Keine unbeschriebenen Blätter

17.12.2009
Die Kognitionsforscherin und Kinderpsychologin Alison Gopnik setzt sich intensiv mit der Entwicklung von Babys und Kleinkindern auseinander. Und sie stellt fest: Babys verstehen und können viel mehr, als Erwachsene bemerken.
Eine der Autorinnen des Bestellers "Forschergeist in Windeln" hat mit einem weiteren ausführlichen Buch über die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Babys nachgelegt: Alison Gopnik, Kognitionsforscherin und Kinderpsychologin an der University of California, stellt in "Kleine Philosophen" die Andersartigkeit frühkindlicher Wahrnehmung gegenüber der Weltsicht Erwachsener heraus.

Die Grundlagen ihrer Argumentation kennt man schon aus dem ersten Buch: Neugeborene sind kein "Gemüse mit einigen wenigen Reflexen", sondern höchst aktive Gehirnakrobaten, deren unfokussierte Aufmerksamkeit mehr erfasst als die eines Erwachsenen.

In diesem Buch geht sie lediglich mehr ins Detail und ruft neuere Studien aus Gedächtnis- und Kognitionsforschung, Psychologie, Evolutionsbiologie und Neurolingustik zu Zeugen auf, um die inzwischen durchaus verbreite Kenntnis zu untermauern: Babys verstehen und können viel mehr als Erwachsene bemerken. Die Folgerungen, die sie daraus zieht klingen kühn, sind aber bei genauerem Hinsehen überraschend schlicht: Zwischen Kindern und Erwachsenen herrsche eine Art evolutionärer Arbeitsteilung, wobei Kinder für die Abteilung Forschung und Entwicklung zuständig seien, Erwachsene dagegen für Produktion und Vertrieb.

Solche für populärwissenschaftliche Werke typischen Analogien – hier also die menschliche Spezies als Produktionsbetrieb – klingen oft schön einleuchtend und sind, wenn man sie genau betrachtet, schief, wenn nicht gar, ein wenig dümmlich. Denn natürlich sind Kinder die Forscher von morgen; und sie in ihrem Wissensdrang zu unterstützen ist die selbstverständliche Aufgabe ihrer Eltern und Lehrer. Aber dass die stupenden und vielfältigen Fähigkeiten von Kleinkindern nur von den Erwachsenen zu (re-)produzieren und verbreiten seien, um aus dieser Welt eine bessere zu machen, kann ja wohl niemand ernsthaft glauben.

Gopnik hat ihre Studienergebnisse mit großem Fleiß zusammengetragen – viele davon wird man kennen, so das berüchtigte Experiment an der Universität Stanford, in dem Studenten willkürlich in zwei Gruppen aufgeteilt wurden, in "Wärter" und "Gefangene", was dazu führte, dass die einen die anderen auf übelste Weise schikanierten.

Den Bogen zu ihrem Thema schlägt Gopnik, indem sie erklärt, dass und wie schon Kinder denjenigen, die ihnen selbst am ähnlichsten sind, am meisten Sympathie entgegenbringen. Die Widersprüche und die pädagogischen Fragen, die sich daraus ergeben, deponiert sie alsbald bei der Theologie und dem Gebot der Nächstenliebe.

Auf diese Weise ist das ganze Buch konstruiert: Als eine Mischung aus Empirie und Allgemeinplatz, die möglichst keinen Aspekt des Themas übersehen will. Mit manchen überraschenden Erkenntnissen kommt es zu dem wenig überraschenden Schluss, dass Kinder unsere Aufmerksamkeit und allen Respekt verdienen. Es ist, gewissermaßen, ein Appell auf wissenschaftlicher Grundlage, der sehr ins Allgemeine zielt.

Rezensiert von Katharina Döbler

Alison Gopnik: Kleine Philosophen. Was wir von unseren Kindern über Liebe Wahrheit und den Sinn des Lebens lernen können
Aus dem Englischen von Hainer Kober,
Ullstein Verlag, Berlin 2009, 356 Seiten, 19,90 Euro