Kein prima Klima

Von Klaus Remme · 30.11.2009
Die Vereinigten Staaten galten lange als bedenkenlose Umweltsünder, im Privaten wie im Politischen. Mit dem Amtsantritt von Barack Obama hofften Klimaschützer weltweit auf eine neue Ära. Doch in diesen Tagen vor dem Gipfel in Kopenhagen zeigt sich, das selbst ein amerikanischer Präsident in seinem Handlungsspielraum begrenzt ist. Die politische Klimawende in Washington braucht vor allem eines – Zeit.
Als Barack Obama sein Amt vor gut zehn Monaten, am 20. Januar, antrat, da waren es noch 321 Tage bis zur Weltklima-Konferenz in Kopenhagen. Ausreichend Zeit, so dachten viele, um das Treffen in der dänischen Hauptstadt zu einem wahren Wendepunkt werden zu lassen. Doch es ist anders gekommen. Wenige Tage vor Beginn der Konferenz wird allein die persönliche Gegenwart Obamas in Kopenhagen mit Erleichterung aufgenommen.

Doch anstatt mit unterschriftsreifen nationalen Klimaschutzzielen reist der amerikanische Präsident mit unverbindlichen Absichtserklärungen an. Wie konnte das geschehen? Was ist falsch gelaufen in Washington? Kyle Ash ist bei Greenpeace USA für die Klimaschutzgesetzgebung zuständig. Er sitzt in seinem Büro, nur wenige Hundert Meter vom Weißen Haus entfernt. Ist Greenpeace enttäuscht, nach zehn Monaten Obama? Ash zögert mit seiner Antwort:

"So leid es mir tut, ja, wir brauchen seine Führung in dieser Frage und alles, was wir bisher hören, ist: Wartet ab."

Die Wirtschaftskrise, der Afghanistankrieg, die Gesundheitsreform: Präsident Obama hat Prioritäten gesetzt in diesen ersten Amtsmonaten. Anderes war zunächst wichtiger und die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung sieht das ähnlich, meint Eileen Claussen. Sie hat in der Clinton-Regierung als Staatssekretärin im Außenministerium an Umweltschutzfragen gearbeitet und war davor für die Umweltschutzbehörde EPA tätig. Heute leitet sie das Pew Zentrum für Klimawandel in Washington. Gerade dem deutschen Besucher versucht sie zu erklären, dass die Uhren hier in den Vereinigten Staaten auch zehn Monate nach dem Abschied von Präsident Bush noch immer anders ticken:

"Hier gibt es nun einmal nicht eine vergleichbare Art von öffentlicher Unterstützung, ja, viele halten die globale Erwärmung für ein Problem, wollen, das es gelöst wird, aber auf der Liste der wichtigsten Themen wird es für die meisten auf Platz zehn stehen."

Für die meisten Menschen weltweit sind die Indizien einer gefährlichen globalen Erwärmung schwer zu übersehen, die zunehmend dringlichen Appelle der Klimatologen kaum zu überhören. Hier in den USA jedoch sinkt die Zahl derer, die klare Beweise für den Wärmetrend sehen. Einer aktuellen Umfrage des PEW Forschungszentrums zufolge waren es im April des vergangenen Jahres 71 Prozent, jetzt im Oktober erneut nachgefragt, ist diese Zahl auf 57 Prozent deutlich gesunken. Vor allem republikanische Wähler bezweifeln den Ernst der Lage zunehmend. Eine Skepsis, die sich Anfang November im Kongress spiegelte, als Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Rede vor den versammelten Abgeordneten und Senatoren hielt.

Michael Werz ist Sozialwissenschaftler am Center for American Progress. Eine einflussreiche, regierungsfreundliche Denkfabrik in Washington. Werz denkt zurück an den Auftritt der Bundeskanzlerin.

Noch Ende Juni klang Angela Merkel weitaus optimistischer. In Washington wurde ihr der Warburg-Preis für transatlantische Verdienste verliehen, einen Tag später sollte das Abgeordnetenhaus über ein Klimagesetz entscheiden. Ein Gesetz mit Reduzierungszielen und dem Einstieg in den Emissionshandel. Die Bundeskanzlerin zeigte sich beeindruckt.

