Kulturförderung

Corona als Chance für einen Neuanfang

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Das Theater unterm Dach in Berlin.
Das Theater unterm Dach in Berlin ist einer der Orte, die nur mit sehr wenig Förderung zurechtkommen müssen. © Joko / imago-images
Dieter Haselbach im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 04.08.2020
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Die Politik wendet viel Geld auf, um die Pandemiefolgen zu begrenzen - auch der Kulturbereich soll profitieren. Der Soziologe Dieter Haselbach fordert, in der Kulturpolitik endlich die Frage nach dem Ziel der Geldvergabe zu stellen.
Die Bundesregierung wendet große Summen Geld auf, um die Folgen der Corona-Krise zu begrenzen. Im Kultursektor soll die Vielfalt der Angebote möglichst erhalten werden.
Der Soziologe Dieter Haselbach und Pius Knüsel von der Volkshochschule Zürich stellen nun in einem Essay in der "Welt" die Frage, ob man sich nicht vom "Ideal subventionierter Parallelangebote" im Kultursektor verabschieden sollte.

Förderung von bestimmten Institutionen hinterfragen

Der Kultursektor sei schon vor Corona in der Krise gewesen, meint Dieter Haselbach. Er erhofft sich Veränderungen.
"Man könnte auch sagen: Corona gibt eine Chance, über die Formen und Gegenstände der Subventionierung noch mal nachzudenken", so der Soziologe.
Als Krisensymptom nennt Haselbach insbesondere das "abnehmende Publikumsinteresse" - jüngere Generationen hätten durch digitale Angebote ein anderes Rezeptionsverhalten. In der Forschung sei dies bekannt.
Dennoch gebe es Institutionen, die ewig in der Förderung blieben. Bestehende Probleme der Kultureinrichtungen könnten durch Förderung einfach zugedeckt werden:
"Es wird nicht darüber nachgedacht, ob die Institutionen noch in derselben Weise ihr Publikum haben. Es wird nicht darüber nachgedacht, ob es möglicherweise andere Förderschwerpunkte geben müsste."
Es halte sich auch die Vorstellung, die Theater seien Orte, "an denen sich unsere Gesellschaft trifft"; in Wirklichkeit finde aber vieles im Netz statt.

Gesellschaftspolitische Kriterien von Förderung definieren

Deutschland habe zudem sehr viele Museen, fährt Haselbach fort. Deswegen würde ein großer Museumskomplex, wie er jetzt in Berlin mit dem Humboldtforum entsteht, für die "Museumslandschaft" keinen großen Unterschied bedeuten.
"Man muss darüber nachdenken, ob es immer weitere Museen geben muss. Und man muss auch darüber nachdenken, welche Museen wirklich Förderung brauchen."
Die zentrale Frage der Kulturförderung müsste seiner Ansicht nach sein: "Was soll für die Gesellschaft, für die Öffentlichkeit erreicht werden durch diese Förderung?"
Diese spiele bei kulturpolitischen Entscheidungen jedoch kaum eine Rolle, sondern es werde gefördert, was schon zuvor gefördert wurde.

Zivilgesellschaftliche Orte im Wandel

Der Schlüssel für mehr gelebte Kultur sei es, lokale Kultureinrichtungen zu stärken.
"Die Zivilgesellschaft braucht Orte, an denen sie sich erleben und treffen kann, an denen Diskurse stattfinden können. Und wir glauben, dass diese Orte inzwischen aus den großen Kulturinstitutionen weitgehend herausgewandert sind", sagt Hasselbach.
Wenn man aber alles dem Netz überlasse, gebe es die Gefahr der Filterblasen.
"Deswegen unser Plädoyer für lokale Kulturförderung, für Soziokultur, auch für eine Stärkung der freien Szene, der Off-Szenen, aus denen oft Impulse kommen. Das ist unsere Idee. Wenn Kulturpolitik in diese Richtung geht, wird sie auch mit der wirtschaftlichen Krise umgehen können."
(rja/huc)
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