Keine Strahlen, aber genauso gut?

Von Anna Florenske · 09.03.2013
Ein Standard bei kindlichen Knochenbrüchen: Wenn ein Kind stürzt oder sich massiv verletzt, dann wird es anschließend fast immer geröntgt. Doch die Strahlenbelastung ist nicht ohne Risiko. Daher untersuchen Wissenschaftler, ob bei Kindern nicht auch Ultraschallbilder ausreichen.
Wann reicht eine Ultraschall-Untersuchung, um einen kindlichen Knochenbruch genau zu diagnostizieren? Diese Frage beschäftigt den Unfallchirurgen Ole Ackermann. Er arbeitet in einem Lehrkrankenhaus der Uni Duisburg-Essen. In seiner Forschung hat der Oberarzt zunächst eine häufige und meist unkomplizierte Bruchform bei Kindern betrachtet: Brüche nahe des Handgelenks.

"Letztlich haben wir erst ein Ultraschallbild gemacht. Haben dann festgelegt: Was würden wir tun, wenn wir nur diesen Ultraschall-Befund hätten, wie würden wir den Patienten behandeln? Und haben danach noch die Standard-Röntgen Diagnostik gemacht, um zu sehen, ob wir irgendetwas übersehen haben."

Und das Ergebnis der Untersuchung war verblüffend eindeutig:

"Da hat sich rausgestellt, dass wir in 99 Prozent der Fälle die gleiche Behandlung gemacht hätten, wenn wir kein Röntgenbild gemacht hätten. Und uns aus diesem Grund das Röntgenbild uns in diesen Fällen nicht wesentlich weiter bringt."

Doch das sind recht neue Erkenntnisse. In der Praxis lassen fast alle Ärzte röntgen, wenn sie einen Knochenbruch befürchten. Anders Ole Ackermann: Wenn der Unfallchirurg einen unkomplizierten Knochenbruch vermutet oder einen Bruch kontrolliert, greift er immer häufiger zum Ultraschallkopf - besonders, wenn seine Patienten Kinder sind:

"Also Rosa, dann komm mal her. Setz Dich mal hier drauf. Tut es noch irgendwo weh? Nee. Ok, dann nehmen wir Dir jetzt mal den Gips ab."

Vor gut einer Woche ist die zehnjährige Rosa beim Schlittschuhlaufen gestürzt und hat sich den Unterarm gebrochen. Heute kontrolliert Ole Ackermann, wie gut der Knochen inzwischen zusammengewachsen ist.

"Dann mache ich Dir ein bisschen Gel darauf. Und dann gucke ich mit dem Schallkopf darauf, wie es denn aussieht bei Dir. Da können wir den Knochen sehen. Jetzt fahren wir einmal drum herum. Und gucken uns das ganze Handgelenk einmal im Kreis an. Da sehen wir den kleinen Hubbel. Das ist der Knochenbruch, den Du hast. Der steht in einer sehr guten Stellung und heilt auch sehr gut."

Viele Eltern freuen sich, wenn ihren Kindern eine Röntgen-Untersuchung erspart bleibt. So auch bei dieser Mutter:

"Ja, das fand ich natürlich sehr gut. Weil die Röntgenstrahlen sind natürlich nicht besonders gut für den Körper. Und wenn es ohne geht, dann ist man natürlich besonders dankbar."

Auch wenn heutige Röntgengeräte mit immer weniger Strahlen auskommen: Röntgenuntersuchungen bergen Risiken. Auch für Ole Ackermann das Argument, möglichst viele Röntgen-Untersuchungen zu vermeiden.

Die unsichtbaren Strahlen geben Energie an das Gewebe ab. Und diese Energie kann das Erbgut und die Keimzellen schädigen. Und auch Krebs wahrscheinlicher machen. Insgesamt ist allerdings noch nicht umfassend erforscht, wie sich solch niedrige Strahlendosen wie beim Röntgen auf die menschliche Gesundheit auswirken. Etliche Untersuchungen belegen aber sicher sicher: Besonders Kinder reagieren empfindlich!

"Kinder sind ungefähr zehn Mal strahlensensibler als Erwachsene. Das heißt ein Röntgenbild bei Kindern richtet ungefähr so viel an wie zehn Röntgenbilder bei einem Erwachsenen."

Weitere Vorteile des Ultraschalls, im Vergleich zum Röntgen: Im Ultraschall lassen sich nicht nur Knochen, sondern zum Beispiel auch Blutergüsse und ramponierte Bänder erkennen. Außerdem kann ein Ultraschallbild ohne große Wege direkt vom Arzt vorgenommen werden, der die Erstuntersuchung macht. Für ein Röntgenbild muss meist zu einem anderen Arzt überwiesen werden. Aber es gibt auch Argumente, die eher für das Röntgen sprechen, entgegnet Christoph Heyer vom Uniklinikum Bergmannsheil in Bochum:

"Das Problem des Ultraschalls ist grundsätzlich: Man kann eindimensional die Oberfläche des Knochens beurteilen, aber eben nicht den Knochen in Gänze, das heißt, die genaue Stellung des Knochens, die ist nur dann beurteilbar, wenn sie den Knochen von verschiedenen Richtungen aus anschallen."

Der Radiologe schätzt das Röntgen als eine schnelle Untersuchungsmethode, die aussagekräftige Ergebnisse bringt. Auch lassen sich Röntgenbilder problemlos an Kollegen weitergeben. Ultraschallbilder hingegen sind ausgedruckt nicht wirklich zu gebrauchen. Und auch auf dem Bildschirm herrscht nicht für jeden die gleiche Klarheit:

"Weil der Ultraschall eine bildgebende Methode ist, die doch sehr stark untersucherabhängig ist, das heißt, die Aussagekraft des Bildmaterials steigt mit der Erfahrung des Untersuchers, das heißt, wenn diese Methode trotz ihrer vermeintlich guten Praktikabilität und ihrer fehlenden Strahlenbelastung von jemand angewandt wird, der wenig Erfahrung hat – dann ist das ein großes Potenzial, um entsprechende Fehldiagnosen zu stellen."

Um dem entgegen zu wirken, versucht Ole Ackermann mit seinem Forschungsteam gerade, Standards für Ultraschall-Untersuchungen zu entwickeln. Der Unfallchirurg bleibt auch am Ball, wenn es darum geht zu erforschen, in welchen Bereichen Röntgenuntersuchungen eingespart werden können. Seiner Ansicht nach wird hierzulande zu viel geröntgt. Diese Einschätzung teilt auch das Bundesamt für Strahlenschutz.

Und letztendlich sind sich der Unfallchirurg und der Radiologe in einem wesentlichen Punkt einig: Bei unkomplizierten Brüchen, ohne weitere Verletzungen, zum Beispiel der Bänder oder Gelenke, die auch keine Operation erfordern, lassen sich Röntgenuntersuchungen einsparen, besonders bei Kindern. Denn: Wenn kindliche Knochen brechen, dann brechen sie meist glatter als die von Erwachsenen. Weitere Bereiche, wo Ultraschall-Untersuchungen das Röntgen ersetzen könnte, gilt es noch zu erforschen.
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