Das Gesetz wurde mit knapper Mehrheit verabschiedet. Ein Beispiel dafür, dass sich eben doch etwas getan hat in den letzten zehn Monaten. Im Kongress und mehr noch im Weißen Haus. Und auch wenn das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, Barack Obama zeigte sich bei der Klimakonferenz vor der UN-Generalversammlung im September selbstbewusst:

Wir haben in den letzten acht Monaten mehr für erneuerbare Energien und gegen Treibhausgase getan als jemals zuvor in der Geschichte unseres Landes, so der amerikanische Präsident. Der Sozialwissenschaftler Michael Werz gibt ihm recht.

Ginge es nach Barack Obama allein, ein Gesetz mit verbindlichen Reduzierungszielen wäre längst verabschiedet, Cap and Trade, wie der Emissionshandel hier genannt wird, wäre vollzogen. Doch der Widerstand im Kongress ist kaum zu überschätzen. Vor allem Cap and Trade erscheint den Kritikern als eine Zusatzsteuer, als teure Belastung für den Verbraucher und dies in wirtschaftlich schweren Zeiten. Zwar ist es nicht mehr die Totalblockade wie im Fall Kyoto, doch die folgenden Auszüge aus Debatten im Abgeordnetenhaus spiegeln den Widerstand gegen die Pläne des Präsidenten. Der republikanische Abgeordnete Dave Ramp:

"Diese Steuer ist schlecht für die Wirtschaft und schlecht für Familien, am Ausstoß von Treibhausgasen wird sich dadurch nichts ändern, wir verlieren viel und gewinnen nichts."

Seine Parteifreundin Shelley Moore Capito fügt hinzu: "dies Gesetz vernichtet Arbeitsplätze, es ist teuer. Stimmen Sie dagegen".

219 zu 212 lautete das Abstimmungsergebnis im Repräsentantenhaus. Ein knappes Ja für ein Gesetz mit Klimaschutzzielen, die aus europäischer Sicht wenig ehrgeizig erscheinen. Bis 2020 sieht das Gesetz eine Reduzierung von Treibhausgasen um 17 Prozent vor. Barack Obama hat sich dieses Ziel für Kopenhagen zueigen gemacht.

Der Haken an der Sache: Als Referenzjahr für die 17 Prozent nutzen die USA nicht etwa 1990, wie die Europäer, sondern das Jahr 2005.

Joe Romm wurde kürzlich vom Time Magazine zum einflussreichsten Umwelt-Blogger der USA gekürt. Das Magazin Rolling Stone hat ihn auf die Liste der 100 Amerikaner gesetzt, die das Land neu erfinden. Als Physiker mit Abschluss am renommierten MIT in Boston und mit politischer Erfahrung in der Clinton Regierung begleitet er die Klimaschutzdiskussion heute quasi journalistisch in seinem Blog climateprogress.org. Klar sind diese Ziele im Vergleich zu Europa mager, sagt Romm, aber:

"Dem Weltklimarat IPCC zufolge müssen die Treibhausgase bis 2020 deutlich unter das Niveau von 1990 sinken. Doch hier waren acht Jahre Leute am Ruder, die alles abgeblockt haben, deshalb ist der Ausstoß hier gewachsen, während er in Europa gesunken ist."

Rechnet man das amerikanische Ziel für 2020 auf europäischem Maßstab, ergibt sich eine geplante Reduzierung um 4 Prozent. Nicht schön, sagt Romm, aber nicht zu ändern:

"Politisch gesehen kann der Präsident jetzt nicht einfach massive, kurzfristige Reduzierungen erreichen, wir haben fast zehn Jahre verloren, ich weiß, der Rest der Welt ist ungeduldig, aber wir können die 2020-Ziele der Europäer und die Vorgabe des Weltklimarats nicht erreichen."

Doch selbst das 17-Prozent-Ziel ist bei Weitem noch nicht gesichert. Die Mehrheit im Abgeordnetenhaus war knapp. Fast 40 Demokraten haben zusammen mit den Republikanern gegen das Gesetz gestimmt, ein Zeichen dafür, dass sich die Klimaschutz-Fronten nicht fein säuberlich entlang der Parteigrenzen hinweg sortieren lassen. Für die zweite Kammer, den US-Senat, gilt das noch stärker. Hier findet der eigentliche politische Kampf statt. Zwar haben die Demokraten dort 60 Stimmen, genau die erforderliche Mehrheit für ein Gesetz, doch die Senatoren agieren traditionell weitaus unabhängiger und eine Mehrheit ist nicht in Sicht, so Eileen Claussen, die Präsidentin des PEW Zentrums für Klimawandel:

"60 Stimmen sind eine hohe Hürde, zurzeit sind etwa 40 klar dafür, nicht alle der verbleibenden 20 Demokraten werden zustimmen, also müssen Republikaner gewonnen werden, letztendlich wird es darauf ankommen, ob akzeptable Regelungen für kohleabhängige Bundesstaaten gefunden werden."

