Keine Musterknaben in der Ukraine

Die Pressefreiheit und die Macht der Oligarchen

Mann mit ukrainischer Flagge auf dem Maidan in Kiew
Mann mit ukrainischer Flagge auf dem Maidan in Kiew © dpa / picture alliance / Sergey Dolzhenko
Von Florian Kellermann · 25.05.2016
Ein regierungskritischer Talkmaster bekommt keine Arbeitserlaubnis mehr. Journalisten, die aus den Separatistengebieten berichten, werden von Regierungsvertretern pauschal als Kollaborateure beschimpft. In der Ukraine sind die meisten Medien fest in der Hand von Oligarchen.
Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Serhij Leschtschenko hat eine Anekdote parat, die viel über das Machtsystem in der Ukraine aussagt. Staatspräsident Petro Poroschenko nahm den Abgeordneten und gelernten Journalisten einst beiseite und sagte ihm: Er finde seine kritischen Texte ja gut. Aber wenn er über seine Familie schreibe, dann solle ihn Leschtschenko bitte vorher fragen. Mit "Familie" meinte Staatspräsident Poroschenko nicht etwa seine Kinder - sondern den Generalstaatsanwalt und andere mächtige Freunde. Oligarchenklans werden diese "Familien" auch genannt.
Auch, als er vor wenigen Tagen im Parlament vor Besuchern sprach, nahm Serhij Leschtschenko kein Blatt vor den Mund:
"Es ist eine große Ehre für mich, hier aufzutreten, denn normalerweise hört mir hier keiner zu. Schließlich ist das der größte Business-Klub in Europa! Hier wird gefeilscht, hier werden Geschäfte verabredet, hier wird Geld gegen politische Loyalität getauscht. Das alles geschieht in diesem Saal."
So lassen sich auch die politischen Ereignisse der vergangenen Wochen einordnen: Der neue ukrainische Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman ist ein Vertrauter von Präsident Poroschenko. Er war früher Bürgermeister in Winniza, wo das Staatsoberhaupt einst seine Karriere als Süßwarenfabrikant startete. Der Generalstaatsanwalt, den Poroschenko zu seiner "Familie" rechnet, ist zwar nicht mehr im Amt. Stattdessen der ehemalige Vorsitzende seiner Fraktion im Parlament, Jurij Luzenko. Er bekam nicht nur die Stimmen seiner ehemaligen Fraktion, sondern auch von Abgeordneten, die dem Dnipropetrowsker Oligarchen Ihor Kolomojskij zugerechnet werden.

Kein Vertrauen mehr in Präsident und Parlament

Eine weitere Steilvorlage für den Kritiker Serhij Leschtschenko:
"Da stellt sich mir die Frage: Kann der neue Generalstaatsanwalt Luzenko ein Verfahren gegen Kolomojskij anstrengen? Kolomojskij hat enorme Schulden beim Staat, allein 18 Milliarden Hrywnja beim Staatsunternehmen Ukrnafta. Eine astronomische Summe für den Staatshaushalt. Kann Luzenko diesen Oligarchen angreifen, den ich hier nur als Beispiel nehme?"
Eher eine rhetorische Frage. Kurz, nachdem Luzenko Staatsanwalt wurde, kehrte ein besonders umstrittener Abgeordneter von Poroschenkos Fraktion in den Fraktionsvorsitz zurück. Er war vorübergehend suspendiert worden, wegen Korruptionsvorwürfen. Diese seien jetzt ausgeräumt, hieß es.
Da wundert es nicht, dass die Ukrainer kein Vertrauen mehr in Präsident und Parlament haben. Weniger als zehn Prozent würden heute Poroschenko wählen, zeigen Umfragen.
In der Bankowa-Straße in Kiew wird die Entfremdung zwischen Präsident und Volk offensichtlich. Die Straße, in der der Präsidentenpalast liegt, ist abgesperrt. Immer wieder drehen Touristen enttäuscht um, wenn sie an die Schranke kommen, die rechts von einfachen Polizisten und links von Spezialkräften bewacht wird:
"Wir wollten das berühmte Haus mit den Chimären sehen, das Jugendstilgebäude - gegenüber vom Präsidentenpalast. Ich habe im Internet gelesen, dass das eine der Sehenswürdigkeiten von Kiew ist. Aber die Polizisten haben uns nicht durchgelassen."

