß, dass alle Personen auch gefährlich sind. Gefährlich sind sie deswegen, weil sie durch ihr Erscheinen mehr versprechen zu sein, als sie sind. (…) Was aber geschieht in der Verzeihung? Es geschieht die gegenseitige Anerkennung des Unterschieds zwi¬schen Schein und Sein einer Person. Und genau das erlaubt dem Anderen, sich von seinem Handeln oder seiner Unterlassung zu distanzieren."

Unsere Staatsform, die Demokratie, setzt laut Montesquieu allumfassende Tugenden in der Bevölkerung voraus. Aus Friedemann Richerts "Denken und Führen" lernen wir, wie diese Begriffe auch heute noch sinnvoll mit Leben gefüllt werden können. Gewiss, das Buch in seiner kompakten Gestalt ist keine Nachttischlektüre für die müden Minuten des Tages, doch Kernsätze für den Unternehmensalltag sind auch bei Richert enthalten: "Wer will", sagt der Theologe, "kann immer auch anders wollen". Weil das so ist, sind wir frei für ein gutes Leben.

Friedemann Richert: Denken und Führen - Ethik für unsere Gesellschaft
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006