Nicht Wind, nicht Sonne, KOHLE heißt ein zentrales, DAS zentrale Wort in der US-Klimaschutzdiskussion. Egal ob es um Arbeitsplätze, Energiereserven, Umweltverschmutzung oder Lobby-Macht geht, die Kohle steht jedes Mal im Zentrum. Kein anderes Land der Welt verfügt über so große Kohlereserven, die Hälfte des Strombedarfs in den USA wird in Kohlekraftwerken produziert, bis heute CO2-Schleudern Par excellence. Es gibt Bundesstaaten, deren Elektrizität zu fast 100 Prozent aus Kohle gewonnen wird. Kohle macht 75 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene aus, ein Viertel des Frachtguts auf Wasserwegen. In weit über 30 Bundesstaaten ist Kohle ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

Dazu kommen politische Realitäten. In Kalifornien leben 36 Millionen Menschen, in Wyoming nur 500.000, beide sind mit je zwei Senatoren gleichstark im Senat vertreten. Kein Bundesstaat produziert mehr Kohle als Wyoming. Von dort kommt Senator John Barrosso, ein Republikaner:

"Die Menschen in Wyoming werden das Gesetz nicht akzeptieren. Dort wo heimische Energie produziert wird, kostet es Arbeitsplätze."

Und demokratische Senatoren klingen in dieser Frage nicht viel anders. Arlen Specter sieht seinen Staat Pennsylvania als eine Art Mikrokosmos der USA:

Ein Staat, der auf Stahl und Kohle gebaut ist, das muss berücksichtigt werden, so Specter. Indiana, North Dakota, Ohio, Montana, Westvirginia, die Liste der Staaten mit starker Kohlelobby ist lang. Es ist völlig klar: Als Energieträger bleibt Kohle trotz aller Umweltschutznachteile auf Jahre relevant, nicht nur in den USA, sondern, siehe allein China, weltweit.

Pierre Gauthier sieht darin eine Chance, er wittert ein Geschäft. Gauthier ist Amerika-Chef von Alstom, dem französischen Energiekonzern. Er sitzt an diesem Novembertag in einem Baucontainer auf einem Kraftwerksgelände in Newhaven, Westvirginia:

"Die Klimaschutzziele für 2030 sind ohne den Umbau existierender Kohlekraftwerke nicht erreichbar, diese Technologie wollen wir liefern, unsere Kunden können ihre Kraftwerke dann schadstoffarm weiter betreiben."

CCS heißt die Zauberformel für diesen technologischen Ansatz. CCS steht für Carbon Capture and Storage, für die Abscheidung und unterirdische Einlagerung des Klimakillers CO2. Und das Moutaineer Kraftwerk in Newhaven, Westvirginia ist sozusagen das CCS Epizentrum.

20 Stockwerke hoch, auf dem Dach eines 1300 Megawatt Kraftwerks, steht Chefingenieur Gary Spitznogle und ist in seinem Element. American Electric Power, AEP und Alstom haben hier 120 Millionen Dollar investiert. Seitdem der weltweit erste CCS-Versuch vor zwei Monaten begann, führt Spitznogle Umweltexperten und Journalisten aus aller Welt durch das Kraftwerk. Er zeigt auf ein Geflecht neuer Rohrleitungen, die sich als klar als neues Element neben den traditionellen Kraftwerksbauten, der Brennkammer und dem Kühlturm, abzeichnen. Noch experimentieren wir, sagt Spitznogle, wir zweigen 1,5 Prozent der Gesamtleistung ab und waschen daraus durch chemische Prozesse das Kohlendioxid heraus. Das wird dann verdichtet und über 2500 Meter tief in poröse Gesteinsschichten gepumpt.

