Kein Schlussstrich in der Restitutionsdebatte

Carsten Probst im Gespräch mit Dieter Kassel · 06.04.2009
Der britische Kunstexperte Norman Rosenthal hat im "Spiegel" dazu aufgefordert, das Thema Restitution jüdischer Kulturgüter einfach zu beenden. Rosenthals Vorschlag wird nach Meinung des Kulturjournalisten Carsten Probst die deutsche Position nicht verändern: "Wir haben eine freiwillige moralische Verpflichtung der Museen nach dem Washingtoner Abkommen, und wir sind daran gehalten, auch die Bundesregierung, dort letztlich fortzufahren und sich eben nicht beeinträchtigen zu lassen durch solche Äußerungen".
Dieter Kassel: Man kann das schreckliche Unrecht des Nationalsozialismus nicht wiedergutmachen, schon gar nicht, indem man zum Beispiel einfach einen Tizian zurückgibt, sagt Sir Norman Rosenthal, britischer Kunstexperte und selber Kind einer jüdischen Flüchtlingsfamilie. Rosenthal fordert schlicht und ergreifend das Ende der Restitutionsdebatten und vor allem auch das Ende der Restitution von unrechtmäßig erworbenen Kunstgegenständen aus jüdischem Besitz. In der neuen Ausgabe des "Spiegel" äußert er sich zu diesem Thema in einem ausführlichen Interview.

Bei mir im Studio ist jetzt der Kulturjournalist und "Deutschlandradio Kultur"-Kunstexperte Carsten Probst. Herr Probst, nun haben wir immer wieder viel in den letzten Jahren gehört zum Thema der Restitution. Auch die Idee zu sagen, wir setzen zum Beispiel einen Termin fest und ab da hören wir auf, ist nicht brandneu. An der Argumentation von Herrn Rosenthal gibt es da irgendwas, was für Sie neu ist und was Sie vielleicht gar überzeugt?

Carsten Probst: Ich habe mich ein bisschen gefragt, was er wirklich möchte. Ich habe zwei mögliche Interpretationen, die eine ist eher geschäftstüchtiger Art, dass er selber als Impressario von Ausstellungen leichter an Kunstwerke herankommen möchte, den Leihverkehr beflügeln möchte und dergleichen mehr. Die andere Seite ist, es könnte auch als generöse Geste gedacht sein. Er ist ja, wie Sie schon sagten, ein Kind jüdischer Eltern, die auch unter dem Krieg gelitten haben, die Flüchtlinge waren. Vielleicht ist das gedacht als eine generöse Geste aus dem Ausland hin zum deutschen Markt, zur deutschen Museumslandschaft, lasst doch die Wunden ruhen, konzentriert euch auf eure Potenziale und dergleichen mehr.

Aber ich halte doch den Tonfall insgesamt für etwas verunglückt, weil er sich ja auch beispielsweise zu Vergleichen hinreißen lässt mit der Kriegsbeute Kunst der Franzosen unter Napoleon und dergleichen mehr. Diese Fälle sind natürlich überhaupt nicht miteinander zu vergleichen, das ist ein völlig ahistorischer Vergleich, der mich wundert, weil Norman Rosenthal ja eigentlich doch Kunsthistoriker ist, mit unterstrichen Historiker.

Kassel: Meinen Sie denn, er meint tatsächlich nur ein Ende der Restitution von jüdischen Kulturgütern, von Kulturgütern, die eben zur NS-Zeit unrechtmäßig den Besitzer gewechselt haben, oder riecht das für Sie so ein bisschen nach dem Gedanken, wir lassen das, setzen gewisse Stichtage, und ab da ist alles da, wo es ist, auch richtig?

Probst: Er spricht aus, was in vielen deutschen Museen - das unterstelle ich jetzt mal -, in den Chefetagen deutscher Museen gedacht wird, aber nicht gesagt werden darf natürlich im Laufe dieser Restitutionsdebatte. Die deutsche Bundesregierung unternimmt ja allergrößte Anstrengungen, um die Museen derzeit dazu zu bewegen, Provenienzforschung überhaupt zu betreiben, das heißt, die - wenn man so sagen wollte - Leichen im Keller, die eigenen Provenienzen von Kunstwerken gründlicher zu erforschen und offenzulegen.

