"Keiner kann richtig abrücken von seiner Position"

Hans Stark im Gespräch mit Nana Brink · 17.06.2011
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy diskutieren bei einem Treffen in Berlin über das hoch verschuldete Griechenland. Strittig ist, wie das Land vor der Pleite gerettet werden soll. Sollten sich beide nicht einig werden, dann sei die Idee von Europa in Gefahr, sagt Hans Stark, Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französiche Beziehungen.
Nana Brink: Mal sehen, ob es heute wieder Komplimente für ma chère Angela gibt, wenn Frankreichs Präsident Sarkozy von Bundeskanzlerin Merkel in Berlin empfangen wird. Die Stimmen im Vorfeld des Staatsbesuches sind gerade von französischer Seite eher pikiert. Berlin sei Frankreich gegenüber merkwürdig abgekühlt, hört man da. Den Deutschen fehle es an Engagement, und es gebe weniger vertrauliche Gespräche. Was ist da passiert, woran liegt es? Wankt die historisch seit Adenauer und Charles de Gaulle so unverbrüchliche europäische Lebensachse Berlin – Paris? Am Telefon ist jetzt Hans Stark, Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen. Einen schönen guten Morgen, Herr Stark!

Hans Stark: Ja, guten Morgen!

Nana Brink: Wenn Sie einen Pegelstand zwischen der deutsch-französischen Beziehung angeben müssten, wo läge der?

Stark: Ja, der läge natürlich unter 50 Prozent. Also man spricht von dem halb vollen oder halb leeren Glas oder der Flasche, zurzeit ist die Sache halb leer, ganz klar.

Nana Brink: Womit begründen Sie das?

Stark: Oh, das kann man an vielen Dingen ausmachen, sicherlich im Rahmen auch oder, ja, im Rahmen der Griechenlandkrise seit einem Jahr Spannungen zwischen Paris und Berlin über die Finanzierung Griechenlands, und das bis heute, dann zweitens, ganz wichtig, die Libyen-Krise, Deutschland enthält sich im Sicherheitsrat und hinterfragt damit die Legitimität auch der NATO-Operation, die ja Frankreich anführt. Da könnten die Gegensätze nicht größer sein. Und vielleicht ein letzter Punkt: Merkel und Sarkozy treffen sich heute zum ersten Mal seit Dezember 2010, das sind also sechs Monate – das ist eine ganz, ganz lange Zeit für das deutsch-französische Verhältnis. Normalerweise sehen sich bilateral die Kanzlerin und der Präsident mindestens alle zwei Monate.

Nana Brink: Warum sind diese Beziehungen zwischen diesen beiden Politikern so schlecht? Hat das auch was mit diesen beiden Persönlichkeiten zu tun?

Stark: Ganz sicherlich mit den Persönlichkeiten und den Strukturen auch, den Machtstrukturen, den politischen Strukturen in beiden Ländern. Merkel ist dafür bekannt, dass sie sich Zeit nimmt, um Entscheidungen zu treffen, sie ist dazu auch gezwungen, weil der Entscheidungsfindungsmechanismus in Deutschland aufgrund seiner föderalen Struktur auch sehr kompliziert ist. In Frankreich haben wir es mit einer pyramidalen Machtstruktur zu tun, dort kann der Präsident mehr oder weniger alleine entscheiden, was Frankreich zu machen hat, und dazu kommt noch die Persönlichkeit von Sarkozy, der gerne sich als Feuerwehrmann präsentiert und auch bei internationalen Krisen sehr schnell agieren will, agieren möchte. Die beiden Charaktere könnten nicht unterschiedlicher sein.

Nana Brink: Nun sind das ja die Personen an der Spitze. Ich habe es schon am Anfang erwähnt, auch ja der Beamtenstand darunter, so klagt ja Frankreich, hätte nicht mehr diesen Austausch, wie man das eigentlich gewohnt ist.

Stark: Ja, also doch, der Beamtenaustausch, der findet statt, denn die Sache ist ja schon strukturiert. Es gibt also Berater auf beiden Seiten, in beiden Außenministerien jeweilige Diplomaten von beiden Ländern, ebenso im Verteidigungsministerium und im Außen- ... also im Wirtschafts- und Finanzministerium. Also in den entscheidenden Stellen gibt es schon Austauschbeamte. Die Frage ist jetzt, wie sehr die einbezogen werden in beiden Ländern, die sogenannten Austauschbeamten, inwieweit sie an die sensiblen Dossiers herankommen. Und da kann es schon Unterschiede geben von Zeit zu Zeit, das ist der erste Punkt. Der zweite: Was auch gut funktioniert, ist die Vernetzung der Zivilgesellschaften, also da muss man sich keine Sorgen machen, beide Gesellschaften – der Austausch findet nach wie vor statt, auch wenn man sich beklagen kann, aber dafür können nun beide Länder nichts oder zumindest nicht die Regierungen, dass die Kenntnis des Deutschen in Frankreich abnimmt und umgekehrt des Französischen in Deutschland auch.

