Keine Heiligenlegende

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 22.05.2006
So wie sie sich kleidete, mit buntem Turban, Paradiesfedern und wogendem Dekolletee, so dachte sie: unkonventionell, schrill und eigenständig. Von schier unbezwingbarem Temperament vereinte sie in sich Geist und Gefühl, gepaart mit einem untrüglichen Sinn für Politik, wie es im Europa der nachaufklärerischen Epoche kaum ein zweites Mal anzutreffen war.
Germaine de Staël wurde vor 240 Jahren als Tochter des Schweizer Bankiers Necker in Paris geboren, des späteren Finanzministers von Ludwig XVI. Den elterlichen Salon betrat sie als Wunderkind, bereits als Achtjährige nahm sie dort an Disputen mit den Enzyklopädisten teil, mit Diderot und Voltaire, und fünfzehnjährig brillierte sie mit einem Kommentar zu Montesquieus Verfassungsschriften. Mit 20 heiratete sie, eine der reichsten Erbinnen Frankreichs, den schwedischen Botschafter de Staël-Holstein, weniger aus Neigung denn aus Gründen der Familienräson.

Bei der Wahl ihrer künftigen Männer, und davon hat sie reichlich, wird sie ausschließlich der Stimme ihres Herzens gehorchen. Die Wirkung des glamourösen Ausnahmewesens muss enorm gewesen sein, immer wieder verstrickte sie sich in wechselnde "amours fous", auch mit wesentlich jüngeren Liebhabern, mit Talleyrand, Benjamin Constant. August Wilhelm Schlegel, langjähriger Hauslehrer ihrer Kinder, zählte zu ihren, allerdings stets auf Distanz gehaltenen Verehrern. Ein schillerndes Ausnahmewesen liebte sie die schönen, espritvollen Spielertypen, keinen ihrer Liebhaber, die sich allesamt bald erdrückt fühlten von ihrem Dominanzanspruch, ließ sie kampflos ziehen. In ihrem Roman "Corinna oder Italien" befand sie dazu in einem bleibenden Sinnspruch: "Die Liebe ist die Lebensgeschichte der Frauen, aber nur eine Episode im Leben der Männer."

Lediglich einen verstand sie nicht zu gewinnen: Napoleon. Der Imperator nämlich fürchtete die extravagante Liberale, die in ihrem Salon politisch Denkende aller Couleur versammelte, Monarchisten und Republikaner, Girondisten und Jakobiner, die sich obendrein mit einer Reihe von Schriften zu den politischen Vorgängen in Frankreich europaweit einen Namen gemacht hatte. Die Propagandistin der Freiheit wurde zu seiner Intimfeindin, er verbannte sie aus Paris und zwang sie in ein mehr als zehnjähriges Exil.

Erste Station auf ihrer unfreiwilligen Reise durch Europa war Deutschland, vornehmlich Weimar und Berlin. Was sie dort, hellwach und im Geschwindschritt an Spezifika der deutschen Befindlichkeit ausmachte, fand Eingang in ihr epochemachendes Werk "De l`Allemagne". Seismographisch erkundete sie darin eine Typologie des deutschen Denkens, das Genialische seines Geistes um den Preis der politischen Ohnmacht seiner intellektuellen Elite - eine Diagnose, die mehr als hundert Jahre lang Gültigkeit behalten sollte.

Von Schweden aus organisierte sie schließlich eine Verschwörung gegen Napoleon, so dass, bevor Preußen und Österreich sich der Allianz anschlossen, ein Ausspruch die Runde machte, es gebe in Europa drei Mächte, England, Russland und Madame de Staël.

Mit Bravour entfaltet Sabine Appel das Leben dieser außergewöhnlich selbstbewussten, klugen und emotional überbordenden Frau, leichthändig verschränkt sie die Vita mit den Ereignissen der Zeit sowie den Biographien ihrer Begleiter. Dank flüssig erzählter, pointenreicher Details ersteht so ein farbiges Porträt aus der Epoche des Übergangs vom Ancien Régime zur Revolution bis in die Phase der Reaktion und der Befreiungskriege.

Bei aller Fabulierfreude, die Germanistin Sabine Appel, die über Thomas Mann promovierte und jeweils eine Biographie über Goethe und Elisabeth I. geschrieben hat, verfertigt nicht etwa eine Heiligenlegende. Sie spart weder mit genauen psychologischen Analysen, die das Jahrhundertwesen auch in manchen Peinlichkeiten zeigt. Und sie spart auch nicht mit Ironie.

Hinreißend ist das Kapitel über die Geistesgrößen in Weimar, über die Herren Olympier, die keineswegs erbaut waren über den Besuch der berühmtesten Intellektuellen Europas. Goethe, der auszugsweise einige der Essays von Madame de Staël in den Horen veröffentlicht hatte, versteckte sich zunächst in Jena vor ihr, Schiller, der nur mäßig Französisch sprach, sah sich in seiner Arbeit am Tell gestört. Beiden, die auch literarisch eher einem sanft-erhabenen Frauenbild huldigten, behagte es nicht, von diesem Wirbelwind an Kritiklust erfasst zu werden, von diesem Feuerwerk an unkonventionellen Ideen.

Ein kleines Manko weist die fabelhafte Biographie über diese Stürmer und Drängerin des deutsch-französischen Dialogs allerdings auf: Bei der Rastlosigkeit dieses Lebens, den sich fortwährend überstürzenden Ereignissen, wäre ein Vademecum nützlich gewesen. Zur allfälligen Orientierung hätte man sich eine Zeittafel gewünscht.


Sabine Appel: Madame de Staël. Biographie einer großen Europäerin
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2006, 360 Seiten