In diese Debatte kommt so eine Schlussstrichmentalität natürlich wie ein Querschläger herein. Ich denke, dass es nicht die Auffassung von Norman Rosenthal ist, Geschichte generell einzupacken und zu verpacken. So wie ich ihn verstanden habe, meint er, man soll sie nicht auf Kunstwerke kaprizieren, man soll lieber die Geschichte Geschichte sein lassen und die Kunst Kunst sein lassen.

Aber die Debatte in Deutschland ist, glaube ich, längst eine andere. Und ich habe den Eindruck, dass bei Norman Rosenthal eine wirkliche Vertiefung, ein wirkliches Sicheinlassen in die moralischen Bedingungen dieser Debatte in Deutschland, auch über die Rückgabebedingungen, was NS-Raubkunst anbelangt, eine wirkliche Vertiefung nicht stattgefunden hat.

Es gibt ja andererseits, wenn ich das kurz noch sagen darf, auch von deutscher Seite aus übrigens, Rückgabeforderungen von sogenannter Beutekunst an andere Länder, an die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion beispielsweise. Also in Deutschland gibt es zwei Debatten, die sich da überlagern und die unglaublich kompliziert sind in diesem ganzen moralischen Geflecht, das damit zusammenhängt. Insofern bräuchten wir eigentlich keine Schlagzeilen, sondern eine höchst differenzierte Betrachtung für jeden einzelnen Fall eines Bildes und eines möglicherweise rückgaberelevanten Kunstwerkes.

Kassel: Und aus britischer Sicht gibt es natürlich auch Kunstwerke aus der Kolonialzeit, die nun zurückgegeben werden oder nicht. Also das Ganze hat natürlich viele Facetten. Welche Facetten hat denn nun Rosenthal selber? Also wenn man nicht richtig in der Szene ist, hat man ihn eventuell vor diesem Interview gar nicht gekannt. Wer ist er?

Probst: Ja, er wird ja oft als Kurator, als bedeutender Kurator und Kunsthistoriker bezeichnet. Ich würde ihn eher als Impressario bezeichnen. Der Unterschied liegt für mich darin, dass er eigentlich wissenschaftlich gar nicht so dezidiert arbeitet, dass er keine Forschungsausstellungen macht, im engeren Sinn, wie es Kunsthistoriker gerne tun, sondern dass er gerne Ausstellungen macht, die Überblicke und große Namen präsentieren, die dem Massenpublikum zugänglich sein sollen, die populäre Thesen über Kunst auch generieren.

Und er berät auch, und übrigens ist er damit ja auch Teil des Kunstmarktes selber, den er auf der anderen Seite kritisiert in seinen Thesen. Er berät auch große Ausstellungshäuser über Ankäufe beispielsweise, die Guggenheim, die nun selber eine Art Kunstindustrie darstellt, oder aber auch das Fürstentum von Abu Dhabi, was die Museen aufbauen wollen und welche Kunstwerke sie sozusagen anschaffen könnten. Man könnte, wenn man wollte, auch vermuten, dass er selber dort Interessen verfolgt, dass Kunstwerke möglicherweise leichter auszustellen oder zu beschaffen sein könnten.

Kassel: Wird denn das - ich meine, ein "Spiegel"-Interview ist keine unwichtige Geschichte -, aber wird das irgendeine Wirkung haben, diese Äußerung jetzt?

Probst: Man wird darüber debattieren, aber ich glaube, die Positionen sind immer schon klar. Wir haben ja letztlich eine rechtliche Lage, die besagt, dass all diese Rückgabefälle aus der NS-Zeit rechtlich längst verjährt sind, aber wir haben eine freiwillige moralische Verpflichtung der Museen nach dem Washingtoner Abkommen, und wir sind daran gehalten, auch die Bundesregierung, dort letztlich fortzufahren und sich eben nicht beeinträchtigen zu lassen durch solche Äußerungen.

Kassel: Danke schön! Carsten Probst über den Vorschlag des britischen Kunstexperten Norman Rosenthal, das Thema Restitution jüdischer Kulturgüter einfach zu beenden.