Nana Brink: Nun äußern sich ja die Franzosen oder sagen wir mal die französischen Politiker, an der Spitze Sarkozy, ja nicht so deutlich, aber doch indigniert über diese Abkühlung des Verhältnisses. Kann es auch sein, dass man etwas pikiert ist über ein selbstbewusstes Deutschland, was nicht mehr in allem folgt, was Frankreich vorgibt?

Stark: Sicherlich, daran muss man sich gewöhnen, das ist schwierig. Wir hatten ja es über Jahrzehnte mit einer Bundesrepublik zu tun, die im Interesse Europas auch mal in eigenen Positionen zurückgesteckt hat, manchmal darin sogar übertrieben hat, und jetzt hat man den Eindruck, dass Deutschland umgekehrt übertreibt, nämlich bei der Verteidigung seiner nationalen Interessen jetzt ziemlich brutal vorgeht. Und das ist etwas, womit man also in Frankreich Schwierigkeiten hat, allerdings: Auch die Franzosen verteidigen ihre nationalen Interessen genauso harsch, aber vielleicht mit etwas weniger Nachdruck zurzeit.

Nana Brink: Ist das bei Libyen besonders, also bei dem Sicherheitsratsbeschluss gegen Libyen besonders zum Ausdruck gekommen Ihrer Meinung nach?

Stark: Ja, das war extrem schon, denn dass Deutschland sich nicht militärisch beteiligen würde, war eigentlich klar, dazu war die Sache auch zu undurchsichtig. Allerdings: Sich zu enthalten, das war ein Bruch in der deutschen Außenpolitik, denn zum ersten Mal – und das hat man schon sehr oft unterstrichen und es ist ganz wichtig, es noch einmal zu sagen –, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik seit 1949 hat sich Deutschland auf die andere Seite gestellt gegenüber den drei wichtigsten westlichen Partnern USA, Frankreich und Großbritannien. Und das ist ein Novum gewesen, das muss erst mal überarbeitet werden.

Nana Brink: Was bedeuten denn diese angespannten, so kann man es ja wohl nennen, deutsch-französischen Beziehungen für die Euro-Krise, die ja auch im Mittelpunkt der heutigen Gespräche zwischen Merkel und Sarkozy steht?

Stark: Ja, das bedeutet erst einmal, dass es sehr viel schwieriger wird, zu einem Kompromiss zu kommen, wobei ich jetzt auch mal die Kanzlerin in Schutz nehmen möchte, wenn ich das darf, denn sie hat es natürlich auch mit einem schwierigen Umfeld zu tun in Deutschland, das heißt also, die öffentliche Meinung, die ja auch sehr stark von der sogenannten, na ja, der populären, der Tabloid-Presse in Deutschland, die ich jetzt nicht zitieren will, beeinflusst wird, die öffentliche Meinung, ist natürlich nicht sehr, sehr positiv gegenüber einer erneuten Griechenlandhilfe eingestellt. Das weiß man. Daher auch der Vorschlag von Schäuble, den man auch nachvollziehen kann, dass die Banken stärker einbezogen werden, der private Sektor. Nun sind die Banken, die sind natürlich, die jetzt in Griechenland investiert haben, in erster Linie auch die französischen Banken, die sind schon sehr, sehr exponiert, das heißt also, dass Frankreich durchaus zu Recht fürchtet, dass die Einbeziehung des französischen Sektors erhebliche Konsequenzen hätte für die finanzielle Situation Frankreichs. Das heißt, da fahren im Grunde genommen zwei Züge aufeinander los. Jedes hat sein eigenes partikulares Interesse, in Deutschland geht es um Wahlen, wir haben ein Superwahljahr, in Frankreich geht es auch darum, dass Sarkozy 2012 vorbereitet, die Präsidentschaftswahlen. Von daher kann keiner richtig abrücken von seiner Position. Das wird sehr, sehr schwierig, dort einen Kompromiss zu finden.

Nana Brink: Aber wenn sich Deutschland und Frankreich nicht einig sind, abschließend gefragt – ist dann nicht auch die Idee von Europa in Gefahr?

Stark: Ja, nicht nur die Idee von Europa ist in Gefahr, denn dann passiert gar nichts. Das Verrückte ist ja: Es ist viel schwieriger denn je, deutsch-französische Positionen zu definieren im Europa der 27, weil wir so heterogen sind. Aber gerade – und das ist das Umgekehrte jetzt, das Paradoxon –, gerade weil wir so heterogen sind, gibt es keine Leadership in Europa, und bestimmt nicht bei der Europäischen Kommission. Und von daher brauchen wir mehr denn je ein deutsch-französisches Tandem.

Nana Brink: Hans Stark, Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen. Schönen Dank, Herr Stark, für das Gespräch!

Stark: Bitte schön!
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