Ist es zu energieintensiv, das ist die Frage, die Chemie funktioniert, die Technik klappt, so Spitznogle, aber er gibt zu: Im Moment braucht er noch 30 Prozent der Energie, um das CO2 abzuscheiden und wegzupumpen. Viel zu viel. AEP und Alstom glauben, diesen Wert auf 10 bis 15 Prozent reduzieren zu können.

Pierre Gauthier will das Verfahren in sechs Jahren kommerziell anbieten. Viele Experten halten das für illusorisch. Auf die Frage, was das Verfahren durch dann höhere Strompreise für den Verbraucher bedeuten könnte, wird der Mann von Alstom schweigsam. Könnten sich die Preise für gesäuberten Kohlestrom verdoppeln?

Auf keinen Fall verdoppeln, meint Gauthier, nicht mal annähernd. Ingenieur Gary Spitznogle hat seine Meinung:

"Ich habe Schätzungen zwischen 60 und 80 Prozent Preisanstieg gesehen, aus meiner Perspektive klingt das nicht unrealistisch", meint er. Von politischer Seite wird die CCS Entwicklung in den nächsten Jahren massiv gefördert, über drei Milliarden Dollar sind im US-Konjunkturpaket dafür vorgesehen. Kritiker sagen, dies ist erstens Ausdruck der politischen Hoffnung, durch saubere Kohle im Wettlauf gegen die globale Erwärmung Zeit zu gewinnen und zweitens, Senatoren aus Bundesstaaten mit Kohle-Interessen für das Klimagesetz zu gewinnen. Freilich nicht mehr vor Kopenhagen, doch nach Ansicht von Michael Werz vom Center for American Progress wird der Umweltgipfel dadurch nur wichtiger.

Patrick Michaels vom konservativen CATO-Institut in Washington lächelt angesichts dieser Vorstellung. Michaels ist Klimaschutz-Skeptiker, ein Wissenschaftler, der die aktuelle Diskussion für komplette Hysterie hält. Auf die Frage, ob wir ein Klimaproblem haben, sagt er:

"Nein, es wird halt wärmer, doch nicht bedrohlich wärmer". Den Emissionshandel hält er für reine Geldverschwendung. Kopenhagen hat kaum Bedeutung, meint Michaels.

Barack Obama geht, wie wir sagen, mit leerem Anzug nach Kopenhagen, er hat nichts in der Hand und die Chinesen und Inder wissen das, meint er. Michaels hält die Widerstände im Senat für unüberwindbar. Er zeigt auf den Kalender und den Zeitpunkt der nächsten Klimakonferenz: 8. November 2010 in Mexiko City, wenige Tage nach den Zwischenwahlen in den USA. Sie kennen die Meinungsumfragen sagt er, sie wissen um die wirtschaftliche Lage:

"Sie werden das nicht gerne hören, aber so laufen die Dinge hier nun mal. In einem Jahr wird ein neuer Kongress gewählt. Die Partei eines neugewählten Präsidenten hat dabei traditionell einen schweren Stand. Im Abgeordnetenhaus ist das Gesetz nur knapp durchgekommen. Ein neuer Kongress müsste von vorne beginnen. Die Chancen sind sehr gering."

In Kopenhagen wird der amerikanische Präsident vorsichtig agieren. Schon einmal, in Kyoto, hat eine US-Regierung auf internationaler Bühne Versprechungen gemacht, die sie im Kongress nicht durchsetzen konnte. Das kann man bedauern, doch wer Barack Obama noch vor Ablauf seines ersten Amtsjahres deshalb kritisieren will, dem gibt der Sozialwissenschaftler Michael Werz folgendes mit auf den Weg:

Eines ist sicher: Globaler Klimaschutz unter amerikanischer Führung wird viel schwieriger als die allermeisten im Jubel um den neuen US-Präsidenten angenommen haben. Doch selbst wenn sein Klimagesetz scheitert, kann Barack Obama handeln. Die Umweltschutzbehörde EPA darf nach einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs auch den Ausstoß von Treibhausgasen regulieren. Ganz ohne Mitwirkung des Parlaments, man könnte auch sagen, am Kongress vorbei. Dafür mit einer Fülle von Prozessrisiken, die diesen Weg mühsam und zeitaufwendig erscheinen lassen. Kongress oder Umweltschutzbehörde, beides sind Wege, auf dem Kopenhagen allenfalls Zwischenstopp ist.