Kellnerberuf in der Geschichte

Als Opportunisten verschrien

06:54 Minuten
Kellner geben einer Frau an einer Bar Feuer.
Immer freundlich, immer lächeln - das gehört zum Kellnerberuf. © dpa picture alliance / dpa / Everett Collection
Christoph Ribbat im Gespräch mit Shanli Anwar  · 27.04.2019
Audio herunterladen
Für Arbeiter hegten viele Intellektuelle Sympathie, nicht so für den unterbezahlten Kellner. Der galt trotz allem als „schleimiger Typ, der an den Tischen der Reichen steht und für sie lächelt“, sagt Kulturwissenschaftler Christoph Ribbat.
Zum "Kellnerlauf" starten auf dem Berliner Kurfürstendamm am Sonntag (28.4.2019) wieder einmal Kellner, Zimmermädchen, Köche und Hotelpagen. Das Kranzler Eck hat dieses Ereignis seit einigen Jahren wieder belebt und sucht auf diese Weise Berlins schnellstes Servicepersonal. Schon in den 1950er- und 1960er-Jahren veranstaltete ein Berliner Gastronom Emil Remde den Lauf. Mit Schnelligkeit allein ist es beim "Kellnerlauf" nicht getan. Es ist auch Geschick gefragt. Es müssen zehn Kilogramm schwere Koffer oder Tabletts mit vollen Biergläsern oder Kaffeetassen getragen werden, Barkeeper müssen unterwegs Drinks mixen und die Köche ein Dessert zubereiten.
Kellnerinnen laufen mit einem Tablette beim Berliner Kellnerlauf über den Kurfürstendamm. In den unterschiedlichsten Klassen ermittelten Angestellte aus der Gastronomie die besten und schnellsten Teilnehmer.
Beim Berliner Kellnerlauf müssen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Geschick und Schnelligkeit beweisen. © Paul Zinken/dpa/picture alliance
Der Kellnerberuf sei in Paris im späten 18. Jahrhundert mit den feinen Restaurants entstanden, der Kulturwissenschaftler und Buchautor Christoph Ribbat an die Ursprünge des Berufs: "Vorher gab es Tavernen, da kam halt die Wirtin heraus mit einer großen Kelle und hat jedem etwas auf den Keller geklatscht." Dann sei das Restaurant gekommen, in dem es eine Auswahl an Speisen gab und jeder seinen eigenen Tisch bekam. Der "noble Kellner" habe den Gästen bei der Auswahl eines passenden Gerichts assistiert. "Komischerweise ist der männliche Kellner für Leute immer der wichtigere und auch der komischere, seltsamere Typus", sagte Ribbat.

"Kein Fabrikarbeiter musste lächeln"

Bei der Recherche für sein Buch war der Autor erstaunt, dass bei vielen Philosophen und intellektuellen Autoren das Mitgefühl ausgerechnet beim Kellner aussetze. Sie hätten oft große Sympathien für die Arbeiterklasse, hätten aber Kellner überhaupt nicht gemocht. "Kellner sind für sie halt Opportunisten, so schleimige Typen, die an den Tischen der Reichen stehen und für sie lächeln." So habe beispielsweise der französische Philosoph Jean-Paul Sartre über den Kellner als Roboter geschrieben.
Ribbat sagte, ihn habe es immer verwundert, wie man immer für die armen Leute eintreten und ausgerechnet den unterbezahlten Kellner nicht mögen. Dann sei ihm klar geworden, dass der Kellner Mitte des 20. Jahrhunderts eine ungewohnte Figur war, weil er mit seinen Emotionen gearbeitet habe. "Kein Fabrikarbeiter musste lächeln, um mehr Geld zu verdienen", sagte der Germanist. "Hauptsache er oder sie hat seine Arbeit gemacht, aber der Kellner hat halt mit Lächeln mehr Geld verdient." Heutzutage müsse jeder am Arbeitsplatz auch emotional arbeiten und freundlich sein. "Insofern sind wir irgendwie alle Kellner geworden."
(gem)

Christoph Ribbat, Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne
Suhrkamp Verlag 2017, 12 Euro

Mehr zum Thema