Kazuo Ishiguro: "Klara und die Sonne"

Dienerin ohne politisches Bewusstsein

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Buchcover von Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro.
In Kazuo Ishiguros Roman "Klara und die Sonne" wird dem Mädchen Josie eine Künstliche Freundin zur Seite gestellt. Klara kann sogar ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählen. © Deutschlandradio / Blessing
Von Katharina Borchardt · 15.03.2021
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Josie ist viel allein, deswegen bekommt sie eine Künstliche Freundin namens Klara. Das neue Erzählexperiment von Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro ist betörend, aber dem Werk fehlt es an technikphilosophischer Reflexion.
Sie heißt Klara, und sie ist Josies KF. Das heißt: ihre Künstliche Freundin. Gemeinsam mit Mutter und Haushälterin wohnen die beiden Mädchen in einem abseits gelegenen Haus im ländlichen Amerika. Andere Jugendliche trifft Josie meist nur bei aufwendig organisierten Interaktionsmeetings. Bloß Klara ist als KF ständig zugegen und kümmert sich hingebungsvoll um die sehr durchschnittliche Josie, deren einzig interessante Eigenschaft es ist, häufig zu kränkeln.

Identität und Individualität

In seinem neuen Roman "Klara und die Sonne" zeigt der britische Literaturnobelpreisträger einmal mehr, wie spielend er zwischen Zeiten und Genres wechseln kann. War sein letzter Roman "Der begrabene Riese" noch in einem Fantasy-England des fünften Jahrhunderts angesiedelt, lebt Josie und mit ihrer SciFi-Klara im Amerika der Zukunft. Ein literarischer Sprung von rund 2.000 Jahren – kein Problem für Kazuo Ishiguro.
"Ich habe noch nie einen Roman damit begonnen, dass ich mir über den Schauplatz oder die Zeit Gedanken gemacht hätte, in der er spielt", sagt Ishiguro in Thomas Davids hervorragendem, bei Diogenes erschienenen Interviewband "Face to Face".
Es sind vielmehr abstrakte Ideen, die den Autor umtreiben, der als Fünfjähriger zusammen mit seinen Eltern von Japan nach Großbritannien zog und blieb. Im Kern zirkeln alle seine Romane um das Thema Identität und Individualität. Man denke nur an den zur völligen Selbstaufgabe bereiten Butler Stevens in Ishiguros Welterfolg "Was vom Tage übrig blieb".

Kann sie lieben?

Auch seine brandneue Klara ist eine Art Dienerin. Allerdings fehlt ihr das politische Bewusstsein, das Butler Stevens mit der Zeit ausbildete. So bleibt sie eine im Grunde langweilige Figur, auch wenn Ishiguro in seinem Roman die Frage aufwirft, ob so eine KF als Mensch betrachtet werden. Kann sie lieben und geliebt werden? Schließlich kann Klara denken, fühlen, kleine Entscheidungen treffen und ihre Geschichte sogar aus der Ich-Perspektive erzählen.
Viel mehr Gedankenanstöße aber bietet der Roman nicht. Dabei liegt seine größte Schwäche in der fehlenden Technikphilosophie. Zwar entwirft Ishiguro hier in altbekannter Gemütsruhe – man braucht dafür wie immer einige Lesegeduld – mit dem zwischen Wiesen gelegenen und von der Abendsonne beschienenen Haus ein absolut betörendes Romansetting. Doch die philosophischen Fragen, die mit Künstlicher Intelligenz sehr dringlich verbunden sind, reflektiert der Autor kaum.
Weder befasst er sich mit Klaras Mechanik noch mit der – wahrscheinlich digitalen – Grundlage für ihre Gedanken, Empfindungen und ihr ethisches Handeln. Auch mit den Gefahren, die von immer schlauer werdenden Künstlichen Intelligenzen ausgehen könnten, setzt er sich nicht auseinander. Dazu gehört Überwachung genauso wie der Einfluss von KI auf das politische System einer Gesellschaft.

Gemütliche Zukunftsvision

Kazuo Ishiguros Klara ist daher nicht mehr als ein privates Helferlein und das Buch fällt meilenweit hinter die SciFi-Romane jüngerer Autorinnen und Autoren zurück. Seine brandneue Zukunftsvision ist auf unangemessene Weise gemütlich geraten.

Kazuo Ishiguro: "Klara und die Sonne"
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Blessing Verlag, München 2021
352 Seiten, 24 Euro

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