"Keine Fortschritte in Richtung Zweistaatenlösung"

Margret Johannsen im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 07.04.2011
Die Nahost-Expertin Margret Johannsen sieht in der möglichen Anerkennung eines palästinensischen Staates durch Deutschland einen vielversprechenden Ansatz, den Konflikt in der Region zu einer Lösung zu führen.
Jörg Degenhardt: Ein schönes Bild: Der Wind des Wandels, der durch die arabische Welt fegt. Barack Obama hat es benutzt, um klarzumachen, dass die Gelegenheit jetzt günstig ist, die Gelegenheit zur Schaffung einer friedlichen Lösung zwischen Palästinensern und Israelis. Die Verhandlungen zwischen beiden Seiten sind – wir erinnern uns – 2008 abgebrochen worden und wurden 2010 kurz wiederbelebt, scheiterten aber dann, als Israel ein Moratorium für Neubauten in den Siedlungsgebieten nicht verlängerte.

Heute kommt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Berlin, und die Veränderungen in der Region werden in den Gesprächen mit der Kanzlerin gewiss eine Rolle spielen. Am Telefon begrüße ich Dr. Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Guten Morgen, Frau Johannsen!

Margret Johannsen: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Wie sehr interessiert in Israel eigentlich die Meinung der Deutschen zum Nahost-Friedensprozess?

Johannsen: Die Meinung der Deutschen interessiert so sehr wie die Meinung der Europäer, sie interessiert wenig. Man weiß, dass Deutschland ein großer Freund Israels ist und man ist dankbar dafür, aber im Friedensprozess haben sowohl die Deutschen als auch die Europäer verhältnismäßig wenig zu sagen.

Degenhardt: Muss Deutschland gegenüber Israel vielleicht deutlicher sagen, wie es sich eine Friedenslösung vorstellen kann, dass es zum Beispiel zu einer Zweistaatenlösung keine Alternative gibt?

Johannsen: Deutschland sagt das, die Europäer sagen das, seit langem. Alle sagen das, damit kann es aber sein Bewenden nicht haben. Das ist den Israelis bekannt. Sogar die Israels bekennen sich rhetorisch zu einer Zweistaatenlösung. In der Tat gibt es zurzeit dazu gar keine Alternative. Aber diese Alternative zum jetzigen Zustand schwindet real, die Grundlagen einer Zweistaatenlösung lösen sich allmählich auf.

Degenhardt: Kann denn Berlin im Verbund mit seinen europäischen Nachbarn vielleicht so etwas wie Druck aufbauen, indem etwa ökonomische Vorteile infrage gestellt werden?

Johannsen: Also grundsätzlich besteht diese Möglichkeit, in den Assoziationsabkommen mit Israel ist so etwas grundsätzlich auch vorgesehen – wenn zum Beispiel gegen Völkerrecht oder wenn gegen Menschenrechte verstoßen wird – und das geschieht, das wird häufig auch international festgestellt.

Gleichwohl hat sich die Europäische Union dazu bisher nicht durchringen können, weil sie der Ansicht war, dass Israel auf Druck sich nur noch mehr einkapselt. Und ich denke auch, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, auf den ganzen Prozess positiv einzuwirken. Einer der Gründe für das Stocken des Friedensprozesses, der außerhalb der Siedlungstätigkeit liegt, ist nämlich auch die Spaltung innerhalb der palästinensischen politischen Klasse beziehungsweise zwischen den beiden Territorien und politisch zwischen Gazastreifen und West Bank. Einer der Gründe für die Spaltung ist auch die Tabuisierung der Hamas-Regierung im Gazastreifen. Es ist dringend erforderlich für den Friedensprozess, dass eine Versöhnung oder zumindest ein Überbrücken dieser Gegensätze wieder stattfindet, sonst ist auch von der Seite her der Friedensprozess stark gefährdet.

Degenhardt: Was würde eigentlich die Ausrufung eines palästinensischen Staates bedeuten, der dazu noch anerkannt wird, zum Beispiel auch von Deutschland?

