Keine Bange vor den Bildern

Von Johannes Halder · 18.07.2007
In frisch renovierten Räumen bekennt die neue Leiterin der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, Karola Grässlin, mit ihrer ersten Ausstellung buchstäblich Farbe: Unter dem vom US-Maler Barnett Newman entliehenen Motto "Who's Afraid of Red, Yellow and Blue?" sind markante Positionen der Farbfeldmalerei aus Amerika und Europa zu sehen.
Es sieht nach Aufbruch aus und riecht nach frischer Farbe. Die Räume sind makellos renoviert, doch die Ausstellungsfläche ist merklich geschrumpft. Denn das Kuratorenteam der Kunsthalle hat ein Großraumbüro bezogen, eine technoide Denkfabrik, für die man den langgestreckten Ausstellungssaal im Erdgeschoss geopfert hat. Dort darf sich das Personal beim Arbeiten jetzt vom Publikum durch eine breite Glastür begaffen lassen.

Vielleicht ist es ja gar nicht schlecht, wenn Karola Grässlin, die neue Leiterin des Hauses, von dort aus auch ihrerseits das Publikum im Auge hat. Sie wolle die Tradition der Baden-Badener Kunsthalle als Glanzstück der Avantgarde fortführen, sagt sie noch frohgemut und weiß dabei doch ganz genau, dass die Zeiten des neoklassizistischen Hauses als trendsetzender Ausstellungstempel längst Geschichte sind.

Sie wird wohl trotz der Renovierung damit leben müssen, dass die Besucher neuerdings lieber ins architektonisch attraktivere Museum Frieder Burda gleich nebenan gehen. Und so klingt das, was sie uns für die Zukunft der Kunsthalle verspricht, eher wie eine Kapitulation vor den Verhältnissen:

"Meine persönlichen Vorlieben, das habe ich auch in meiner letzten, siebenjährigen Tätigkeit im Kunstverein Braunschweig gezeigt, liegen eindeutig auf konzeptuellen und minimalistischen Positionen. Ich denke, in einer Zeit, in der die figurative Malerei ihre Triumphe feiert, ist es sehr wichtig, eine Kunst zu zeigen, die historisch in der Avantgarde begründet ist und die eben auch immer wieder kunstimmanent fundierte Fragen stellt."

Kulinarische Großausstellungen wird die neue Chefin künftig also wohl dem Nachbarn Burda überlassen und in der Kunsthalle eher eine komfortable Nische auf intellektuellem Kopfkunst-Niveau etablieren.

Dabei hat die neue Ausstellung durchaus das Zeug, dem Konkurrenten Burda wenigstens mal kurz die Schau zu stehlen. "Who's afraid of Red, Yellow and Blue?" - "Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau?" Vier Versionen seines weltberühmten Farbstreifengemäldes hat der Amerikaner Barnett Newman in den Jahren kurz vor seinem Tod 1970 gemalt, doch keines davon ist hier zu sehen, denn aus Angst vor Attentaten sind sie nicht mehr auszuleihen.
Stattdessen ein Bild von 1965, das ahnen lässt, warum der Maler so viel Aggressionen auf sich zog: zwei Meter hoch, dreißig Zentimeter breit, eine weiße Fläche, senkrecht geteilt durch einen zittrigen, zehn Zentimeter breiten, schwarzen Farbstreifen. Ein Bild, und was für eine Zumutung, für Viele wohl auch heute noch. Reine Farbe, radikal und rigoros, ohne Handschrift, ohne Inhalt, ohne Bedeutung als die der Farbe selbst. Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau? - Newmans Frage richtete sich übrigens an Piet Mondrian und dessen Postulat der Primärfarben, sagt Karola Grässlin:

"Er kritisiert ja selbst an Piet Mondrian, der ja eigentlich für Abstraktion per se steht, dass er es nicht geschafft hat, sich von der Natur zu lösen, weil er eben immer senkrechte und horizontale Linien in seinen Bildern hat, und für ihn erinnert die horizontale Linie eben immer an Horizont, an die Natur, an Meer an Himmel, und die Senkrechte an einen Baum."

Die senkrechte Linie hat Newman selber beibehalten, als so genannter "Zip", als senkrechter Streifen wurde sie sogar sein Markenzeichen.

Doch was Farbe für sich vermag, wenn man alle Bedeutung auslöscht, kann man hier an gut 30 Bildern in Ruhe studieren. Die Schau ist freilich keine Enzyklopädie dieser völlig von der Natur gelösten Malerei, sondern zeigt markante Positionen der amerikanischen Farbfeldpioniere und die Antworten einiger ihrer europäischen Adepten. Das geht von den schwarzen Flächen eines Ad Reinhardt, die pulsierende Farbschichten durchschimmern lassen über die scharfkantig geschnittenen Farbflächen von Ellsworth Kelly bis zu Morris Louis, der seine riesigen Leinwände mit fleckenhaften Farbflüssen tränkte.

Mark Rothko bringt schwebendes Rot und Schwarz meditativ zum Vibrieren und feiert die Farbe spirituell als eine Kunst-Andacht. Und Dan Flavin hat einen Raum mit Leuchtstoffröhren regelrecht mit Farbe geflutet. Die Europäer dann: Yves Klein, an dessen ultramarinblauen Ikonen man sich wohl niemals sattsehen kann. Oder Gerhard Richter, dessen fotorealistische Bilder immer unschärfer wurden, bis sie in einem grauen Farbmatsch verschwimmen. Doch wenn Blinky Palermo industriell eingefärbte Stoffbahnen nimmt, um jegliche Pinselspur zu tilgen, wird es schon anspruchsvoller, und natürlich lässt sich über die Sinnlichkeit lackierter Aluminiumtafeln trefflich streiten.

Wem also ist heute noch bange vor solchen Bildern, wer hat noch Angst vor soviel Farbe? "Ich nicht", witzelt Imi Knoebel mit einem Bildtitel und donnert ein Riesenformat an die Wand: blau, rot, gelb und schwarz.
Farbfeldmalerei heute, das sind vor allem Persiflagen, Paraphrasen. Wirk-lich schwierig wird es, wenn Stephen Prina eine ganze Wand der Kunsthalle mit grauem Latexlack streichen lässt. Da staunt der Heimwerker, und ein Blick in den Katalog macht ihn auch nicht klüger. Dort faselt ein kompetenter Spezialist von "Immanenz, die konstituierte Objektivität labilisiert." Es sind ärgerliche Sätze, die auch dem Kenner die ganze Schaulust wieder austreiben können.

Barnett Newman selbst, der zeitlebens Verteidigungsschriften gegen die Angriffe auf seine Bilder verfasste, entzog sich solch verschwurbelten Deutungen auf seine Weise. "Ästhetik", schrieb er einmal entnervt, - und dieser Satz steht nicht im Katalog - "Ästhetik ist für mich das, was Ornithologie für die Vögel sein muss."


Service:
Die Ausstellung "Who's Afraid of Red, Yellow and Blue? -Positionen der Farbfeldmalerei" ist in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden bis zum 30. September 2007 zu sehen. - Der Katalog (deutsch/englisch) kostet 28 Euro.