Ein Zeichen von Schwäche

Ein Zeichen von Schwäche sei das, meint Stanislaw Bondarenko, der gerade aus dem Gebäude des Schriftstellerverbandes gekommen ist, am Anfang der Bankowa-Straße:
"Er hat schön gesprochen damals auf dem Maidan, aber er hat uns sehr enttäuscht. So sehr, dass ein Gericht ihn streng bestrafen sollte. Dann sind auch noch diese Unterlagen über Offshore-Firmen ans Tageslicht gekommen. So einen Präsidenten haben die Ukrainer nicht verdient. Sie haben ein glückliches Leben verdient."
Eigentlich haben die Ukrainer durch die sogenannten Panama-Papiere nicht viel Neues erfahren. Alle wussten, dass Poroschenko ein Unternehmer ist. Dass er mutmaßlich auch Steuern sparen will, wie alle reichen Ukrainer, hat kaum jemanden überrascht. Und doch: Poroschenko in einer Reihe mit zwielichtigen russischen Oligarchen, und das in der Weltpresse - viele Ukrainer sind beschämt.
Zumal Poroschenko sie immer wieder belogen hat. Vor der Wahl vor zwei Jahren versprach er, seine Firmenanteile zu verkaufen. Kaum im Amt machte er einen Rückzieher: Die Preise seien im Keller, erklärte er. Im Januar kündigte er schließlich an, seine Beteiligungen einem von ihm unabhängigen Treuhänder zu übergeben. Aber eine gute Lösung sei das nicht, sagt Daria Kolenjuk von der Nicht-Regierungsorganisation "Zentrum zur Bekämpfung von Korruption":
"Ein Geschäft, das dem Präsidenten gehört, genießt in der Ukraine automatisch Privilegien, egal, ob er sich darum kümmert oder nicht. Sehen wir uns nur seine Bank an, sie hat ihre Ergebnisse deutlich verbessert. Und an allen Metro-Station schießen Süßwarengeschäfte seiner Marke Roshen wie Pilze aus dem Boden."
Das alles würden die Ukrainer Poroschenko wohl verzeihen, wenn sich ihr Land schneller positiv wandeln würde. Aber zumindest in der Politik geht es eher in die andere Richtung. Reformorientierte Minister mussten die Regierung verlassen, als Poroschenko seinen politischen Ziehsohn Hrojsman zum Ministerpräsidenten machte.
Kleine Lichtblicke gibt es dennoch. (So stellte eine Kommission des Internationalen Währungsfonds in der vergangenen Woche fest, die Ukraine mache Fortschritte, der Haushalt stabilisiere sich. Im Juli könnte der Währungsfonds deshalb die lang ersehnte dritte Kredittranche ausbezahlen. Zu den Lichtblicken) wie das neu geschaffene, unabhängige Antikorruptionsbüro, sagt Daria Kolenjuk:
"Diese Schritte waren nur durch den Druck von außen möglich, gegen den Widerstand der führenden Politiker. Der Währungsfonds knüpft seine Kredite an Bedingungen, ebenso die Europäische Union, als sie die Verhandlungen über eine visafreie Einreise für Ukrainer geführt hat."
Der Druck aus dem Westen macht heute den Unterschied in der Ukraine. Frühere Präsidenten konnten nach Moskau fahren, wenn sie Geld brauchten. Dieser Weg ist Poroschenko verwehrt.

Nicht nur die Schuld Oligarchen

Allerdings sind nicht nur die Oligarchen schuld an den Missständen. Die Korruption liegt wie Mehltau auf der ganzen Gesellschaft. Ein Beispiel: die Beschaffung von Medikamenten, ein Milliardengeschäft. Oleksandra Ustinowa vom "Zentrum für Korruptionsbekämpfung":
"Wir beobachten den Handel mit Medikamenten seit drei Jahren. Nun haben wir zufällig erfahren, dass die Akademie der Wissenschaften und ein Krankenhaus veraltete Präparate gegen Hepatitis C kaufen wollte. Sie wollte dafür auch noch doppelt so viel ausgeben wie für moderne, wesentlich wirksamere Präparate. Die Mediziner der Akademie wollten offenbar in die eigene Tasche wirtschaften."
Ein Händler, der seine Altbestände loswerden wollte, habe sie sehr wahrscheinlich geschmiert, sagt Oleksandra Ustinowa. Auch hier ist der einzige Ausweg, internationale Organisationen einzuschalten. Seit dem vergangenen Jahr kaufen die Vereinten Nationen schon einen Teil der Medikamenten für die Ukraine ein. Ein Krebspräparat zum Beispiel bekommen die Patienten dadurch heute für knapp über drei Euro, bisher kostete es in der Ukraine 80 Euro. Schwieriger ist es, die Korruption in anderen Bereichen festzustellen. Im Rüstungssektor etwa, in den mehr Geld fließt, hält die Regierung die meisten Informationen geheim - angeblich aus Sicherheitsgründen.
Die Mächtigen tun viel, um sich Kontrolle vom Leib zu halten. Gegen das "Zentrum für Korruptionsbekämpfung" ermittelt der Generalstaatsanwalt. Auch Journalisten geraten immer wieder unter Druck. Zuletzt durch eine Liste im Internet: Sie enthält alle Journalisten, die offiziell aus den Separatistengebieten in der Ostukraine berichtet haben. Hacker, die mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten, betreiben die entsprechende Seite, die sie "Myrotworez" - "Friedensstifter" nennen. Dort beschuldigten sie die Journalisten pauschal, mit den Separatisten zu kollaborieren.

Wer darf in der Ukraine als Journalist arbeiten?

Der Innenminister verteidigte die Veröffentlichung, ebenso sein Berater Anton Heraschtschenko:
"Die Journalisten haben ihre Angaben selbst der Donezker Volksrepublik übergeben, einer terroristischen Vereinigung. Davor hatten sie keine Angst. Auch in der Ukraine müssen sie keine Angst haben. Nur diejenigen, die unser Land mit Dreck beworfen und die gelogen haben, sollten den Volkszorn fürchten."
Wegen der internationalen Kritik wurde die Seite "Myrotworez" vorübergehend geschlossen. Doch vor wenigen Tagen tauchte sie wieder auf und veröffentlichte eine neue, noch umfangreichere Liste.
Besser erging es dem aus Russland emigrierten Journalisten Sawik Schuster. Er moderiert eine Polit-Talkshow, mit der er den Mächtigen immer wieder auf die Füße tritt. Als die Behörden ihm die Arbeitserlaubnis entzogen, sorgte das für heftige Proteste. Schließlich entschied Präsident Poroschenko höchstpersönlich, Schuster die Arbeitserlaubnis zurückzugeben. Mit den Worten:
"Ich bin für die Meinungsfreiheit. Mir mag die Sendung nicht gefallen. Aber ich gebe mein Leben dafür, dass es sie weiterhin gibt."
Das klingt edel. Tatsächlich aber hat der Präsident mit der Aktion klargestellt, dass er darüber entscheidet, wer in der Ukraine als Journalist arbeiten darf.
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