Johannsen: Ja, das ist interessant. Ein palästinensischer Staat würde ja letztlich zwei Dinge tun: Er würde zum einen zumindest auf dem Papier die Spaltung zwischen West Bank und Gazastreifen aufheben – man würde ja keinen West-Bank-Staat ausrufen –, er würde auch Israel in Zugzwang bringen. Es müsste dann mit einem Gebilde in Kontakt treten, das von der Staatenwelt bereits anerkannt wird. Bisher hat Israel aber erklärt, das würde Israel nicht tun, es würde die Verhandlungen abbrechen beziehungsweise nicht wieder aufnehmen. Es käme ganz sicherlich international unter Druck, das doch zu tun.

Auf der anderen Seite besteht auch die Möglichkeit, dass wenn dann zwei Staaten miteinander reden, dass dann dieser Konflikt, der ja irgendwie besonders ist – nämlich es ist ein Besatzungsregime, Israel besetzt palästinensisches Land seit Jahrzehnten – es wäre dann ein Grenzkonflikt. Ein Grenzkonflikt über diese und jene Gebiete, die umstritten sind. Und es war lange die Furcht des Präsidenten Mahmud Abbas, dass dieser zum Grenzkonflikt mutierte Nationalitätenkonflikt dann, na ja, in die dritte Reihe der Aufmerksamkeit international rückt.

Degenhardt: Und die Frage ist jetzt natürlich, wie sollte man mit einem solchen Staat umgehen, sollte Deutschland da vielleicht auch vorangehen im Verbund mit den europäischen Nachbarn und eben diesen Staat anerkennen?

Johannsen: Ja, ich denke, das ist einfach ein Versuch, der die Mühe auch wert ist. Es hat ja so viele Anläufe gegeben, und dieses ist ein neuer Anlauf, vielleicht auch ein letzter Versuch der Palästinenser, eine grundlegend andere Richtung sozusagen in der Positionierung gegenüber Israel einzunehmen. Und da alles bisher, wirklich alles bisher gescheitert ist – es gibt ja keine Fortschritte in Richtung Zweistaatenlösung, alles steht auf dem Papier, jeder weiß im Grunde, wie es aussehen müsste –, warum soll man nicht diesen Ansatz auch versuchen. Ich bin nicht sicher, ob er Erfolg hat, letztlich bleiben die Probleme nämlich bestehen, die Siedlungen zum Beispiel, die das palästinensische Land, das mal ein Staat werden will, zerstückeln in Form eines Flickenteppichs, das ändert sich dadurch ja nicht. Aber ein Versuch ist es wert.

Degenhardt: Vor dem Hintergrund des Wandels in der Region im Nahen und Mittleren Osten in Nordafrika – ich hab es eingangs angesprochen – ist es jetzt wirklich einfacher, den Nahost-Friedensprozess zu beleben?

Johannsen: Auch das ist ein zweischneidiges Schwert. Ich denke, auf die Dauer ist es schon so, dass ein Israel umgeben von demokratischen Staaten eigentlich langfristig seine Sicherheit dadurch eher abgesichert sehen müsste. Kurzfristig ist es allerdings so – davor fürchtet sich Israel auch –, dass möglicherweise eine demokratische ägyptische Regierung, direkter Nachbar, ein unbequemerer Partner sein wird. Aber infrage gestellt hat niemand in Ägypten den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag, die Grenze, warum auch. Ägypten hat dadurch, durch diesen Friedensvertrag, ja den Sinai wieder bekommen, den es 1967 im Sechstagekrieg verloren hatte. Aber es wird vielleicht da und dort Forderungen erheben, und zwar deshalb, weil es auf die Bevölkerung hören muss. Eine Demokratie kann die eigene Bevölkerung und ihre Stimmung sozusagen nicht außer Acht lassen, und die Politik Israels gegenüber den Palästinensern und insbesondere gegenüber dem Gazastreifen ist außerordentlich unpopulär in Ägypten, sodass da Israel möglicherweise klüger handeln muss in Zukunft, als es in der Vergangenheit getan hat.

Degenhardt: Die Friedensforscherin Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Heute kommt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!

Johannsen: Gerne!
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