Kein Plan C für Europa

Von Annette Riedel |
Plan B verzweifelt gesucht - von ganz EU-Europa nach dem ‚No’ oder ‚Nil’ von 862.415 Iren zum Lissabon-Vertrag. Was vielleicht manch einer der Suchenden dabei gelegentlich aus den Augen verliert: Der Lissabonner Reform-Vertrag selbst ist ja schon der Plan B, nachdem Franzosen und Niederländer den vom Verfassungskonvent erarbeiteten Verfassungsvertrag samt Hymne und Namen 2005 versenkt haben.
Was folgte, war zunächst allgemeine Fassungslosigkeit ob der Verfassungslosigkeit. Dann mutierte der Plan eines Verfassungsvertrages, viele Elemente aus diesem aufnehmend, zum Plan B eines Reformvertrages. Einen Plan C, im Sinne eines erneuten Bastelns am Vertragspaket, kann Europa sich nicht leisten.

Jedenfalls so lange nicht, wie die Grundfrage nicht zu lösen ist: Die Zielrichtung der EU. Das Spektrum diesbezüglich umfasst sämtliche Spielarten - von der Rückkehr zu einer Art Zollunion über den real existierenden mehr oder weniger losen Staatenbund bis hin zum europäischen Bundesstaat. Lissabon bleibt im Moment der kleinste erreichbare gemeinsame Nenner, der zumindest die Funktionsfähigkeit der 27er-Gemeinschaft ermöglichen kann.

Würde jetzt wieder in die Diskussion über das Vertragswerk eingestiegen, brächen die sattsam bekannten Widersprüche erneut auf – als da wären: nicht genug gemeinschaftliche Politik versus viel zu viel davon und zu viel Sozialstaatlichkeit versus überdosierte neoliberale Wachstumspolitik.

Was also dann? Ignorieren kann man das Nein der Iren nicht. Auch wenn es wurmen mag, dass ein paar hunderttausend Menschen 490 Millionen aufhalten können. Aber so war es nun mal beschlossen und verkündet: Der Vertrag tritt nur in Kraft, wenn alle 27 ihn ratifiziert haben und jeder der 27 konnte sich für sein Ratifizierungsverfahren entscheiden.

Ein europaweites Referendum, etwa nach dem Prinzip der doppelten Mehrheiten – also Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Staaten und 59 Prozent der Bevölkerung - hätte zwar streng genommen den Reformvertrag, über den es zu entscheiden gilt, zur Voraussetzung gehabt. Aber eine Verabredung aller Staats- und Regierungschefs, ein solches Votum anzunehmen, hätte diesem Verfahren den Weg ebnen können. Hätte können. Hat man aber nicht gemacht.

Soll nicht den eh schon vorhandenen Bedenken der Kleinen in der EU Nahrung gegeben werden, dass sie von den Großen untergebuttert werden, müssen die ablehnenden Iren sich ernst genommen fühlen. Dublin mit Strafe zu drohen, von Austritt gar zu fabulieren, ist da alles Andere als richtungweisend, ist letztlich undemokratisch.

Die Menschen auf der Grünen Insel haben nein gesagt, weil sie mit Lissabon Ängste verbinden – ob nun berechtigte oder unberechtigte sei dahingestellt, auf alle Fälle sehr reale. Wenn sorgfältige Analysen ergeben, dass die Menschen mit ihrem ‚nein’ Entwicklungen einen Riegel vorschieben wollten, die ganz überwiegend mit dem Vertragswerk an sich tatsächlich nichts zu tun haben, dann kann und sollte ihnen die EU mit einer klarstellenden Zusatzerklärung entgegen kommen.

In der könnte ausdrücklich und unmissverständlich auf die Schlachtung der "Heiligen Kühe" der Iren von Seiten der Gemeinschaft verzichtet werden: die militärische Neutralität also, das Abtreibungsverbot und die Unternehmensbesteuerung.

Mit einer solchen Erklärung würden sich die restlichen 26 weder verbiegen noch erpressbar machen. Und weder brächen sie damit die Dämme zu einer EU à la carte wie mit weiteren Ausnahmeregelungen nach dem Muster derer für die Dänen und Briten, noch zöge damit das Europa der zwei Geschwindigkeiten am Horizont auf.

Ergänzt durch eine Klarstellung, aber inhaltlich unverändert könnte der Reform-Vertrag in Irland in einigen Monaten erneut zur Abstimmung gestellt werden. Mit einiger Berechtigung sollte man zudem darauf bauen, dass bis dahin alle anderen ihn ratifiziert haben – nach den Briten in dieser Woche, dann hoffentlich auch Wackelkandidat Tschechien.

Dies müsste eigentlich ein weiteres Argument für die Iren sein, im zweiten Anlauf dem Reformvertrag zuzustimmen. Zumal sie grundsätzlich mehrheitlich durchaus als europafreundlich gelten.

Mehr Demokratie und mehr Transparenz soll mit Lissabon erreicht werden. Das ist aber wahrlich nicht nur Sache von Verträgen, sondern auch entscheidend von politischem Willen.

Deshalb die Forderung an die Politiker allerorts: Geht ehrlicher mit Europa um. Und das heißt einerseits, Brüssel nicht verantwortlich zu machen für Dinge, die in nationaler Verantwortung liegen und andererseits, der Bevölkerung nicht Heilbringendes durch Brüssel zu versprechen, was es nicht halten kann.